"Graue Schwäne"

Überraschende Ereignisse, die die Märkte 2017 kalt erwischen könnten

23.01.17 08:11 Uhr

Überraschende Ereignisse, die die Märkte 2017 kalt erwischen könnten | finanzen.net

Spätestens nach dem Brexit-Votum und der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten ist klar: Manchmal kommt es auch an den Märkten ganz anders als man denkt. Auch im Jahr 2017 könnten unerwartete Ereignisse ein Börsenbeben auslösen.

Das Auftauchen eines sogenannten schwarzen Schwans bringt nicht erst seit 2016 Börsianer regelmäßig ins Schwitzen. Als "schwarze Schwäne" werden in der Wissenschaft Ereignisse bezeichnet, die vollkommen unerwartet eintreten, weil sie eigentlich als ausgeschlossen gelten. Auch wenn das Phänomen an sich nicht neu ist, so hielt doch 2016 so manchen schwarzen Schwan bereit, der für ordentlich Trubel sorgte: Nicht nur das Brexit-Votum in Großbritannien rüttelte die Märkte gehörig durch, auch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hatte vor einigen Monaten noch als eher unwahrscheinlich gegolten. In beiden Fällen wurde die Welt und wurden die Märkte eines Besseren belehrt.

Welche marktrelevanten Ereignisse könnte das kommende Jahr bereithalten?

Die Frage, ob mit ähnlichen Ereignissen auch im kommenden Jahr 2017 zu rechnen ist, treibt nicht nur Anleger um. Die Investmentexperten des japanischen Finanzhauses Nomura sind dieser Frage etwas genauer nachgegangen und haben eine Reihe möglicher Ereignisse formuliert, die die Märkte 2017 durchrütteln könnten. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um unwahrscheinliche Ereignisse, deren tatsächliches Eintreten jedoch nicht als ausgeschlossen gilt - in der Wissenschaft werden solche Events als "graue Schwäne" bezeichnet. Doch auch mögliche, wenn auch unwahrscheinliche, Ereignisse haben die Märkte in der Vergangenheit schon öfter kalt erwischt. Diese "grauen Schwäne" könnten 2017 laut Nomura zum Landeanflug auf das Börsenparkett ansetzen.

Vom Brexit zum "Bremain" oder gar zum "Brentry"?

Nachdem für viele völlig unerwarteten Brexit-Votum der Briten, ist Großbritannien das formale Einreichen des "Brexit-Gesuchs" bislang noch schuldig geblieben. Sobald der Brexit offiziell anekündigt ist, würde eine zweijährige Frist starten, an deren Ende Großbritannien aus der Europäischen Union austritt. Auch wenn dies allgemein lediglich als eine Frage der Zeit gilt - solange das offizielle Austrittsgesuch nicht eingereicht ist, besteht die theoretische - wenn auch unwahrscheinliche - Möglichkeit, dass der Brexit doch nicht stattfindet. Nomura hat zwei Szenarien definiert, in denen aus dem Brexit doch noch ein "Bremain", also ein Verbleib Großbritanniens in der EU, werden könnte.
Die Briten selbst könnten sich doch noch einmal anders entscheiden. Eigene Abstimmungen über den Brexit in Schottland und Wales sind bislang noch nicht ganz vom Tisch - sollten diese doch noch abgehalten werden, könnten die Ergebnisse dieser Referenden möglicherweise contra Brexit ausfallen. Dies wiederum könnten die Briten als Vorwand nehmen, um den Brexit in letzter Sekunde noch einmal über den Haufen zu werfen.
Ein anderer, ähnlich unwahrscheinlicher, Fall: Die EU gibt nach und startet all die Reformen, die Großbritannien sich immer gewünscht hat, aber nie durchsetzen konnte.
Sollte dieser "graue Schwan" tatsächlich in Erscheinung treten, rechnet Nomura mit einer deutlichen Aufwertung des britischen Pfunds.

Wird Russland wieder militärisch aktiv?

