Fall Wirecard: Opposition fordert von Regierung umfassende Aufklärung - BaFin räumt wohl Falschinformationen ein
Die Opposition hat die Bundesregierung zu einer umfassenden Aufklärung im Wirecard-Skandal aufgefordert. "Die Liste der offenen Fragen ist in den letzten Tagen nicht kürzer, sondern nur länger geworden", sagte die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus der Deutschen Presse-Agentur vor einer Sondersitzung des Finanzausschusses an diesem Mittwoch.
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Der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar sagte der dpa: "Entscheidend wird sein, ob man der Bundesregierung abnehmen und zutrauen darf, diesen beispiellosen Skandal umfassend aufzuklären." Daran seien erhebliche Zweifel angebracht. Die SPD forderte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf, mehr zur Aufarbeitung zu tun.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Altmaier stellen sich am Nachmittag im Finanzausschuss Fragen der Abgeordneten. Die Sitzung ist nicht-öffentlich. Oppositionspolitiker erwägen einen Untersuchungsausschuss.
Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von einem "gewerbsmäßigen Bandenbetrug" aus, und zwar seit 2015. Mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein.
Der Skandal hatte auch die Bundesregierung in Erklärungsnot gebracht. Zentrale Fragen sind, wann genau sie von Unregelmäßigkeiten wusste, ob sie zu wenig dagegen unternommen hat - und ob die Regierung womöglich Wirecard unterstützte, obwohl der Verdacht von Unregelmäßigkeiten bereits im Raum stand.
"Wir müssen einen großen Schritt bei der Aufklärung vorankommen", sagte Paus. "Wir brauchen volle Transparenz von allen Beteiligten: dem Finanz- und Wirtschaftsministerium und dem Kanzleramt." Es sei zu bedauern, dass sich Vertreter des Kanzleramtes trotz expliziter Einladung nicht den Fragen des Parlaments stellten. "So ist klar, dass dies nicht der letzte Termin gewesen sein wird. Statt politischer Spielchen und Vorwahlkampf brauchen wir jetzt Sachaufklärung." Es müsse jedes Mittel genutzt werden, um eine schnelle und umfassende Aufklärung voranzutreiben: "Das sind wird den Anlegerinnen und Anlegern sowie der deutschen Öffentlichkeit schuldig. Das kann bedeuten, dass am Ende auch ein Untersuchungsausschuss unvermeidbar ist."
Toncar sagte, Scholz und die gesamte Bundesregierung hätten sich vor allem selbst bescheinigt, nichts falsch gemacht zu haben. Viele Fragen aber seien nicht überzeugend beantwortet worden: "Die letzte Gelegenheit dafür sehe ich in der Sondersitzung. Die Bürger dürfen erwarten, dass hier jeder Stein umgedreht wird und das Fehler nicht aus Rücksicht auf Personen, auch nicht auf die Kanzlerambitionen von Olaf Scholz, unter den Teppich gekehrt werden."
Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion Michael Theurer sagte am Dienstag: "Wenn die Abgeordneten in einer klärenden Ausschuss-Sitzung nicht korrekt informiert werden, schreit dies geradezu nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss." Scholz solle die Sitzung nutzen, "um seine Rest-Chance auf eine Kanzlerkandidatur zu wahren und endlich für Transparenz sorgen", sagte Theurer. "Dieser ausgewachsene Finanz- und Polit-Skandal lässt sich nicht weiter schön- und kleinreden."
Die SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe sagte der dpa: "Wirecard ist vor allem ein Skandal der Wirtschaftsprüfer. Minister Altmaier muss endlich erklären, wieso die Aufsicht der Wirtschaftsprüfer hier nicht eingeschritten ist." Altmaier müsse "raus aus der Deckung" und Verantwortung übernehmen. Ob ein Untersuchungsausschuss notwendig sei, werde der Verlauf der Sitzung zeigen. "Ich gehe davon aus, dass es mindestens weitere Sitzungen des Finanzausschusses zu dem Thema geben wird. Es wird auch eine Rolle spielen, wie transparent das Wirtschaftsministerium reagiert."
Ein großes Wirtschaftsprüfungsunternehmen hatte für die Wirecard-Jahresabschlüsse von 2009 bis 2018 jeweils einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt. Manipulationen wurden nicht erkannt.
