Konjunkturerholung

Zinswende: Warum Aktien trotzdem attraktiv bleiben

20.03.22 17:09 Uhr

Zinswende: Warum Aktien trotzdem attraktiv bleiben | finanzen.net

Die überraschende Inflationsdynamik, die Zinswende und der Ukraine-Krieg schütteln die Märkte durch. Trotz der aktuellen Gemengelage und einigem Gegenwind büßt die Anlageklasse Aktien nicht so schnell ihre Attraktivität ein.

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von Benjardin Gärtner, Gastautor von Euro am Sonntag

Seit Beginn des Jahres geht es an den Aktienmärkten turbulent zu. Grund ist das Spannungsfeld zwischen einer stärker als erwarteten Inflationsdynamik, der Zinswende und dem inzwischen eskalierten Ukraine-Konflikt auf der einen und der wirtschaftlichen Erholung auf der anderen Seite. Investoren reagieren mit hoher Sensibilität.

Vor allem der Schwenk der Notenbanken hin zu einer Normalisierung der Geldpolitik sorgt an den Märkten für Wirbel. Die US-Notenbank Federal Reserve und die Europäische Zentralbank wollen angesichts des aktuell anhaltenden stärkeren Preisdrucks die geldpolitischen Zügel schneller anziehen, als es die Märkte noch im vergangenen Jahr erwartet hatten.

Die höheren Zinsen und in Folge höhere Anleiherenditen lasten auf der Bewertung von Aktien. Denn der Aktienkurs spiegelt die zukünftigen Gewinne eines Unternehmens bewertet zum heutigen Tag wider; die Bewertung wird auf Basis der Zinsen berechnet - steigen diese, sind künftige Gewinne zum heutigen Tag weniger wert. Die Folge: Der Aktienkurs fällt. Das betraf vor allem Wachstumswerte wie Technologie-Unternehmen, weil sie einen großen Teil ihrer Gewinne oft erst in der Zukunft erwirtschaften. Value-Werte waren hingegen gesucht, weil ihre Erträge zeitnah anfallen. Zu ihnen zählen etwa Banken, die außerdem vom aktuellen Zinsumfeld profitieren. Auch Energiewerte gelten als Value-Titel, sie stützt zusätzlich der anhaltend hohe Ölpreis.

Doch auch wenn die Aktienmärkte noch eine Zeit lang schwankungsanfällig bleiben dürften, sind die Kurse durch die gute Ertragslage der Unternehmen unterstützt. Das bestätigt auch die aktuelle Berichtssaison. In diesem Jahr dürften global die börsennotierten Firmen ein Gewinnwachstum von acht Prozent erreichen.

Viele Unternehmen beweisen, dass sie ihre durch die Inflation gestiegenen Kosten über höhere Preise weitergeben können. Diese Preissetzungsmacht nutzen vor allem große Unternehmen mit starker Marktstellung. Teilweise können sie sogar ihre Profitabilität verbessern, ohne dass sie dadurch weniger Nachfrage fürchten müssen. Vor allem bei europäischen Unternehmen ist zuletzt die Preissetzungsmacht deutlich gestiegen, während sie in den USA auf sehr hohem Niveau nur leicht zurückgeht.

Zudem sorgt die derzeitige Konjunkturlage an den Aktienmärkten für Rückenwind. Die Weltwirtschaft wächst auch, weil sich eine Entspannung der Lieferkettenproblematik abzeichnet. So sind die Schiffs-Staus in Asien und an der US-Westküste deutlich rückläufig. Infolgedessen gehen die Frachtraten zurück, die Lieferzeiten werden kürzer und die Lagerbestände steigen. Noch ist der Normalzustand reibungslos funktionierender Lieferketten nicht erreicht, dies wird erst im Jahresverlauf der Fall sein. Dennoch hat die Normalisierung begonnen.

Bewertungskorrekturen nicht nur durch die Zinswende

Nicht nur kurzfristig bleiben Aktien als Anlageklasse attraktiv. Insbesondere langfristig stehen wir vor einem neuen Investitionszyklus. Globale Umbrüche wie die Dekarbonisierung, Demografie, Digitalisierung und Deglobalisierung bieten neue Chancen für entsprechend aufgestellte Unternehmen.

Aktuell sucht der Markt aber noch nach seinem neuen Gleichgewicht. In dieser Gemengelage ist es sinnvoll, nicht auf Indizes oder Branchen, sondern auf Einzeltitel zu blicken. Denn auch in turbulenteren Zeiten gibt es Unternehmen, die sich den volatilen Märkten entziehen können. Um diese zu finden, analysieren aktive Portfoliomanager die Qualität des Geschäftsmodells, die Fähigkeiten des Managements und die Bewertung des Unternehmens. In der Regel zielt man hier auf unterbewertete Aktien, also Papiere, die günstiger sind als ähnliche Unternehmen der gleichen Branche. Gesucht wird ein Auslöser, der den Kurs steigen lassen und die Unterbewertung auflösen könnte. Das kann etwa ein beschleunigter Umsatz aufgrund einer Produktinnovation, ein Managementwechsel oder eine Veränderung im Geschäftsfeld sein.

Die derzeit durch die Zinswende und die geopolitische Situation eingeleiteten Bewertungskorrekturen bieten also Einstiegsmöglichkeiten bei entsprechenden Unternehmen - unabhängig von der Branche. Denn ein fallender Kurs bei gleichbleibendem Gewinnbild bedeutet, dass die Aktie attraktiver wird. Das setzt immer voraus, dass sich die grundsätzliche Ausgangslage nicht ändert. Unterm Strich bleiben Aktien also auch im Jahr 2022 eine attraktive Anlageklasse und können als Inflationsausgleich dienen.

Benjardin Gärtner
Leiter Portfoliomanagement Aktien bei Union Investment

Gärtner ist Mitglied des Union Investment Committee, das auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment formuliert. Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell rund 370 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.











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Bildquellen: Union Investment, MichaelJayBerlin / Shutterstock.com