EZB-Protokoll: Zinsanhebung im September erfolgte aus taktischen Gründen
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat seine Leitzinsen am 14. September auch aus "taktischen Gründen" angehoben.
Wie aus dem jetzt veröffentlichten Protokoll der Beratungen hervorgeht, war der Rat zwar der Meinung, "dass die Leitzinsen ein Niveau erreicht haben, das, wenn es für einen ausreichend langen Zeitraum beibehalten wird, einen wesentlichen Beitrag zur rechtzeitigen Rückkehr der Inflation zum Zielwert leisten wird."
Diese Einschätzung galt auf Basis von modellgestützten Simulationen, Expertenbefragungen und Marktpreise sowohl für einen unveränderten Einlagensatz von 3,75 Prozent als auch für einen um 25 Basispunkte auf 4,00 erhöhten Einlagensatz. Im Protokoll heißt es weiter: "Angesichts der beträchtlichen Unsicherheit betonten die Mitglieder, dass die Entscheidung zwischen einer Zinserhöhung und einer Zinspause eine knappe Entscheidung sei und dass auch taktische Überlegungen eine Rolle spielten."
Eine solche taktische Überlegung könnte die Erwartung gewesen sein, dass für September mit einem deutlichen Rückgang der Inflation aufgrund von Basiseffekten kommen würde und ein Zinsschritt im Oktober nicht mehr als opportun erschienen wäre.
Analysten und Marktteilnehmer hatten im Vorfeld der Ratssitzung überwiegend mit einem unveränderten Zins gerechnet. Diese Auffassung war jedoch durch eine (möglicherweise gezielte) Indiskretion kurz vor Sitzungsbeginn ins Wanken geraten, so dass es bei den Prognosen pro oder contra Zinserhöhung 50:50 stand. Die nach der Zinserhöhung veröffentlichten Daten zeigten, dass die Inflation im September unerwartet deutlich zurückgegangen ist.
Die "Falken" im Rat betonten laut dem Protokoll das nach wie vor hohe Inflationsniveau und die Tatsache, dass eine Zinserhöhung die feste Entschlossenheit des EZB-Rats signalisieren würde, die Inflation rechtzeitig auf das Zielniveau zurückzuführen. Außerdem hieß es von dieser Seite: "Wenn die EZB bei der ersten knappen Entscheidung eine Pause einlegt, könnte dies als Schwächung der Entschlossenheit der EZB ausgelegt werden, insbesondere zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gesamt- und Kerninflation über 5 Prozent liegt."
Hervorgehoben wurden auch die Aufwärtskorrekturen der Projektionen für die Gesamtinflation in den ersten beiden Jahren des Projektionszeitraums und die Tatsache, dass die Projektionen auf Marktzinsen basierten, die eine weitere Zinserhöhung bis zum Jahresende implizierten.
EZB-Offizielle haben seit dem 14. September wiederholt betont, dass weitere Zinsentscheidungen von drei Kriterien abhängen würden: Dem Inflationsausblick, der Dynamik der unterliegenden Inflation und der Transmission des geldpolitischen Signals in Finanz- und Realwirtschaft. "Es gibt nun zahlreiche Anzeichen dafür, dass diese Entwicklung stärker als erwartet voranschreitet", hieß es dazu im Protokoll.
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)
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