EZB rückt trotz steigender Inflation von ultralockerer Geldpolitik nicht ab - Leitzinsen bestätigt - Ende der PEPP-Nettokäufe im März
Die Europäische Zentralbank hat nach ihrer jüngsten Sitzung über die aktuelle Geldpolitik informiert.
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Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat den weiterhin expansiven Kurs der Notenbank bei seiner Sitzung an diesem Donnerstag bestätigt. Einer baldigen Zinserhöhung im Euroraum hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde wiederholt eine Absage erteilt. Der Leitzins liegt seit Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent.
Teuerung setzt EZB unter Druck
Die Inflation im Euro-Raum ist zum Jahresstart auf einen Rekordwert geklettert und bringt damit die EZB kurz vor ihrer nächsten Zinssitzung in Erklärungsnot.
Explodierende Energiepreise sorgten dafür, dass die Teuerung im Januar binnen Jahresfrist auf 5,1 Prozent hochschnellte, wie das europäische Statistikamt Eurostat am Mittwoch auf Basis vorläufiger Daten mitteilte. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Statistik 1997. Experten hatten dagegen mit einem Rückgang der Inflation auf 4,4 von 5,0 Prozent im Dezember gerechnet. Damit entfernt sich die Inflation immer weiter vom Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB), die eine Rate von 2,0 Prozent als optimalen Wert für die Wirtschaft anpeilt.
Die Finanzmärkte reagierten prompt: Spekulationen auf eine nun schneller nahende Zinswende ließen den Euro zeitweise um 0,45 Prozent auf 1,1324 Dollar steigen. Der europäische Banken-Index kletterte um 1,3 Prozent auf ein Dreieinhalb-Jahres-Hoch. Am Geldmarkt wird nun sogar bereits bis zum Sommer auf eine leichten Anhebung des Einlagesatzes gesetzt. Der Zins liegt seit September 2019 bei minus 0,5 Prozent. Damit müssen Banken Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Liquidität parken.
EZB sagte stabile Teuerung voraus
Für die Währungshüter um EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die am Donnerstag auf ihrer Zinssitzung wieder den geldpolitischen Kurs abstecken, dürfte die weiter anziehende Inflation eine negative Überraschung sein. Denn nach ihrem bisherigen Szenario sollte sich die Teuerung 2022 stabilisieren und es schrittweise zu einem Rückgang der Teuerungsrate kommen. Mit den Januarzahlen dürften zudem die Stimmen in Deutschland noch lauter werden, die eine zügige Abkehr von der seit Jahren andauernden ultralockeren Geldpolitik fordern.
Volkswirten zufolge nimmt mit dem neuen Rekordhoch der Druck auf die EZB zu. "Die unerwartet hohe Teuerungsrate ist ein Nackenschlag für die EZB," meinte etwa Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Sie liege damit meilenweit über den 4,1 Prozent, die die EZB für das erste Quartal prognostiziere. Die Notenbank solle die massiv gestiegenen Inflationsrisiken endlich anerkennen und geldpolitisch den Fuß vom Gas nehmen.
Lagarde schließt EZB-Zinserhöhung 2022 nicht mehr aus
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) hält eine Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) in diesem Jahr offenbar nicht mehr für so unwahrscheinlich wie im Dezember. Auf die Frage, ob sie eine Zinserhöhung ausschließe, sagte Lagarde, die EZB werde datenabhängig handeln. "Wir werden sehr sorgfältig prüfen, wir werden datenabhängig sein, und wir werden diese Arbeit im März machen", sagte Lagarde. Auf die explizite Nachfrage, ob sie ihre Aussage von Dezember, dass eine Zinserhöhung 2022 "sehr unwahrscheinlich" sei, tatsächlich nicht wiederholen wolle, antwortete sie, dass ihre Aussagen immer an bestimmte Voraussetzungen gebunden seien. "Ich kann die Entscheidung im März nicht vorwegnehmen", sagte sie.Kursänderung im März?
Im Lichte weiterer Daten zu Inflation und Konjunktur werde die Lage im März neu beurteilt, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt. Sie betonte zugleich, die EZB werde sich nicht treiben lassen: "Wir werden die Zinsen nicht erhöhen, solange die Nettoanleihenkäufe anhalten."