Russlands Vormarsch in Richtung Ukraine ließ die Märkte schon 2014 den Atem anhalten. Wenngleich Nomura ausdrücklich nicht erwartet, dass Russland neue militärische Einsätze, etwa im europäischen Osten, startet - gänzlich ausschließen können es die Analysten nicht. Auch wenn das Analysehaus kursiv und mit Ausrufezeichen versehen ausdrücklich darauf hinweist, dass "man nicht davon ausgeht" - für zumindest theoretisch denkbar halten die Analysten hier etwa ein weiteres Vorstoßen in die Ukraine oder aber ein Konflikt mit dem Balitkum. Als Absicherung vor diesem "grauen Schwan" empfehlen die Analysten etwa ein Investment in baltische Kreditausfallversicherungen.

Fängt die US-Produktivität plötzlich wieder an zu boomen?

Die Produktivität in den USA ist seit Jahren schon rückläufig - mit erheblichen Einflüssen auf die Wirtschaft. Nach den Gründen für die sinkende Produktivitätsrate wird schon seit langem, wenn auch bislang ohne eindeutiges Ergebnis, geforscht. Neben strukturellen Argumenten wie das Ausbleiben von revolutionären technischen Fortschritten werden auch zyklische Argumente genannt - etwa das aktuelle Niedrigzinsumfeld, das Anleger eher zu unproduktiven Investments verleite. Der Konsensus geht zwar nach wie vor da hin, dass die US-Produktivität auch weiterhin anämisch bleiben soll, doch Nomura fragt: "Aber was, wenn wir uns irren"? Für eine Ankurbelung der US-Produktivität könnten etwa die vergleichsweise hohen Investitionen in Ausbildung sowie Forschung und Entwicklung sorgen. Sollte dieses Szenario tatsächlich eintreten, so müssten Anleger jedoch nicht mit negativen Effekten an den Märkten rechnen - die Kurse würden sogar eher gestützt und möglicherweise sogar nach oben gezogen, vermuten die Analysten.

Hört China doch noch auf Trump und gibt den Yuan frei?

Der designierte US-Präsident Donald Trump hat schon im Zuge des Wahlkampfs für viel Wirbel gesorgt. Unter anderem war ihm die chinesische Währungspolitik stets ein Dorn im Auge. Der chinesische Yuan ist nicht den freien Marktkräften unterworfen wie andere Währungen, sondern wird durch die Chinesen fixiert - mal mehr, mal weniger. Trump warf den Chinesen daher wiederholt vor, den Yuan künstlich abzuwerten, um auf diesem Wege US-Unternehmen im Wettbewerb mit der fernöstlichen Konkurrenz Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Nicht nur die Analysten von Nomura sehen die Lage jedoch anders: Vieles spräche eher dafür, dass der Yuan aktuell vielmehr unter Abwertungsdruck stehe und durch den Einfluss der Chinesen eher künstlich verteuert wird. Bislang spricht eigentlich nichts dafür, dass die Volksrepublik von ihrem Kurs abweichen und die Lenkung des Yuan-Wechselkurses aufgeben wird, daher handelt es sich bei diesem Schwan um einen eher "dunkelgrauen Schwan". Sollte China jedoch trotzdem einlenken und den Yuan wider Erwarten frei floaten lassen, dürfte sich dieses Ereignis zu einem regelrechten Schock an den Märkten auswirken - heftige Marktturbulenzen wären die Folge. Nomura würde in diesem Szenario eine starke Abwertung des Yuan erwarten und daraus folgend ein Abfluss von Kapital aus China ins Ausland. Vom befürchteten Ausverkauf an den chinesischen Märkten würde zudem eine große Ansteckungsgefahr auf globaler Ebene ausgehen.

Nimmt Trump die Fed in die Mangel?

