EZB-Rat debattiert über stärkere Zinserhöhungen
Im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) gewinnen die geldpolitischen "Falken" angesichts überraschend hoher Inflationszuwächse immer mehr Oberwasser.
Bei den Beratungen am 8./9. Juni 2022 setzten sie die Quasi-Vorankündigung eines "großen" Zinsschritts im September durch und forderten zudem einen großen Schritt bereits für Juli, wie aus dem jetzt veröffentlichten Protokoll hervorgeht. Einer weiterhin "graduellen" Normalisierung der Geldpolitik stimmten sie nur nach der Versicherung zu, dass mit graduell nicht notwendigerweise langsam gemeint sei.
Der EZB-Chefvolkswirt hatte laut dem Protokoll dem Rat vorgeschlagen, im Juni eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte im Juli zu signalisieren und für September eine Zinserhöhung entsprechend dem sich dann abzeichnenden Inflationsausblick in Aussicht zu stellen. Beschlossen wurde aber, dass die Zinsen im September um mehr als 25 Basispunkte erhöht werden sollen, wenn sich der Inflationsausblick nicht bessere.
25 Basispunkte keine unbedingte Verpflichtung
Die Falken im Rat hatten außerdem gefordert, dass die Ankündigung von 25 Basispunkten für Juli nicht als unbedingte Verpflichtung anzusehen sind, weil "der EZB-Rat sich den Ermessensspielraum vorbehalten muss, die Höhe des Zinsschritts anzupassen, falls neue Informationen, die bis zur Juli-Sitzung vorliegen, die mittelfristigen Inflationsaussichten wesentlich beeinflussen". Tatsächlich war die Inflation im Juni erneut stärker als erwartet gestiegen.
Die Falken drückten zudem erneut ihr Misstrauen gegenüber den Inflationsprognosen des EZB-Stabs aus, die weiterhin einen steilen Abwärtstrend für die nächsten Jahre zeigten, was wahrscheinlich auf die Konstruktion der verwendeten Modelle zurückzuführen sei. "Diese 'eingebaute' Konvergenz vernachlässigt das Problem aufeinander folgender negativer Schocks und die Möglichkeit einer größeren Persistenz und/oder eines nichtlinearen Verhaltens, die derzeit die größten Herausforderungen für die Beurteilung der Inflationsaussichten darstellen", heißt es in dem Dokument.
Graduell heißt nicht langsam
Die Mitglieder waren sich demnach weitgehend einig, dass der geldpolitische Normalisierungsprozess weiterhin von den vier Grundsätzen der Optionalität, der Datenabhängigkeit, des Gradualismus und der Flexibilität geleitet werden sollte. "Unterschiedliche Auffassungen gab es jedoch zur Notwendigkeit und zur Auslegung von Gradualismus sowie zu der Frage, wie der Gradualismus in der Praxis mit der Notwendigkeit der Datenabhängigkeit und der Optionalität in einem unsicheren Umfeld in Einklang gebracht werden kann."
Laut Protokoll einigten sich die Ratsmitglieder darauf, dass "die anhaltende Abfolge von Zinserhöhungen in den kommenden Quartalen, wie sie sich in den Markterwartungen und den Projektionen der Experten widerspiegelt, als graduell bezeichnet werden kann".
Der EZB-Rat hat die Märkte am 9. Juni erneut "hawkish" überrascht, obwohl den Falken im Rat von EZB-Präsidentin Christine Lagarde bereits im Vorfeld die Flügel gestutzt worden waren: Keine sofortige Zinserhöhung und im Juli nur ein kleiner Zinsschritt, lautete die Vorgabe. Daran hielt sich der Rat in seinem Beschluss. Über diese Punkte hinaus signalisierte die EZB jedoch einen großen Zinsschritt im September sowie Serie von Zinsanhebungen, deren Höhe und Dauer von dem sich entwickelnden Inflationsausblick abhängen wird.
EZB will wohl Spreads mit TPM kontrollieren - Zeitpunkt unklar
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg einen Namen für das Anleihekaufprogramm gefunden, mit dem sie die Renditedifferenzen (Spreads) der Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder gegenüber Bundesanleihen begrenzen will. Es sei jedoch nicht klar, ob die EZB das "Antifragmentierungsinstrument" bereits bei der EZB-Ratssitzung am 21. Juli 2022 beschließen kann, wie die Agentur unter Berufung auf informierte Personen berichtet. Der Name ist Transmission Protection Mechanism (TPM).
Er deutet die Absicht der EZB an, über eine Begrenzung der Spreads die Übertragung des geldpolitischen Signals in alle Länder des Euroraums abzusichern. Die Staatsanleiherenditen sind eine Benchmark für alle Kredite, die an Unternehmen eines Landes vergeben werden. EZB-Vizepräsident Luis de Guindos hatte kürzlich gesagt: "Bei zwei gleichermaßen soliden Unternehmen im Euroraum sollte eine Änderung des geldpolitischen Kurses zu einer ähnlichen Reaktion bei ihren Finanzierungsbedingungen führen, unabhängig davon, in welchem Land sie ansässig sind."
Während man in Frankfurt laut dem Bericht zuversichtlich ist, dass die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten bezüglich des TPM letztendlich überwunden werden können, gibt es weiterhin Debatten über die Taktik, und es sind noch viele Details zu klären, wie die Personen sagten. Diskutiert wird demnach weiterhin darüber, wie verhindert werden kann, dass solche Anleihekäufe die Wirkung von Zinserhöhungen konterkarieren, und welche Bedingungen für die Regierungen gelten sollen, die von solchen Käufen profitiert. Auch rechtliche Hürden spielten eine Rolle.
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)
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