Saisonstrategie

DAX & Co: Was "Sell in May" wirklich taugt

aktualisiert 02.05.12 10:19 Uhr

Seit mehr als 30 Jahren geistert die Sell-in-May-Regel durch die Börsensäle der Welt. Können Anleger dem Spruch wirklich trauen? Langfristig ja. Das zeigen zahlreiche Studien.

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von Tobias Aigner, €uro am Sonntag

Es ist Zitterzeit. Wenn der Mai kommt, werden die Investoren nervös. Denn der Wonne­monat hat an der Börse einen miserablen Ruf. Und das seit Jahrzehnten. Schon 1964 schrieb die „Financial Times“ über die Börsenregel „Sell in May“, 1977 tauchte sie im britischen Wirtschaftsmagazin „The Economist“ auf. Aber stimmt der Spruch auch? Lohnt es sich für Anleger, ihre Aktien Ende April abzustoßen und dem Markt für ein paar Monate den Rücken zu kehren?

Für Dieter Rentsch ist der Fall klar. „Wenn es an der Börse knallt, dann im Sommer“, erklärt der geschäftsführende Gesellschafter des Investmenthauses Aquila Capital. „Im Winter ist die Kursentwicklung im Durchschnitt viel besser.“

Das sagt der Finanzprofi nicht nur so dahin, er hat nachgerechnet. Rund 50 Aktienindizes weltweit hat er unter die Lupe genommen, Börsendaten über Jahrzehnte ausgewertet. Ob Frankfurt, New York, London, Moskau oder Tokio: Fast überall klettern die Kurse im Schnitt vor allem von November bis April. Von Mai bis Oktober kommen sie dagegen nur schleppend voran oder gehen sogar in die Knie. Besonders stark ausgeprägt sind die jahreszeitlichen Schwankungen im DAX. Seit 1967 schafften deutsche Aktien im Winter durchschnittlich ein Plus von 7,5 Prozent. Im Sommer gaben sie dagegen um rund ein Prozent nach.

Das saisonale Muster an den Weltbörsen wird von anderen Studien bestätigt. Die Landesbank Hessen-Thüringen und der Finanzprofessor Ben Jacobsen von der Massey-Universität in Neuseeland kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Offenbar ist „Sell in May“ mehr als ein lockerer Spruch von selbst ernannten Börsenpropheten. Mit der Formel lässt sich Geld verdienen. Rentsch setzt sie Jahr für Jahr in diversen Aquila-Fonds um, „ganz mechanisch“, wie er sagt.

Andere Profiinvestoren sind da skeptischer. „Wenn es um Märkte geht, bin ich kein Verfechter allgemeiner Regeln. Meistens sind sie nämlich nutzlos“, sagt Simon Savage, Hedgefondsmanager der Investmentgesellschaft GLG. Markus Reinwand, Aktienstratege der Landesbank Hessen-Thüringen, hält es ebenfalls für „sehr heikel“, sich beim Anlegen allein auf das Saisonmuster zu verlassen: „Man sollte so viele Informationen wie möglich berücksichtigen, zum Beispiel über den Konjunkturzyklus, die Aktien­bewertung, aber auch die Stimmungsindikatoren.“

Das mag stimmen. Aber nicht jeder Privatanleger kann den Nachrichtenstrom an den Börsen ständig verfolgen. Zudem kontert Rentsch die Kritik aus der Finanzindustrie mit einem scharfen Argument: „Für die Banken lohnt sich Sell in May nicht. Sie verdienen kaum Geld, wenn die Anleger nur zweimal im Jahr handeln. Kein Wunder, dass da wenig Zuspruch kommt.“ Dem Aquila-Manager ist es ohnehin am liebsten, wenn so wenig Investoren wie möglich an den Effekt glauben, weil die Chance auf einen Gewinn dann am höchsten ist.

Für Privatanleger heißt das: Sie können vom jahreszeitlichen Auf und Ab profitieren. Dazu müssen sie Ende April nicht jede Aktie aus dem Depot werfen. Aber sie können einen Teil ­ihres Geldes in eine einfache Strategie stecken: Von 1. November bis 30.  April halten sie ein DAX-Zertifikat, zum Beispiel von der Deutschen Bank (ISIN: DE 000 709 335 3). Am 1. Mai stoßen sie das Papier ab und investieren ihr Kapital für sechs Monate im Geldmarkt. Mit dieser simplen Formel hätte ein Investor seinen Einsatz seit 1990 rund verdreizehnfacht, während der DAX seinen Wert nur vervierfachte (siehe PDF-Grafik).

Fest steht allerdings: Wer die Strategie anwendet, sollte eine Menge Disziplin mitbringen. Die Formel läuft dem DAX nicht jedes Jahr davon. In Haussen hinkt sie dem Index meist hinterher. Dann gilt es, ihr die Stange zu halten. Denn sobald die Bären an der Börse die Oberhand gewinnen, läuft Sell in May zur Hochform auf und übertrumpft den DAX fast immer.

Dabei dämpft sie die Verluste enorm. Im Horrorjahr 2008, als der Index um 40 Prozent abschmierte, verbuchte sie ein Minus von nicht mal 17 Prozent. Noch besser schlug sie sich 2011: Der DAX brach um fast 15 Prozent ein, Sell in May mehrte das Vermögen um mehr als vier Prozent. Insgesamt ist der Vorteil in Baissen so groß, dass die Schwäche in Bullenjahren gar nicht ins Gewicht fällt.
Wem die zweimalige Umschichtung pro Jahr zu aufwendig ist, der kann auf Saisonzertifikate setzen. Sie setzen die Sell-in-May-Regel nicht 1 : 1 um, verfolgen aber dieselbe Investmentidee. Beispiel: das DAX-Seasonal-Strategy-Zertifikat (NL 000 019 630 1) von der Royal Bank of Scotland (RBS). Statt ein halbes Jahr zu pausieren, setzt es das DAX-Investment nur in den zwei Monaten mit der höchsten Crash­gefahr aus: August und September. Am deutschen Aktienmarkt schlug sich diese Strategie seit Geburt des DAX noch besser als Sell in May. Dafür birgt sie ein höheres Verlust­risiko. Das Europa-Season-Zertifikat (DE 000 HV1 A2N 3) von der HypoVereinsbank wendet diese Strategie auf den Euro Stoxx 50 an.
Grafik zur Sell-in-May-Strategie (pdf)

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