Auch die US-Notenbank Fed hatte Trump bereits im Wahlkampf im Visier. Die Fed halte die Zinsen zu niedrig, betätige sich als verlängerter Arm Washingtons und habe eine aufgeblähte Bilanz, die zu kürzen sei, echauffierte sich Trump wiederholt. Nach Trumps offizieller Ernennung zum US-Präsidenten könnte der Milliardär den Druck auf die Federal Reserve erhöhen. Dies könnte im Extremfall sogar zu einem Wechsel an der Spitze der Fed führen und in ein Umschwenken in der Zinspolitik münden. Zumindest der Spielraum für Fed-Chefin Yellen könnte deutlich einengen, sollte Trump die Fed an die Kandare nehmen. Mögliche "Swan-Events" könnten dann beispielsweise eine Rückkehr zum Gold-Standard oder aber die Erweiterung des Inflationsziels um die Asset-Preise sein. Nomura erwartet in diesem Szenario einen rasanteren Anstieg der US-Zinsen, was wiederum den Dollar deutlicher erstarken und die Renditen steigen lassen würde.

Kommt in Japan die Inflation überraschend in Schwung?

Nomura schreibt, dass die Inflation in Japan tatsächlich zuletzt 2014 ein "nennenswertes Niveau" erreichte. Selbst damals war dies nur deswegen der Fall, weil die Umsatzsteuer in Japan erhöht wurde. Für 2017 rechnet niemand wirklich mit einem Anspringen der Inflation in dem Inselstaat - zwischen 0,3 und 0,5 Prozent liegen die Prognosen. Auch Nomura geht nicht davon aus, dass sich hier etwas deutlich verändern wird. Was aber, wenn doch? Laut dem Analysehaus könnte dieser "graue Schwan" recht weitreichende Folgen mit sich bringen. So könnte etwa die positive Korrelation zwischen Öl und dem US-Dollar die Inflation befeuern, wenn die Energie teurer und der Yen billiger wird. Zwar würde die Bank of Japan wohl eine Weile lang die Füße stillhalten und abwarten - letztendlich wäre die Notenbank aber dennoch gezwungen einzuschreiten, sollte sich diese Entwicklung als nachhaltig erweisen. Eine denkbare Maßnahme wäre eine Anhebung der Zinsen. In diesem Szenario erwartet Nomura "extrem negative Auswirkungen auf den japanischen Bondmarkt". Auch auf den globalen Märkten könnte es daraufhin ungemütlich werden, Nomura spricht hier sogar davon, dass diese Entwicklung den Startschuss für einen "Jahre andauernden Bärenmarkt liefern" könnte.

Steht das Papiergeld vor dem Aus?

Steht das Bargeld vor seiner Abschaffung? Verschiedene Entwicklungen in letzter Zeit weisen auf eine klare Antwort hin: Ja, das Papiergeld könnte tatsächlich abgeschafft werden. Doch zumindest für das kommende Jahr 2017 hält Nomura die endgültige Abschaffung des Bargelds noch für unwahrscheinlich. Allerdings wird das Ende des Bargelds nicht zuletzt auch in Deutschland inzwischen öffentlich diskutiert. Auf der Pro-Seite steht unter anderem die Möglichkeit, durch das Bargeld-Aus Kriminalität und den Umlauf von Schwarzgeld besser eindämmen zu können. Eine Abschaffung des Bargelds in der aktuellen Lage hätte jedoch erschreckende Folgen für Sparer und Unternehmen: Vor den niedrigen Zinsen gäbe es in diesem Szenario nahezu kein Entkommen. Nomura befürchtet in diesem Fall "gefährliche Verwerfungen". Sogar gegen Negativzinsen könnten sich Anleger ohne Bargeld kaum noch zur Wehr setzen. Erhebliche Einflüsse auf das Spar- und Anlageverhalten der Bevölkerung wären die Folge.
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Aber allen Negativszenarien zum Trotz: Bei Nomuras "grauen Schwänen" handelt es sich um Ereignisse, die zum aktuellen Stand mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eintreten werden. Zwar haben in der Vergangenheit - auch und vor allem in der jüngeren - einige graue und schwarze "Schwäne" auf den Märkten Einzug gehalten, doch die Regel sind sie nach wie vor nicht.



Redaktion finanzen.net

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