Euro am Sonntag-Interview

Nobelpreisträger Chu: Fracking erledigt sich von selbst

aktualisiert 27.08.13 20:19 Uhr

Steven Chu, der Nobelpreisträger und ehemalige Energieminister der USA ist überzeugt, dass sich regenerative Energien auch im Land des Gasbooms und der Klimaskeptiker durchsetzen.

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von Julia Groß, Euro am Sonntag

So viele Leute haben mir seinen Namen genannt, er muss einfach gut sein“, kommentierte US-Präsident Barack Obama vor vier Jahren seine Entscheidung, Steven Chu zum Energieminister zu berufen. Jedoch auch der hochintelligente Starphysiker konnte gegen die Opposition der Repu­blikaner keine Wunder vollbringen. Von seinem 35 Milliarden Dollar schweren Förderprogramm für nachhaltige Energien strichen sie ihm fast ein Drittel der Mittel. Dennoch blieb es die bisher größte Investition der Vereinigten Staaten in regenerative Energien — was aber angesichts des Booms in der heimischen Öl- und Gasförderung national wie international kaum wahrgenommen wurde. Unter Chus Ägide wurde zudem das ARPA-E-Institut (Advanced Research Projects Agency-Energy) geschaffen, das neue Forschungsprojekte mit ungewissem Ausgang zum Thema Energie finanziert.

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Kein US-Energieminister vor ihm war länger im Amt. Zu Beginn von Barack Obamas zweiter Amtszeit kehrte der überaus scharfzüngige und selbstironische Chu jedoch der Politik den Rücken. Ende April übernahm er eine Professur an der Elite-Universität Stanford.

€uro am Sonntag: Professor Chu, während Ihrer Amtszeit als Energieminister haben die USA mehr in die Entwicklung er­neuerbarer Energien und Energieeffizienzprojekte investiert als ­ je zuvor. Wo sind die Ergebnisse?
Steven Chu:
Der Anteil der regenerativen Energien am Energiemix hat sich in den vier Jahren mehr als verdoppelt, die Nutzung allein von Solarenergie hat sich verzehnfacht. Auf der Technologieseite fangen wir gerade erst an, Ergebnisse zu sehen. Es dauert nun einmal durchaus sechs bis zehn Jahre, bis sich dort Innovationen auf breiter Front durchsetzen.

Sie haben immer versucht, ihren Landsleuten zu vermitteln, dass solche Investitionen nicht nur gut für Umwelt und Klima sind, sondern auch Arbeitsplätze schaffen. Aber das Argument hat bei den US-Bürgern nie so gezogen. Warum?
Ich glaube, dass sich sehr viele Leute bedroht fühlen — einige Unternehmen wohl auch zu Recht — und ­deshalb die Tatsachen absichtlich durcheinanderbringen. Energie­effizienz spart schlicht und einfach Geld — ein neuer Kühlschrank verbraucht zum Beispiel weniger Strom. Wenn Sie jedoch Chef eines Versorgungsunternehmens sind und Ihre Gewinne vom Stromabsatz abhängen, finden Sie das nicht gut. Das ist keine große Überraschung. Denken Sie an die großen Tabakkonzerne. Als herauskam, dass mit dem Rauchen die Wahrscheinlichkeit steigt, an Krebs zu erkranken, haben die auch gesagt: „Oh, es gibt dafür keinen richtigen Beweis, wir verstehen die ganze Biologie noch nicht“, und so weiter. Das ging 25 Jahre lang so.

Sie meinen, die Bürger der USA ­fallen auf falsche Behauptungen der Energielobby herein?
Wenn ein Unternehmen sich bedroht fühlt, geht es in den Survival-Modus. Das ist menschlich. Es ist doch genauso wie damals, als die ­Tabakindustrie behauptete, das Krebsrisiko für Zigarettenraucher werde unter Wissenschaftlern kon­trovers diskutiert. Das war nie so. Aber die Öffentlichkeit hat es geglaubt. So ist es auch beim Thema Energie und Klimawandel.

Aber es bestehen doch durchaus Meinungsverschiedenheiten zwischen den Klimawissenschaftlern?
Ja — über den Effekt von Wolken oder die Frage, um wie viel Prozent die Ozeane den Erwärmungseffekt mildern könnten. Das sind Feinheiten. Es gibt fast niemanden, der sagt, alles sei in Ordnung und die globale Erwärmung existiere nicht. Und wer das sagt, der hat sich nie irgendwelche Daten angeschaut. Aber viele Unternehmen haben gute PR-Abteilungen, welche die Tatsachen verdrehen. Da hilft nur, es immer und immer wieder geduldig zu erklären.

Dann erklären Sie doch mal.
Ich muss weder übertreiben noch behaupten, dass ich alles bis ins letzte Detail weiß, wenn ich sage: Wir gehen ein großes Risiko ein, wenn wir so weitermachen wie bisher. Ein Risiko, wie es keiner von uns im täglichen Leben jemals eingehen würde. Ich benutze da gern eine Analogie: Stellen Sie sich vor, Sie wollten ein schönes älteres Haus kaufen. In den USA müssen sie dann einen Gutachter bestellen, der die Statik, die Wasserrohre, die Stromleitungen und so weiter überprüft, damit sie von der Bank einen Kredit bekommen. Und nehmen wir an, dieser Gutachter sagt Ihnen, Sie sollten die Stromleitungen erneuern, weil sonst Feuergefahr besteht.

