Experte der Société Générale: Kampf gegen Inflation kurz vor Eintritt in neue Phase
Die Inflation in den USA hat sich im Juni stärker als erwartet abgekühlt. Dennoch sieht ein Spitzenökonom der Société Générale noch keinen Grund zum Aufatmen. Für ihn ist die US-Notenbank Fed in ihrem Kampf gegen die Inflation noch nicht am Anfang vom Ende angekommen, sondern erst am Ende vom Anfang.
Werte in diesem Artikel
• US-Inflation schwächt sich im Juni weiter ab, Kerninflationsrate bleibt erhöht
• Société Générale-Experte macht mehrere Faktoren für hohe Kerninflation aus
• Kampf gegen Inflation vor neuer Phase, Rezession zwingend nötig
Im Juni hat sich die Inflation in den USA deutlicher abgeschwächt als erwartet. Laut Angaben des US-Arbeitsministeriums stiegen die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat um 3,0 Prozent - im Mai hatte die Teuerung noch 4,0 Prozent betragen. Die Kerninflationsrate (ohne Energie und Lebensmittel) lag im Juni bei 4,8 Prozent. Auch wenn sich die Inflationsdaten somit allmählich in die gewünschte Richtung entwickeln, liegt vor allem die Kernrate noch deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel der US-Notenbank Fed. Dabei ist sie für die Notenbanker besonders wichtig, da sie laut Ökonomen einen besseren Indikator für die künftige Inflation bietet als die Gesamtinflationsrate.
Auch Kokou Agbo-Bloua, globaler Leiter der Wirtschaftsabteilung bei der Société Générale, blickt mit Sorge auf die anhaltend hohen Kernpreise. In Bezug auf die sinkenden Verbraucherpreise aber die hohe Kerninflation sagte er - in Anlehnung an eine Rede von Winston Churchill während des Zweiten Weltkriegs: "Das ist noch nicht das Ende. Es ist nicht einmal der Anfang vom Ende. Aber es ist vielleicht das Ende vom Anfang". Im Interview mit "CNBC" machte Agbo-Bloua mehrere Faktoren dafür aus, die dafür verantwortlich sein dürften, dass die Kernrate auch weiterhin hoch bleiben wird. Seiner Ansicht nach steht die Fed somit in ihrem Kampf gegen die Inflation nun vor dem Eintritt in eine neue Phase, um auch die Kerninflationsrate weiter nach unten zu drücken.
Experte sieht "Gierflation" bei Unternehmen
Laut Société Générale-Experte Kokou Agbo-Bloua haben mehrere Verhaltensweisen von Regierungen, Unternehmen und Konsumenten zur aktuellen Situation mit der anhaltend hohen Kerninflationsrate geführt. So sei die Ausgabenpolitik während der Corona-Pandemie "die 'Erbsünde' Nummer eins" gewesen. Damals hätten Regierungen riesige Geldsummen ausgegeben - Agbo-Bloua spricht von 10 bis 15 Prozent des BIP - um "die Wirtschaft aufrechtzuerhalten, die in den Winterschlaf versetzt wurde". Dieses zusätzliche Geld befindet sich nun weiterhin im Umlauf und hält so die Inflation hoch. Denn diese entsteht, wenn zu viel Geld zu wenigen Gütern hinterherjagt. Für eine Verknappung auf Angebotsseite haben laut Agbo-Bloua dabei die in den letzten Jahren massiv gestörten Lieferketten und der Ukraine-Krieg gesorgt.
Hinzu kommt laut dem Experten, dass es bei Verbrauchern in der Corona-Pandemie zu einem "massiven Aufbau überschüssiger Ersparnisse" gekommen und diese auf eine "Gierflation" von Seiten der Unternehmen getroffen sei. Bei einer Gierflation treiben Unternehmen die Preise künstlich weiter an, indem sie ihre Produkte teurer machen, als es angesichts gestiegener Produktionskosten eigentlich nötig wäre, und so ihre Gewinne aufpolstern. Laut Agbo-Bloua sei diese Gierflation auch der eigentliche Grund, warum sich die Gewinnmargen vieler Unternehmen auf Rekordniveau bewegen. Da die Verbraucher über die bereits erwähnten Ersparnisse verfügen, können sie aber momentan nicht nur die höheren Preise bezahlen, sie würden angesichts der wirtschaftlichen Lage laut dem Société Générale-Experten momentan sogar höhere Preise für Waren und Dienstleistungen erwarten. Da die Unternehmen somit höhere Produktionspreise problemlos an die Verbraucher weitergeben könnten und es bislang auch kein Problem mit der Refinanzierung gebe, hätten sie eine "natürliche Immunität" gegen die steigenden Zinssätze entwickelt, so Agbo-Bloua.
Höhere Leitzinsen machen die Kreditaufnahme teurer und sind somit normalerweise ein Mittel, mit denen die Notenbanken Unternehmen zum Sparen anregen wollen. Idealerweise sollen sie auf neue Kredite verzichten und stattdessen die Kosten senken, etwa durch Sparprogramme oder Entlassungen. Unternehmen, die nicht in der Lage sind, ihre bereits aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen, schrumpfen, werden übernommen oder gehen pleite. Diese wirkt sich wiederum verlangsamend auf die Wirtschaft aus, erhöht die Arbeitslosigkeit, reduziert die Ausgabebereitschaft der Konsumenten und drückt dadurch auch die Inflation.
Forderung: Fed muss Leitzinsen weiter anheben und Rezession herbeiführen
Laut Agbo-Bloua könne die Fed die hohe Kerninflation in den USA auch jetzt nur in den Griff bekommen, wenn sie eine Rezession auslöst. "Die Zentralbanken müssen eine Rezession auslösen, um einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu erzwingen und eine ausreichende Nachfragezerstörung herbeizuführen, aber das haben sie noch nicht erreicht", sagte er bei "CNBC". Die US-Notenbanker müssen daher seiner Meinung nach die Leitzinsen so lange weiter erhöhen, bis es zu einer Rezession kommt. Das sei auch nötig, um ihre Glaubwürdigkeit zu behalten. Tatsächlich erwartet der Markt momentan auch noch mindestens eine Zinserhöhung durch die Fed in diesem Jahr.
Wie Kokou Agbo-Bloua im Interview mit "CNBC" weiter erklärte, sind die Auswirkungen der Geldpolitik in der realen Wirtschaft oft erst mit einer Verspätung von drei bis fünf Quartalen zu spüren. Aufgrund der hohen Ersparnisse der Verbraucher, die hier als eine Art Puffer wirken, dürfte die zeitliche Verzögerung dieses Mal aber sogar noch größer ausfallen. "Wir gehen davon aus, dass es in den USA im ersten Quartal des nächsten Jahres zu einer Rezession oder Verlangsamung kommen wird, weil wir davon ausgehen, dass die kumulative Straffung letztendlich ihre Auswirkungen haben und nicht verschwinden wird", so der Experte der französischen Großbank. Die Rezession werde sich dann zuerst in den Gewinnspannen der Unternehmen bemerkbar machen. Als zweites würden sich dann auch die Verbraucherausgaben verlangsamen. "Wenn man sich die aktuelle Entwicklung der Zinssätze ansieht, sieht es so aus, als ob es zu einer weiteren Straffung kommen könnte, bevor dies wahrscheinlich der Fall ist", so Agbo-Bloua. Die nächste Zinssitzung der US-Notenbank Federal Reserve findet am 25. und 26. Juni statt.
Für Europa erwartet der Experte übrigens keine Rezession, sondern lediglich eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums.
Redaktion finanzen.net
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