Lagarde räumte ein, die Inflation sei im Dezember und Januar angesichts eines unvorhersehbaren Energiepreisschocks "überraschend" stark gestiegen. Das habe im EZB-Rat einhellig für Besorgnis gesorgt. "Die Situation hat sich in der Tat geändert", sagte die Französin. Vor allem auf kurze Sicht dürfte die Inflation hoch bleiben.
Im März liegen dem EZB-Rat neue Prognosen des Mitarbeiterstabes vor. Häufig nimmt das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank diese Projektionen zum Anlass, größere geldpolitische Entscheidungen zu treffen. Anders als noch im Dezember habe Lagarde eine Zinserhöhung im laufenden Jahr nicht ausdrücklich ausgeschlossen, analysierte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Bank Berenberg. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hat die EZB "recht klare Hinweise" gegeben, "dass sie vermutlich im März eine Straffung ihrer Geldpolitik in Gang setzen wird, indem sie zunächst das Ende der Nettoanleihekäufe per September beschließt". Ferner erwarte man nunmehr für September und Dezember eine Zinserhöhung um jeweils 0,25 Prozentpunkte.
EZB-Rat bestätigt Ende der PEPP-Nettokäufe im März
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat wie erwartet seine im Dezember getroffenen Beschlüsse zur Beendigung der Nettokäufe unter dem Pandemieprogramm PEPP und zur zeitweiligen Aufstockung des APP-Kaufprogramms bestätigt. Auch das Niveau der Leitzinsen und die sie betreffende Forward Guidance blieben unverändert, und die Vorzugsbedingungen für TLTRO3-Tender sollen wie bisher geplant im Juni auslaufen.Folgende Beschlüsse traf der EZB-Rat im Einzelnen:
1. Zinsen und Forward Guidance
Der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte sowie die Zinssätze für die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität werden unverändert bei 0,00 Prozent, 0,25 Prozent bzw. minus 0,50 Prozent belassen.
Der EZB-Rat geht davon aus, dass die EZB-Leitzinsen so lange auf ihrem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben, bis er einen Anstieg der Inflation auf ihr Ziel von 2 Prozent deutlich vor dem Ende des Projektionszeitraums und dauerhaft für den Rest dieses Zeitraums erkennen kann. Auch müssen die schon erreichten Fortschritte bei der unterliegenden Inflation so deutlich erkennbar sein, dass eine mittelfristige Stabilisierung der Inflation bei 2 Prozent plausibel scheint. Dabei kann die Inflation laut EZB vorübergehend etwas über 2 Prozent liegen.
2. PEPP-Programm und Forward Guidance
Die PEPP-Nettokäufe sollen im ersten Quartal 2022 niedriger sein als im vierten Quartal 2021 und Ende März 2022 enden. Die PEPP-Tilgungsbeträge sollen bis mindestens Ende 2024 wiederangelegt werden. Das Auslaufen der Wiederanlage soll so gesteuert werden, dass eine Beeinträchtigung des geldpolitischen Kurses vermieden wird. Die EZB kann die Wiederanlage flexibel handhaben.
Vor allem für den Fall einer abermaligen "Fragmentierung", also eines Anstieg der Renditedifferenzen von Staatsanleihen, kann die Wiederanlage flexibel hinsichtlich Zeitpunkt, Asset-Klasse und Herkunftsland erfolgen. Das gilt auch für griechische Staatsanleihen, die die EZB falls nötig über die reine Wiederanlage hinaus kaufen dürfte. Auch eine Wiederaufnahme der Nettokäufe insgesamt ist möglich.
3. APP-Programm und Forward Guidance
Die EZB will das monatliches APP-Kaufvolumen von derzeit 20 Milliarden Euro auf 40 Milliarden im zweiten Quartal 2022 erhöhen und es anschließend im dritten Quartal wieder auf 30 Milliarden reduzieren. Ab Oktober 2022 soll das Nettokaufvolumen wieder bei 20 Milliarden Euro liegen und dort so lange wie nötig bleiben.
Die Forward Guidance bindet die APP-Nettokäufe weiterhin indirekt an das Erreichen des Inflationsziels. Sie sollen erst kurz vor der ersten Zinsanhebung beendet werden und so lange fortgesetzt werden, wie dies für die Verstärkung der akkommodierenden Wirkung der Leitzinsen erforderlich ist. Die Tilgungsbeträge der APP-Wertpapiere sollen für längere Zeit über den Zeitpunkt der ersten Zinserhöhung hinaus voll wiederangelegt werden.