Das ist vermutlich nicht billig.
Nein, das kostet locker 20.000 Dollar oder sogar mehr. Also gehen Sie zu einem anderen Gutachter und holen sich eine zweite Meinung. Der sagt das Gleiche. Jetzt müssen Sie sich überlegen, ob sie das Haus wirklich kaufen und entsprechend investieren wollen. Was Sie mit Sicherheit nicht tun werden, ist, nach dem einen von tausend Gutachtern suchen, der alles okay findet. Sie sagen auch nicht: Na ja, die Bank will sowieso, dass ich eine Feuerversicherung habe, das reicht mir. Weil nämlich Sie und Ihre Familie vielleicht in diesem Haus schlafen, wenn das Feuer ausbricht. Sie würden dieses Risiko niemals eingehen, auch wenn es nur zehn Prozent beträgt. Wenn wir auf der Erde so weitermachen wie bisher, haben wir ein Risiko von 30 oder sogar 50 Prozent, eine vollkommen andere Welt zu bekommen.

Die Zukunft der Erde ist für die Menschen trotzdem sehr viel ­weiter entfernt als ihr Eigenheim.
Mag sein. Aber wir haben beispielsweise heute in den USA Schäden durch Naturereignisse wie Stürme in Höhe von 200 Milliarden Dollar im Jahr. Das ist schon eine signifikante Summe. Und sie wird weiter steigen. Irgendwann wird die Öffentlichkeit sagen: „Hm, das ist eine Sprache, die wir verstehen. Wir müssen was tun.“ Und dann werden die Länder, die in entsprechende Technologien investiert haben, einen attraktiven Markt vorfinden. Das ist der ökonomische Faktor, an den ich glaube.

Wann glauben Sie denn, dass ­dieser Punkt erreicht ist?
Ich hoffe in fünf bis zehn Jahren.

Warum stört es die Amerikaner nicht, dass die Chinesen sie bis dahin technologisch längst überholt haben könnten?
Das ist eine gute Frage. Denn selbst wenn man nicht an Klimawandel glaubt, dürfte einem klar sein: Der Erste, der preiswerte und leistungsstarke Batterien auf den Markt bringt, wird sehr, sehr reich werden.

Ist es nicht ein Widerspruch, dass Sie sich gegen das Eingehen von unbestimmten Klimarisiken aussprechen, aber den Ausbau der Atomkraft befürworten?
Wenn ich glaubte, dass eine Chance von auch nur einem Hundertstel oder einem Millionstel Prozent bestünde, dass ein Unglück wie Fukushima in den USA passiert, dann wäre ich ­dagegen. Der Punkt ist: Wir können und müssen Atomkraftwerke ständig verbessern. Und man muss vergleichen. Ein Kohlekraftwerk emittiert 50- bis 100-mal mehr Radio­aktivität als ein Atomkraftwerk, weil Kohle Thorium und Uran enthält. Selbst wenn man die Asche filtert. Genauso beim Kohleabbau. Davon abgesehen: Atomkraft ist nur eine Übergangstechnologie, die wir in 50 Jahren hoffentlich nicht mehr brauchen.

Was halten Sie denn vom deutschen Atomausstieg?
Er ist bedauerlich, da die Kraftwerke vor ihrem üblichen Laufzeitende ­gestoppt werden. Man kann doch ­jederzeit Sicherheitsmaßnahmen nachrüsten. Aber das ist eine nationale Entscheidung. Die gute Nachricht ist, dass Energie in Zukunft aus vielen Quellen kommt.

Zählt dazu auch Fracking, die ­umstrittene Gewinnung von Gas und Öl aus Schiefergestein?
Schiefergas ist besser, als Kohle zu verbrennen. Es stößt nur halb so viel Kohlendioxid aus und produziert viel weniger Schadstoffe. Natürlich muss Fracking mit so wenig Umweltfolgen wie möglich betrieben werden. Aber letztlich ist auch Gas nur ein Übergangstreibstoff, bis erneuerbare Energien so billig sind, dass sich die Sache von selbst erledigt.

Präsident Obama hat erst im Juni einen neuen Anlauf in Sachen ­Klimaschutzgesetze in den USA ­ genommen. Warum haben Sie trotzdem Ihr Amt niedergelegt?
Weil ich wieder Wissenschaft betreiben möchte. Ich liebe Wissenschaft, ich bin sehr, sehr gern Professor. Und ich habe so viele neue Ideen. Zum Beispiel werde ich an der Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs mitarbeiten.

Das ist aber ziemlich weit weg von Atomen und Autobatterien.
Stimmt. Ich stecke meine Nase wohl einfach zu gern in viele verschiedene Dinge. 

Vom Physiklabor ins
Energieministerium

Steven Chu (65) wurde als Sohn chinesischer Einwanderer im amerikanischen St. Louis geboren. Der studierte Physiker entwickelte in den Bell Laboratories sogenannte Laserkühlfallen, die es erlauben, einzelne Atome genau zu untersuchen oder auch Atomuhren zu konstruieren. Dafür erhielt er zusammen mit zwei anderen Wissenschaftlern 1997 den Nobelpreis für Physik. 2004 wurde Chu Leiter des Lawrence Berkeley National Laboratory des Energieministeriums, das er zu einem Zentrum für die Forschung an Biokraftstoffen und Solarenergie ausbaute. 2009 berief Präsident Obama ihn an die Spitze des Energieministeriums. Zu Beginn seiner Amtszeit legte Chu ein 35 Milliarden Dollar schweres Programm zur Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz auf. Für die Kreditvergabe an spätere ­Pleitefirmen wurde er heftig ­kritisiert. Chu ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.

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