Argentinien: Börsenwunder am Río Plata
Obwohl das Land in einer tiefen Krise steckt, verzeichneten die Aktien in Buenos Aires enorme Kursgewinne. Woran das liegt.
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von Emmeran Eder, Euro am Sonntag
Himmlischen Beistand genießt offenbar die Börse in Buenos Aires, seitdem der Argentinier Franziskus Papst ist: Seit Ende Juni ist der Leitindex Merval in Peso um enorme 82 Prozent, in Euro um 58 Prozent gestiegen und war damit in diesem Zeitraum die beste Börse weltweit.
Das „Börsenwunder“ irritiert. Denn in Argentinien gibt es derzeit wenig zu feiern. Im Frühjahr fanden Massendemonstrationen gegen die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner statt, weil die Mittelschicht wegen der galoppierenden Inflation zusehends verarmt. Offiziell beträgt die Inflationsrate zwar nur elf Prozent, doch sie ist schöngerechnet. Tatsächlich schätzen Experten sie auf 25 Prozent. Im Jahr 2010 wurde sogar der Zentralbankchef von Kirchner entlassen, weil er sich dagegen wehrte, die Preissteigerungsraten zu manipulieren.
Auch sonst verfolgt Kirchner eine sehr unorthodoxe Wirtschaftspolitik. Das Wachstum wird vorwiegend mit der Notenpresse und durch eine sukzessive Abwertung der Landeswährung Peso stimuliert. Kapitalverkehrskontrollen und weitere protektionistische Maßnahmen sollen den Devisenabfluss bremsen und für einen Leistungsbilanzüberschuss sorgen. Dazu zählen auch Maßnahmen, die den Import erschweren, etwa Einfuhrzölle oder die Verpflichtung für Importeure, Einfuhren durch Ausfuhren im gleichen Wert auszugleichen. Für einen großen Vertrauensverlust unter Investoren sorgte auch die Zwangsverstaatlichung des größten Ölkonzerns, YPF, der zuvor dem spanischen Ölunternehmen Repsol gehört hatte.
Das Land leidet immer noch unter den Folgen des Staatsbankrotts von 2001. Es hat keinen Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten, weswegen als Hauptdevisenquelle auf die Währungsreserven der Zentralbank zugegriffen werden muss. Doch die schmelzen ab — von 50 Milliarden US-Dollar Ende 2010 auf jetzt 35 Milliarden. Devisenbeschränkungen und die wenig vertrauensfördernde Politik führen dazu, dass ausländische Direktinvestitionen abnehmen.
Hohe Abhängigkeit von Rohstoffen
Das war bis zum Wahlsieg Kirchners im Jahr 2011 noch anders. Seit 2003 hatte sich Argentinien von der massiven Wirtschaftskrise mit Wachstumsraten im hohen einstelligen Bereich erholt. Neben dem wieder anziehenden Konsum profitierte das Land vor allem von der hohen Nachfrage nach Rohstoffen aus Asien. Verfügt es neben Agrarprodukten doch über reichlich Öl, Gas und Erz. Mit dem Abflachen des Booms in China fielen auch die Rohstoffpreise, worunter Argentinien nun schwer zu leiden hat.
Für die schlechte wirtschaftliche Lage wurde Kirchner bei den Vorwahlen zu den eigentlichen Parlamentswahlen am 27. Oktober abgestraft. Bei den „Primaries“ im August wurden von der Bevölkerung die Kandidaten für die Abgeordneten- und Senatorensitze bestimmt. Frente para la Victoria, die Partei Kirchners, holte dabei mit 27 Prozent nur halb so viel Stimmen wie noch bei der Parlaments- und Präsidentenwahl 2011.
Dabei hat sie durchaus auch Erfolge vorzuweisen: Nach dem Schuldenschnitt beträgt die Auslandsverschuldung nur noch 30 Prozent und die Staatsverschuldung 45 Prozent des BIP. Das Haushaltsdefizit ist mit minus 2,7 Prozent des BIP mäßig, die Leistungsbilanz ausgeglichen.
Doch das mit gut zwei Prozent geringe Wachstum und die hohe Inflation lassen ihre Erfolge bei den Wählern verblassen. Die Wahl ist daher so wichtig, weil Kirchner für eine dritte Amtszeit ab 2015 die Verfassung ändern muss. Dafür braucht sie aber eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Danach sieht es derzeit nicht aus.
Die Börse bejubelt bereits das Ende der seit 2003 bestehenden Kirchner-Ära. Ein weiterer Grund für die Hausse ist, dass argentinische Aktien im südamerikanischen Vergleich vor der Super-Hausse billig waren. Dieser Bewertungsabschlag hat sich nun weitgehend abgebaut. Auch die strengen Devisenkontrollen, die es erschweren, sich mit dem Kauf von US-Dollar gegen den Währungsverfall des Peso und die Inflation abzusichern, lenkt Geld an die Börse. Der wichtigste Grund ist aber, dass die Inflationsrate weit über den Zinssätzen liegt, die Argentinier auf ihre Bankguthaben erhalten. „Wegen negativer Realzinsen besteht in Argentinien ein hohes Interesse an Sachwerten wie Aktien“, sagt Bernhard Esser, Südamerika-Profi bei HSBC Trinkaus & Burkhardt. Es handelt sich um eine von heimischen Käufern ausgelöste Rally. Ausländische Aktionäre gibt es wegen politischer und rechtlicher Risiken kaum.
Auch weil die ökonomischen Aussichten bescheiden sind. Für 2014 wird mit nur zwei Prozent Wachstum gerechnet. Hinzu kommt das Risiko weiterer Devisenbeschränkungen und Verstaatlichungen. Dennoch können spekulative Anleger kurzfristig auf den fahrenden Börsenzug aufspringen, da die Rally weiterlaufen dürfte. Für ein Engagement bietet sich das MSCI-Argentinien-Zertifikat der RBS (ISIN: DE 000 RBS 4Q1 4) an oder das Argentinien-Top-Select-Papier der Deutschen Bank (ISIN: DE 000 DB2 LAT 6). Mittelfristig agierende Anleger müssen dagegen auf Beistand von oben hoffen.
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