4. Refinanzierungsbedingungen
Die EZB wird die Refinanzierungsbedingungen der Banken beobachten und dafür sorgen, dass das Fälligwerden von TLTRO3-Geschäften nicht die reibungslose Übertragung der Geldpolitik beeinträchtigt. Sie will zudem regelmäßig prüfen, wie gezielte Kreditoperationen ihre geldpolitische Ausrichtung beeinflussen. Die Sonderkonditionen der TLTRO3 sollen wie geplant im Juni 2022 auslaufen. Die EZB will für eine angemessene Kalibrierung ihres zweistufigen Systems von Einlagenzinsen sorgen, damit der negative Einlagenzins nicht die Fähigkeit der Banken zur Kreditvergabe einschränkt.
Die EZB ist bereit, alle ihre Instrumente so anzupassen, dass sich die Inflation mittelfristig bei 2 Prozent stabilisieren kann.
Lagarde: Inflation dürfte länger als bisher erwartet erhöht bleiben
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) erwartet nach den Worten von EZB-Präsidentin Christine Lagarde weiterhin, dass die Inflation in den nächsten Monaten zurückgehen wird. Er betrachtet die Inflationsrisiken aber als aufwärts gerichtet. Lagarde sagte in der Pressekonferenz nach der EZB-Ratssitzung, die Inflation dürfte länger als bisher erwartet hoch bleiben. Sie sei im Januar erneut höher als erwartet gewesen. Die Inflation dürfte aber im Jahresverlauf zurückgehen.Die Inflation im Euroraum ist in den vergangenen Monaten durchgängig höher als von Volkswirten erwartet gewesen. Im Januar stieg sie auf ein neues Rekordhoch von 5,1 Prozent, anstatt wie erwartet auf 4,3 Prozent zurückzugehen. Wichtigster Grund waren höhere Energiepreise, aber auch die Nahrungsmittelpreise spielten eine Rolle.
"Der direkte Einfluss der Energiepreise steht für mehr als die Hälfte der Inflation", sagte Lagarde. Hinzu kämen indirekte Auswirkungen. Lagarde zufolge rechnet die EZB damit, dass die Energiepreise im Jahresverlauf sinken werden. Auch die Engstellen in der Lieferkette dürften sich auflösen.
Im Unterschied zu den Beratungen im Dezember betrachtet der EZB-Rat die Inflationsrisiken Lagarde zufolge als aufwärts gerichtet - "vor allem kurzfristig", wie Lagarde sagte.
EZB-Offizielle hatten in den vergangenen Monaten wiederholt die Erwartung geäußert, dass die Inflation spätestens nach dem Jahreswechsel zurückgehen würde. Ein Grund war, dass dann die Normalisierung der Mehrwertsteuer in Deutschland aus dem Vorjahresvergleich herausfallen würde. Dieser Effekt war zwar in Deutschland spürbar, reichte aber für den gesamten Euroraum nicht aus.
Die EZB ist zur Bewahrung mittelfristiger Preisstabilität verpflichtet, die sie bei einer Inflationsrate von 2 Prozent gegeben sieht. Die derzeit hohe Inflation wird aus geldpolitischer Sicht dann zum Problem, wenn sie sich über höhere Inflationserwartungen, das Preissetzungsverhalten von Unternehmen und Lohnabschlüsse zu verstetigen droht.
Vor allem in Deutschland gibt es wegen der hohen Inflation seit einiger Zeit Forderungen nach einer "Normalisierung" der EZB-Geldpolitik.
Zuvor hatte der EZB-Rat wie erwartet seine im Dezember getroffenen Beschlüsse zur Beendigung der Nettokäufe unter dem Pandemieprogramm PEPP und zur zeitweiligen Aufstockung des APP-Kaufprogramms bestätigt. Auch das Niveau der Leitzinsen und die sie betreffende Forward Guidance blieben unverändert; und der Vorzugszins für TLTRO3-Tender sollen wie bisher geplant im Juni auslaufen.
Redaktion finanzen.net / Reuters / dpa-AFX / Dow Jones Newswires
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