Ökonomen-Barometer: Zinswende frühestens 2020
Führende Volkswirte rechnen in diesem Jahr nicht mehr mit einer Leitzinsanhebung. Die EZB könnte den richtigen Zeitpunkt dafür bereits verpasst haben.
von Wolfgang Ehrensberger, €uro am Sonntag
Nach den jüngsten Äußerungen von EZB-Chef Mario Draghi rechnen führende Volkswirte in diesem Jahr nicht mehr mit einer Zinswende. In der Januar-Umfrage des Ökonomen-Barometers von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv gaben 73 Prozent der befragten Ökonomen an, dass sie eine Leitzinsanhebung angesichts der eingetrübten wirtschaftlichen Lage frühestens im Jahr 2020 erwarten. Draghi hatte am Donnerstag angedeutet, dass es zumindest in seiner Amtszeit keine Zinserhöhung mehr gibt.
Ifo-Index auf Dreijahrestief
"Die EZB hat den Zeitpunkt für eine Zinswende vielleicht schon verpasst", warnt Friedrich Heinemann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. "Sie könnte ohne jeglichen zinspolitischen Spielraum in die nächste Rezession geraten."
Auf ihrer Sitzung am Donnerstag beließ die Europäische Zentralbank den Leitzins bei null Prozent und bekräftigte vor dem Hintergrund steigender Konjunkturrisiken, die Zinsen bis mindestens Herbst nicht anzutasten. Dies nahm Aktienanlegern wiederum die Sorge vor einer zu raschen Zinswende. Als Reaktion markierte der DAX am Donnerstag und Freitag neue Siebenwochenhochs.
Derweil trüben sich die Konjunkturperspektiven weiter ein. Der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel im Januar unerwartet stark auf 99,1 Punkte von zuvor 101,0 Punkten. "Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Abschwung", sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest. Laut "Handelsblatt" korrigierte inzwischen auch die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose für 2019 von 1,8 auf ein Prozent deutlich nach unten.
Was nach Draghi kommt
Mario Draghi wird im Oktober seine letzte Sitzung als EZB-Präsident leiten, seine achtjährige Amtszeit läuft dann ab. In den kommenden Monaten werden die Weichen für Draghis Nachfolge gestellt. Als potenzielle Nachfolger für den Italiener gelten unter anderem der Gouverneur der Bank von Frankreich, François Villeroy de Galhau, der Ex-Gouverneur der finnischen Notenbank, Erkki Liikanen, und Jens Weidmann, der Präsident der Bundesbank.
Weidmann vertritt eine restriktive Geldpolitik, seine Chancen gelten als eher gering. Unerwartete Schützenhilfe bekam der Deutsche jetzt ausgerechnet aus Draghis Heimat. Italiens Finanzminister Giovanni Tria stehe einer Kandidatur Weidmanns offen gegenüber, meldet die Nachrichtenagentur Reuters. "Vergangene Ansichten" sollten die Entscheidung nicht beeinflussen, erklärte der Politiker. "Es macht keinen Sinn, sich auf vergangene Sichtweisen zu fokussieren, denn die Welt wandelt sich und damit die Ansichten der Akteure."
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