"Schamabstand zum Nullzins"

Commerzbank-Chefvolkswirt: EZB sollte Eurozone auf Entzug setzen

09.05.16 11:24 Uhr

Commerzbank-Chefvolkswirt: EZB sollte Eurozone auf Entzug setzen | finanzen.net

Die EZB sollte die Wirtschaftsakteure des Euroraums nach Aussage von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer so bald wie möglich der stimulierenden Wirkung von zusätzlicher Liquidität und Negativzinsen entwöhnen.

Laut Krämer führen die geldpolitischen Maßnahmen der EZB nicht wie angestrebt zu mehr Inflation, sondern richten Schaden an und tragen zur ohnehin erhöhten Unsicherheit bei. Allerdings beinhaltet Krämers Entziehungskur einen Punkt, den er selbst nicht gerne mag.

   "Das Paket beginnt leider damit, dass die EZB das OMT-Sicherheitsnetz bestätigen muss", sagte Krämer in Frankfurt. Grund: Die Politik habe sich daran so gewöhnt, dass sie ohne nicht mehr könne. Outright Monetary Transactions (OMT) geben der EZB die Möglichkeit, Staatsanleihen von Ländern zu kaufen, deren Zinsniveau sie deshalb für überhöht hält, weil an den Finanzmärkten das Risiko eingepreist wird, dass diese Länder gegen ihren Willen den Euroraum verlassen müssen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hält den OMT-Beschluss für rechtswidrig, hat aber noch kein abschließendes Urteil gesprochen.

   Die im Zuge der Euro-Krise in die Höhe geschossenen Staatsanleihezinsen der so genannten Peripherieländer waren nach der Zusage von EZB-Präsident Mario Draghi, alles Notwendige und vom EZB-Mandat Gedeckte zu tun, um den Euro zu bewahren, drastisch gesunken.

   Abgesehen davon forderte Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer die EZB aber dazu auf, ihre Politik zu normalisieren. "Die EZB muss ihr Inflationsziel situationsgerecht interpretieren und anerkennen, dass Inflation und Wachstum nach dem Platzen von Blasen längere Zeit niedriger als sonst sind", sagte er. Zudem soll die EZB laut Krämer einen "Schamabstand zum Nullzins herstellen", den er bei 0,5 Prozentpunkten sieht.

   Darüber hinaus sollte sich die EZB ein Beispiel an der US-Notenbank nehmen und einen "neutralen Zins" kommunizieren. Bei der Federal Reserve ist das die Prognose der FOMC-Mitlieder für das langfristige Zinsniveau. "So etwas sollte die EZB auch machen, und zwar in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung und unter Einbeziehung der Vermögenspreise. "Je eher die EZB damit beginnt, desto weniger wird es weh tun", sagte Krämer.

   Allerdings glaubt der EZB-Chefvolkswirt selbst nicht, dass die Zentralbank auf seine Vorschläge eingehen wird - im Gegenteil. Krämer erwartet, dass die EZB ihr Wertpapierankaufprogramm über März 2017 hinaus ausdehnen und den Einlagenzins von minus 0,40 auf minus 0,50 Prozent senken wird. Geschehen wird das seiner Einschätzung nach im Dezember.

   FRANKFURT (Dow Jones)

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