Scholz hatte als Konsequenz aus dem Skandal einen Aktionsplan vorgelegt. Um die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer zu stärken, soll ein Prüfunternehmen maximal zehn Jahre lang für eine Firma zuständig sein - dann ist eine Rotation fällig. Außerdem soll die Rolle der Finanzaufsicht Bafin bei der Bilanzkontrolle gestärkt werden. Der Plan ist in der Regierung aber noch nicht abgestimmt.
Beim Wirtschaftsministerium ist die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer angesiedelt. Eine Sprecherin Altmaiers aber hatte betont, die Abschlussprüferaufsichtsstelle APAS sei eine unabhängige berufsrechtliche Aufsicht über Wirtschaftsprüfer. Regelungen für die Wirtschaftsprüfer und die Anforderungen an die Prüfungen lägen in der Zuständigkeit des SPD-geführten Justizministeriums.
BaFin räumt Falschinformation im Wirecard-Skandal ein
Im Wirecard-Bilanzskandal hat die Finanzaufsichtsbehörde BaFin nach einem Bericht des "Spiegel" eine Falschinformation an die Abgeordneten des Bundestages eingeräumt.
Entgegen den Angaben von Behördenchef Felix Hufeld hätten die Bankenaufsicht und die Polizei in Singapur seit Anfang 2019 mit der BaFin kooperiert, zitierte der "Spiegel" am Dienstagabend eine BaFin-Sprecherin. Sie hätten der BaFin Informationen zur Verfügung gestellt. Hufeld hatte dagegen am 1. Juli im Finanzausschuss laut dem auch Reuters vorliegenden Protokoll gesagt, seine Behörde warte "bis heute auf eine Antwort" der Polizei in Singapur.
Am Dienstagabend teilte die BaFin in einer Stellungnahme zu dem Bericht mit, Hufeld habe "den Bundestag zutreffend darüber informiert, dass die BaFin auf eine Antwort der zuständigen Behörden in Singapur zum Ergebnis der dortigen Ermittlungen gegen den Wirecard-Konzern wartet". Die Partnerbehörde aus Singapur habe lediglich mitgeteilt, dass noch kein Ergebnis der Ermittlungen vorliege. "Die BaFin wartet daher weiterhin auf eine Antwort zu ihrem 'request for assistance' bezüglich der Marktmanipulationsvorwürfe gegen die Wirecard AG", hieß es.
Die BaFin räumte ein, die Aussagen Hufelds in bezug auf die Behörde in Singapur seien unpräzise gewesen. Demnach stand die BaFin mit der Partnerbehörde MAS in Kontakt. Von der sei eine Rückmeldung gekommen, "die aber lediglich auf die laufenden Ermittlungen verwiesen und noch kein Ergebnis enthalten hat".
Hufeld hatte im Finanzausschuss erklärt, seine Behörde habe selbstverständlich mit ausländischen Partnerbehörden Kontakt aufgenommen. Die Aufsichtsbehörde in Singapur sei unmittelbar nach dem Vorliegen konkreter Hinweise kontaktiert und um Amtshilfe gebeten worden. Diese habe geantwortet, sie sei nicht zuständig, sondern die Polizei. Daraufhin habe die BaFin auch die Polizei angeschrieben und warte bis heute auf eine Antwort, heißt es im Protokoll.
Der "Spiegel"-Bericht erschien am Vorabend einer Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestages. Vor den Abgeordneten sollen am Mittwoch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Rede und Antwort stehen zu möglichen Versäumnissen der Finanzaufsicht und der Wirtschaftsprüfer. Scholz hat die Aufsicht über die BaFin.
Anfang 2019 hatte es erste Medienberichte über mutmaßliche Bilanzierungstricks bei Wirecard in Singapur gegeben. Von dort aus wurde das Asiengeschäft des DAX-Unternehmens gesteuert. Der Zahlungsabwickler hatte im Juni Insolvenz anmelden müssen, weil sich mutmaßliche Guthaben von 1,9 Milliarden Euro als gefälscht erwiesen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die frühere Unternehmensführung wegen bandenmäßigen Betrugs.
BERLIN (dpa-AFX / Reuters)
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