Gibt die US-Notenbank Ihre Vormachtstellung ab?
Mit der Finanzmarktkrise lernten wir, alte Gewissheiten aufzugeben. Aber eines galt bislang weiterhin: Die US-Notenbank (Fed) bestimmte an den Zinsmärkten, wo es langging. Jetzt scheint die Europäische Zentralbank (EZB) das Ruder übernommen zu haben.
Wenn etwa in den 1990er Jahren der damalige US-Notenbankchef Alan Greenspan die Zinswende vollzog, dann konnte man darauf wetten, dass die Welt unmittelbar folgte. Doch diese Gesetzmäßigkeit scheint heute nicht mehr zu gelten. So wird die Fed aller Wahrscheinlichkeit nach den Leitzins im zweiten Halbjahr anheben, steht damit jedoch allein auf weiter Flur. Stattdessen findet sich die Europäische Zentralbank (EZB) in der ungewohnten Rolle wieder, den globalen Taktstock der Geldpolitik zu schlagen. So haben seit der Ankündigung des Anleiheankaufprogramms durch die EZB im Januar 2015 rund zwei Dutzend Notenbanken ihren Leitzins gesenkt. Wird an den Finanzmärkten gerade ein neues Kapitel aufgeschlagen oder handelt es sich lediglich um eine vorübergehende Episode?
Historisch gesehen rührt die Dominanz der US-Notenbank noch aus den Zeiten des Goldstandards und dem 1944 vereinbarten so genannten Bretton Woods System. Dieses Konstrukt legte einen festen Wechselkurs jedes partizipierenden Landes zur Weltreservewährung, dem US-Dollar, fest. In diesem System mussten die Länder etwas vereinfacht dargestellt den Zinsschritten aus den USA folgen, weil sie ansonsten beispielsweise im Fall einer Zinsanhebung der Fed mit Kapitalflucht konfrontiert wurden. Auch nach dem Ende des Bretton Woods Systems Anfang der 70er Jahre blieb die Dominanz der Fed erhalten.
Mit der Einführung des Euros im Jahr 1999 änderte sich das Bild zunächst nur unwesentlich. Zwar entstand hier ein neuer großer Währungsraum, der von seiner Größe her den USA durchaus Paroli bieten konnte. Aber die alten Reaktionsmuster - die Fed führt an, die anderen folgen - schienen doch recht festgefahren zu sein.
Seit einigen Monaten sieht die Angelegenheit anders aus. Die EZB bestimmt in weiten Teilen der Welt die Zinslandschaft. Die Ursache für diese ungewöhnliche Entwicklung ist das im März gestartete Ankaufprogramm der EZB für Anleihen. Offensichtlich ist dieses Programm ein mächtiges Instrument, mit dem sich eine Notenbank von der Fed abkoppeln kann. Dass die EZB nunmehr auch das Handeln anderer Notenbanken bestimmt, hat damit zu tun, dass die Eurozone für die meisten Länder einen der wichtigsten Handelspartner darstellt. Eine Zentralbank, die angesichts der expansiven Geldpolitik der EZB untätig bleibt, riskiert eine den Export gefährdende starke Aufwertung ihrer Währung gegenüber dem Euro.
Muss man in Zukunft von einer dauerhaft bipolar determinierten Zinslandschaft ausgehen, in der die EZB mit der US-Notenbank auf Augenhöhe um die Vorherrschaft auf den Zinsmärkten kämpft?
Nein. Der amerikanische Anleihemarkt bleibt der am tiefsten integrierte Kapitalmarkt der Welt. Der fragmentierte Bondmarkt der Eurozone, der bei den Staatsanleihen beispielsweise durch unterschiedliche Bonitäten geprägt ist, kann dem amerikanischen Pendant nicht das Wasser reichen. Solange das so ist, wird ein nachhaltiger Paradigmenwechsel ausbleiben.
Dr. Cyrus de la Rubia ist Chefvolkswirt der HSH Nordbank. In seiner Kolumne kommentiert er regelmäßig geldpolitische Themen und beleuchtet deren volkswirtschaftlichen Auswirkungen.
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