EZB-Ratsmitglied Villeroy de Galhau: EZB wird nicht um Leitzinserhöhung im September herumkommen
EZB-Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau hat sich für eine deutliche Leitzinsanhebung durch die Europäische Zentralbank (EZB) im September ausgesprochen.
Beim geldpolitischen Symposium in Jackson Hole sagte er laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg, die EZB müsse ihre Zinsen auf ein neutrales Niveau anheben, was bis Jahresende geschafft sein könne, wenn die EZB ihre Zinsen im September "signifikant" erhöhe.
Im Vorfeld der kommenden Ratssitzung hat sich EZB-Direktorin Isabel Schnabel verklausuliert für einen Zinsschritt von 50 Basispunkte ausgesprochen, während EZB-Direktor Fabio Panetta vor zu starken Zinsschritten warnte und einige namentlich nicht genannte "Falken" laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters die Absicht bekundeten, über einen Zinsschritt von 75 Basispunkten zu diskutieren.
Der EZB-Rat hatte im Juli die Zinsen entgegen der eigenen Forward Guidance um 50 Basispunkte erhöht und zugleich die Guidance kassiert, der zufolge im September ein Zinsschritt von mehr als 25 Basispunkten gerechtfertigt sein könnte.
Villeroy de Galhau sagte: "Wir können graduell vorgehen, aber wir sollten nicht zu langsam sein und die Normalisierung hinauszögern, bis höhere Inflationserwartungen uns zu aggressiven Zinserhöhungen zwingen. Wichtig ist jedoch, dass wir geordnet vorgehen, um eine unangemessene Volatilität der Märkte und letztlich der Wirtschaft zu vermeiden."
Der Gouverneur der Banque de France stellte zudem Diskussionen über eine Veränderung der Einlagenzinses für Banken in Aussicht. Die Zahlung von Einlagenzinsen würde dem Bankensystem Villeroy zufolge ein beträchtliches risikofreies Einkommen und dem Eurosystem einen ähnlichen Verlust bescheren, Ersteres könnte die geldpolitische Transmission gefährden. "Wir müssen über ein Reservevergütungssystem nachdenken, das an diesen neuen Kontext angepasst ist", sagte er. "Wir werden diese Bewertung zügig und pragmatisch durchführen und dabei verschiedene Optionen in Betracht ziehen, die im Laufe der Geschichte und in verschiedenen Ländern bestanden haben."
Schnabel: EZB muss entschlossen gegen Inflation vorgehen
Die Europäische Zentralbank (EZB) muss nach den Worten von EZB-Direktorin Isabel Schnabel entschlossen gegen die sehr hohe Inflation vorgehen. Schnabel sagte beim geldpolitischen Symposium in Jackson Hole, wenn die Hartnäckigkeit der Inflation unklar sei, müsse die Zentralbank kraftvoll handeln, wobei egal sei, ob es sich um einen angebots- oder nachfrageseitigen Schock handele."Wenn eine Zentralbank die Persistenz der Inflation unterschätzt - wie es die meisten von uns in den vergangenen anderthalb Jahren getan haben - und wenn sie ihre Politik infolgedessen nur langsam anpasst, können die Kosten beträchtlich sein", warnte Schnabel.
Einen weiteren Grund für eine im Zweifel entschlossenen Reaktion der Zentralbank auf eine erhöhte Inflation sieht die EZB-Direktorin in der Notwendigkeit, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu bewahren bzw. zu gewinnen. "Umfragen deuten darauf hin, dass der Anstieg der Inflation das Vertrauen in unsere Institutionen zu schwächen beginnt. Vor allem junge Menschen haben keine lebendige Erinnerung an die Inflationsbekämpfung durch die Zentralbanken", sagte Schnabel.
Die EZB beobachte einen stetigen und anhaltenden Anstieg der mittel- und langfristigen Inflationserwartungen in Teilen der Bevölkerung, der die Gefahr berge, dass die Inflation über den ersten Schock hinaus anhalte. Die EZB-Direktorin verwies darauf, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen auf 3 bis 5 Prozent zugelegt hätten und die langfristig auf 2,2 Prozent.
Schnabel zufolge drängen sich zwei Erklärungen für den Anstieg der Inflationserwartungen auf: "Die eine ist, dass die höheren mittelfristigen Inflationserwartungen auf den Eindruck zurückzuführen sein könnten, dass die Geldpolitik zu langsam auf die derzeitige hohe Inflation reagiert hat", sagte sie.
Ein Grundprinzip einer optimalen Geldpolitik bei einer über dem Zielwert liegenden Inflation bestehe darin, die Zinsen um mehr als die Veränderung der erwarteten Inflation anzuheben - das Taylor-Prinzip. "Wenn die realen kurzfristigen Zinssätze nicht steigen, ist die Geldpolitik im Umgang mit der hohen Inflation unwirksam."
