EZB leitet Zinswende ein: Euroraum-Leitzins steigt nach mehr als einem Jahrzehnt
Die Europäische Zentralbank hat erstmals seit rund elf Jahren ihre Geldpolitik angepasst und den Leitzins für die Eurozone angehoben.
Nachdem die US-Notenbank Federal Reserve die Zinswende bereits vor Monaten eingeleitet hatte und auch die Schweizerische Nationalbank jüngst überraschend eine Leitzinsanhebung verkündete, zog die EZB am Donnerstag nach: Sie hob den Leitzins für die Eurozone um 0,5 Prozentpunkte auf 0,5 Prozent an - erstmals seit 2011.
Investoren hatten im Vorfeld eine Leitzinsanhebung um 0,25 Prozent bereits eingepreist, auch ein Zinssprung um 0,50 Prozent war am Markt für möglich gehalten worden.
Reaktion auf explodierende Inflation
Die Währungshüter reagierten mit diesem Schritt auf die hohen Inflationsraten. Zuletzt waren die Verbraucherpreise in der Eurozone um 8,6 Prozent auf ein neues Rekordhoch gestiegen - sie liegen damit deutlich über dem Inflationsziel der EZB, das bei zwei Prozent festgelegt wurde.
Der Statisikbehörde Eurostat zufolge kletterten die Preise für Energie im Juni im Vergleich zum Vorjahr um 41,9 Prozent, bereits im Mai war es hier um 39,1 Prozent nach oben gegangen. nach einem Preisschub von 39,1 Prozent im Mai. Die Teuerungsrate unverarbeiteter Nahrungsmitteln erhöhte sich auf 11,1 (9,0) Prozent. Industriegüter ohne Energie verteuerten sich um 4,3 (4,2) Prozent und Dienstleistungen um 3,4 (3,5) Prozent.
Die sogenannte Kernteuerung, die besonders volatile Preise außen vor lässt, gab im Juni leicht nach. Die Kernrate (ohne die Preise von Energie, Nahrungsmitteln, Alkohol und Tabak) sank auf 3,7 (Vormonat: 3,8) Prozent. Die Kernrate gilt unter Ökonomen als Richtgröße für den Inflationstrend.
Weitere Zinserhöhungen voraus
Die erste Zinserhöhung der EZB seit elf Jahren dürfte nicht die letzte sein. Die Währungshüter hatten im Vorfeld bereits anklingen lassen, dass man den Leitzins auch im weiteren Jahresverlauf erneut anheben werde. Auch in den USA und in anderen Ländern außerhalb der Eurozone werden Währungshüter zur Inflationsbekämpfung voraussichtlich weiter zu Leitzinserhöhungen greifen.
Die EZB bewegt sich mit ihrer Geldpolitik in einem unsicheren Umfeld. Nachdem der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Lage insbesondere bei den Energie- und Lebensmittelpreisen - verschärft hatte, drohen Folgen für das europäische Wirtschaftswachstum. Zu schnelle Zinsanhebungen könnten insbesondere für hoch verschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden.
EZB legt neues Anti-Krisen-Programm auf
Um sicherzustellen, dass Zinserhöhungen Länder wie zum Beispiel Italien nicht über Gebühr belasten und um eine Fragmentierung des Währungsraums zu verhindern, legt die EZB ein neues Anti-Krisen-Programm auf, das sogenannte Transmission Protection Instrument (TPI)."Das TPI wird das Instrumentarium des EZB-Rats ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen", erklärte die Notenbank. "Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt."
Die Arbeiten an diesem neuen Anti-Krisen-Instrument hatte die EZB nach Unruhen an den Finanzmärkten Mitte Juni forciert. Der Renditeabstand - der Spread - zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer, insbesondere Italiens, hatte sich nach der EZB-Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Sommer ausgeweitet. Heißt: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Geld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.
Doch die hartnäckig hohe Inflation zwingt die EZB zum Handeln. Der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik werde "entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden", hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Ende Juni gesagt. Andere Notenbanken wie die US-Fed und die Bank of England haben ihre Zinssätze bereits mehrfach angehoben.
TPI: EZB will sich auf Ankauf öffentlicher Wertpapiere konzentrieren
Die Europäische Zentralbank (EZB) will sich mit ihrem neuen geldpolitischen Instrument TPI auf den Ankauf öffentlicher Wertpapiere konzentrieren. Dazu zählen etwa Staatsanleihen. Die Restlaufzeit der Papiere solle sich zwischen einem und zehn Jahren bewegen, teilte die EZB nach ihrer Zinssitzung am Donnerstag in Frankfurt mit. Der Kauf privater Wertpapiere, etwa Unternehmensanleihen, könne erwogen werden, falls dies erforderlich sei.
Die Notenbank hatte am Donnerstag auf ihrer Zinssitzung ein neues Instrument mit dem Namen Transmission Protection Instrument (TPI) ins Leben gerufen. Es soll helfen, die Geldpolitik der Notenbank gleichmäßig in die 19 Euroländer zu übertragen. Der EZB-Rat erachtet das Instrument angesichts der begonnenen geldpolitischen Straffung als erforderlich. Es soll gegen "ungerechtfertigte und ungeordnete" Marktbewegungen helfen, die nicht durch länderspezifische Fundamentalentwicklungen erklärbar sind.
Das Ausmaß der jeweiligen Käufe hänge vom jeweiligen Risiko für den geldpolitischen Übertragungsweg ab und sei zunächst (ex ante) unbegrenzt. Bei seiner Entscheidung über mögliche Anleihekäufe will der EZB-Rat vier Kriterien berücksichtigen, darunter die Befolgung fiskalischer EU-Vorgaben, die Abwesenheit makroökonomischer Ungleichgewichte, fiskalische Nachhaltigkeit sowie die Qualität der Wirtschaftspolitik.
Redaktion finanzen.net mit Material von dpa-AFX
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