EZB stockt PEPP-Programm auf - Leitzins bleibt unangetastet - Konjunktureinbruch erwartet
Die Europäische Zentralbank hat sich zu einer Aufstockung des Krisen-Anleihekaufprogramms entschieden.
Europas Währungshüter legen im Kampf gegen die beispiellosen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie noch einmal kräftig nach. Die Europäische Zentralbank (EZB) stockt ihr Corona-Notkaufprogramm für Anleihen um 600 Milliarden Euro auf 1,35 Billionen Euro auf. Das beschloss der EZB-Rat am Donnerstag in Frankfurt. Die Mindestlaufzeit des Kaufprogramms wird zudem um ein halbes Jahr bis Ende Juni 2021 verlängert.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte bereits Ende April betont: "Wir können aktuell bis Ende des Jahres über eine Billion Euro einsetzen." Der EZB-Rat sei bereit, den Umfang des Notkaufprogramms PEPP "so weit und so lange wie nötig anzupassen". Zunächst hatte die EZB bis mindestens Jahresende 750 Milliarden Euro für den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen im Rahmen des Corona-Notprogramms PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) veranschlagt.
Die Wertpapierkäufe helfen Staaten wie Unternehmen: Sie müssen für ihre Papiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt. In der Krise haben Staaten milliardenschwere Rettungspakete aufgelegt, das belastet die Haushalte.
Bei den Zinsen hat die EZB dagegen relativ wenig Spielraum. Denn der Leitzins im Euroraum liegt seit nunmehr gut vier Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent - und auf diesem Niveau bleibt er nach dem Beschluss des EZB-Rates vom Donnerstag auch.
Hauptziel der EZB ist ein ausgewogenes Preisniveau bei einer mittelfristigen Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent. Die Inflation liegt allerdings seit Jahren unter diesem Zielwert. Der Trend hat sich in der Corona-Krise durch den Einbruch der Energiepreise in Folge weltweit gesunkener Nachfrage verschärft. Im Mai lagen die Verbraucherpreise im gemeinsamen Währungsraum der 19 Länder nur noch um 0,1 Prozent höher als ein Jahr zuvor.
Stagnieren Preise oder fallen sie gar auf breiter Front, kann das Verbraucher und Unternehmen verleiten, Investitionen aufzuschieben. Denn es könnte ja bald noch günstiger werden. Dieses Abwarten kann die Konjunktur abwürgen. Nach Einschätzung der Notenbank wird die Konjunktur im Euroraum infolge der Virus-Pandemie ohnehin drastisch einbrechen. Demnach dürfte die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um acht bis zwölf Prozent schrumpfen.
Europas Währungshüter sind seit Jahren im Krisenmodus. Die laufenden Kaufprogramme der Notenbank für Anleihen haben mit gut 2,8 Billionen Euro bereits ein gewaltiges Volumen erreicht.
Das Bundesverfassungsgericht hatte jüngst geurteilt, die Beschlüsse der EZB zu ihrem Staatsanleihenkaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) seien kompetenzwidrig. Die Notenbank muss nun die Verhältnismäßigkeit dieses mit Unterbrechung seit März 2015 laufenden Programms darlegen - sonst darf die Bundesbank sich an diesen Käufen nicht mehr beteiligen. Die Corona-Hilfen der EZB klammerte das oberste deutsche Gericht in seinem Urteil jedoch ausdrücklich aus.
Mit seiner umstrittenen Entscheidung stellte sich Karlsruhe erstmals gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Vertreter der EZB halten allein den EuGH auf juristischer Ebene zuständig für die Notenbank und deren Handeln. Der Gerichtshof hatte Staatsanleihenkäufen Ende 2018 seinen Segen erteilt.
EZB erwartet beispiellosen Konjunktureinbruch
Die Coronavirus-Epidemie wird den Euroraum nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) in eine schwere Rezession stürzen. Für dieses Jahr erwartet die Notenbank in ihrem Basisszenario einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im gemeinsamen Währungsraum um 8,7 Prozent, wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt sagte. 2021 dürfte die Wirtschaft nach der neuesten Vorhersage kräftig um 5,2 Prozent zulegen.
Im Jahr 2022 erwartet die EZB 3,3 Prozent Wachstum. Damit korrigierte die EZB ihre Prognose für dieses Jahr dramatisch nach unten. Vor drei Monaten zu Beginn der Pandemie in Europa war sie noch von einem Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent ausgegangen.
Die Teuerung dürfte nach Einschätzung der Zentralbank in diesem Jahr bei 0,3 Prozent liegen (März-Prognose: 1,1 Prozent). Für das Jahr 2021 rechnen die Währungshüter mit einer jährlichen Preissteigerung von 0,8 Prozent (1,4 Prozent) und für das Jahr 2022 mit 1,3 Prozent (1,6 Prozent).
Mittelfristig strebt die Notenbank eine jährliche Inflationsrate von knapp zwei Prozent an - weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen aufschieben - in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.
Lagarde: Unabhängigkeit der EZB darf nicht infrage gestellt werden
EZB-Präsidentin Christine Lagarde pocht angesichts des einschränkenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Anleihenkäufen auf die Unabhängigkeit der Notenbank. "Wir sind zuversichtlich, dass eine gute Lösung gefunden wird - eine Lösung, die in keiner Weise die Unabhängigkeit der EZB und das Primat des europäischen Rechts infrage stellt", sagte Lagarde nach der Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag in Frankfurt. Sie bekräftigte, die EZB als europäische Institution sehe den Europäischen Gerichtshof (EuGH) als für sie maßgebliche juristische Instanz.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am 5. Mai die milliardenschweren Staatsanleihenkäufe der EZB im Rahmen des sogenannten PSPP-Programms beanstandet (Az. 2 BvR 859/15 u.a.). Die Bundesbank darf sich dem Urteil zufolge künftig nur an diesen Käufen beteiligen, wenn der EZB-Rat deren Verhältnismäßigkeit nachvollziehbar darlegt.
Das oberste deutsche Gericht gab der Bundesregierung drei Monate Zeit, die EZB zu einer Überprüfung zu bewegen. Erstmals stellte sich Karlsruhe mit seiner Entscheidung gegen ein Urteil des EuGH. Der Gerichtshof hatte Staatsanleihenkäufen Ende 2018 seinen Segen erteilt.
Lagarde versicherte, die EZB bewerte laufend die Kosten und Folgen ihrer Kaufprogramme. Die aktuellen Milliardenhilfen der Notenbank in der Corona-Krise hatten die Karlsruher Richter in ihrem Urteil ausdrücklich ausgenommen.
Redaktion finanzen.net / FRANKFURT (dpa-AFX)
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