Als zweite Erklärung bietet sich Schnabel zufolge an, dass die höheren Inflationserwartungen grundlegendere Bedenken widerspiegeln, möglicherweise im Zusammenhang mit der Dominanz der Steuer- und Finanzpolitik oder mit der jüngsten Überprüfung des geldpolitischen Rahmens der Zentralbanken, die sich mehr auf die Herausforderungen einer zu niedrigen als einer zu hohen Inflation konzentriert habe.
"All diese Faktoren könnten dazu geführt haben, dass die Inflationstoleranz höher und der Wunsch nach einer Stabilisierung der Produktion stärker geworden ist", sagte die EZB-Direktorin. Um diese Wahrnehmung zu durchbrechen, seien entschlossene Maßnahmen erforderlich. "Wenn die Ungewissheit über unsere Reaktionsfunktion das Vertrauen in unser Engagement für die Sicherung der Preisstabilität untergräbt, ist ein vorsichtiger Ansatz bei der Politikgestaltung nicht mehr der richtige Weg."
Schnabel nannte schließlich noch ein dritten Argument für ein entschlossenes Vorgehen der Zentralbanken: Handelten sie zu spät, dann könnten die Kosten dieses Zögerns noch höher ausfallen als in den 1980er Jahren. Gründe hierfür seien die geringere Zinssensitivität der Volkswirtschaften, der schwächere Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation und die stärkere Relevanz globaler Faktoren für die Inflationsentwicklung.
EZB-Chefvolkswirt Lane plädiert für möglichst stetige Zinserhöhungen
Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte ihre Zinsen nach Aussage von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane in einem möglichst gleichmäßigen Tempo in Richtung des angestrebten Niveaus anheben. Bei der Jahrestagung der Central Bank Research Association in Barcelona sagte Lane laut veröffentlichtem Redetext: "Man muss sich klarmachen, dass die mittleren und längeren Segmente der Renditekurve, die für die Finanzierungsbedingungen in der Wirtschaft am wichtigsten sind, viel stärker auf den erwarteten Zielsatz (terminal rate) reagieren als auf den genauen Zeitplan für die Annäherung an diesen Satz. Ein gleichmäßiges Tempo - weder zu langsam noch zu schnell - bei der Annäherung an den angestrebten Zins ist aus mehreren Gründen wichtig."
Folgende Punkte werden nach Aussage des EZB-Chefvolkswirts für die EZB wichtig sein, wenn sie wie geplant von Meeting zu Meeting über ihre Geldpolitik entscheidet:
1. Das Finanzsystem sollte die Möglichkeit haben, Zinsänderungen schrittweise zu verarbeiten. Eine bestimmte kumulierte Zinserhöhung in kleinen Schritten ist Lane zufolge besser für die Finanzstabilität als eine kleine Serie großer Zinserhöhungen. "Bei der Kalibrierung einer mehrstufigen Serie wird die angemessene Größe der einzelnen Schritte natürlich umso größer sein, je größer der Abstand zum Zielzins und je stärker die Risiken für das Inflationsziel sind", versicherte er.
2. Ein mehrstufiger Zinsanpassungspfad ist Lane zufolge auch wegen der hohen Unsicherheit bezüglich Inflationsdynamik und geldpolitische Transmission ratsam. So seien auch zwischenzeitliche Korrekturen des geldpolitischen Kurses leichter vorzunehmen. Anlass könnten neue Schocks, eine Straffung der Finanzkonditionen durch geldpolitische Einflüsse aus anderen Wirtschaftsräumen oder eine veränderte Risikowahrnehmung an den globalen Finanzmärkten sein. Selbst im aktuellen Umfeld müsse die EZB Größe und Geschwindigkeit der Zinserhöhungen flexibel anpassen können.
3. Die langfristigen Inflationserwartungen sind nach Lanes Aussage "im Großen und Ganzen nahe 2 Prozent verankert". Zudem kommt in Umfragen Sorge wegen einer möglichen Konjunkturabkühlung zum Ausdruck, die die Inflation bremsen würde. Dieses Ergebnis spricht Lane zufolge dafür, dass Experten und Haushalte verstehen, dass die aktuell hohe Inflation von Angebotsfaktoren ausgelöst wird, die mit der Zeit schwinden werden und dass auch die bereits ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen in diese Richtung wirken.
4. Der EZB-Chefvolkswirt sprach sich dagegen aus, die Höhe des Zielzinses zu kommunizieren. "Die Kommunikation des wahrscheinlichsten Pfads künftiger Zinserhöhungen könnte grundsätzlich ein wirksames geldpolitisches Instrument sein, das hat aber den potenziellen Nachteil, dass es die Komplexität der Kommunikation erhöht - insbesondere, wenn es von einer Sitzung zur nächsten wesentliche Änderungen des erwarteten geldpolitischen Pfads gibt", gab Lane zu bedenken.
FRANKFURT (Dow Jones)
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