Weizen mit weiterem Abwärtspotenzial?
Wie heißt es doch so schön: Eine Party soll man verlassen, wenn sie noch in vollem Gange ist.
Wer diese Weisheit in den vergangenen Jahren bei Long-Engagements in Weizen beherzigt hat, konnte sich von diesen Positionen zu vierstelligen Notierungen trennen. Seither haben sich die Kurse mehr als halbiert. Und es ist nicht auszuschließen, dass es noch eine Etage tiefer geht.
Endbestände nahe Zehn-Jahres-Hoch
Immerhin hat das US-Landwirtschaftsministerium kürzlich seine Schätzungen hinsichtlich der 2009/10er Endbestände von zuvor 706 auf jetzt 743 Millionen Scheffel angehoben. Verglichen mit den 667 Millionen Scheffeln der vorherigen Saison bedeutet das einen nicht unerheblichen Zuwachs. Gegenüber den 306 Millionen Scheffeln aus dem Wirtschaftsjahr 2007/08 haben sich die Bestände sogar mehr als verdoppelt und absolut gesehen bewegen sich die Vorräte im Bereich ihres Zehn-Jahres-Hochs. Lediglich im Jahr 2002 waren sie mit 777 Millionen Scheffeln leicht höher. Das Ending Stock to Use Ratio wird daher auf komfortable 33 Prozent steigen und ist damit ebenfalls lediglich drei Prozentpunkte vom Höchstwert aus 2002 entfernt. Kurz gesagt: US-Weizen ist gegenwärtig mehr als reichlich vorhanden. Aber auch auf globaler Ebene hat sich die Versorgungssituation sichtbar entspannt: Für die laufenden Saison rechnen die amerikanischen Behörden mit einem Zuwachs der Endbestände von 170 auf 184 Millionen Tonnen oder 28 Prozent des jährlichen Verbrauchs.
US-Weizen in ausgezeichnetem Zustand
Wenngleich diese Schätzungen eigentlich schon bärisch genug sind, wollen wir nicht ausschließen, dass das US-Landwirtschaftsministerium seine Prognosen hinsichtlich der Vorräte in den kommenden Monaten nochmals erhöhen muss. Denn die amerikanischen Weizen-Pflanzen befinden sich gegenwärtig in einem hervorragenden Zustand. Am 24. August wurde bekannt, dass 72 Prozent des Weizens sich in einem guten bis ausgezeichneten Zustand befindet. Im letzten Jahr waren es zu diesem Zeitpunkt nur 55 Prozent. Insofern kann von weit überdurchschnittlichen Ernteerträgen ausgegangen werden. Ob das in den jüngsten Schätzungen bereits vollumfänglich berücksichtigt ist, erscheint wenigstens fraglich.
Massiver Einbruch bei Exporten
Erschwerend kommen die mehr als schleppenden Exporte hinzu: Für das Gesamtjahr erwarten die Experten des Landwirtschaftsministeriums einen Rückgang von sechs Prozent bei den Weizen-Ausfuhren. Woher sie diesen relativen Optimismus nehmen, erschließt sich uns nicht. Denn zur Stunde beträgt das Minus bei den Exporten in 2009 satte 47 Prozent. Bedenkt man, dass US-Weizen ungeachtet des massiven Preisverfalls im internationalen Vergleich nach wie vor recht teuer ist und weltweit genügend Weizen vorhanden ist, muss wohl eher mit Rückgängen in einem deutlich zweistelligen Prozentbereich bei den Ausfuhren gerechnet werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt droht demnach ein weiterer Zuwachs bei den Endbeständen, der sich ganz bestimmt nicht positiv auf die Notierungen auswirken dürfte.
Bullische Saisonalität
Unter Angebot/Nachfrage-Gesichtspunkten spricht somit eigentlich alles für weiter fallende Weizen-Preise. Dem steht die bullische Saisonalität gegenüber. Für gewöhnlich können die Kurse von Anfang Juli bis Mitte Oktober zulegen, was primär daran liegt, dass gut zwei Drittel der gesamten Weizen-Produktion auf Winterweizen entfällt, der Ende Juni eingebracht werden kann. Dadurch sehen wir ein typisches Erntetief. Allzu viel sollten Anleger auf den jahreszeitlichen Preisverlauf jedoch nicht geben. Denn letztlich ist das Angebot gegenwärtig einfach zu erdrückend, um nenneswerte Kurssteigerungen zu zulassen.
Charttechnik: Noch keine Bodenbildung in Sicht
Wenig Hoffnung im Hinblick auf steigende Notierungen macht darüber hinaus die technische Betrachtung des Markts. Der Abwärtstrend seit April letzten Jahres ist nach wie vor vollständig intakt und in den zurückliegenden Wochen hat sich der Down-Move sogar noch erheblich beschleunigt. Negativ zu werten ist in diesem Zusammenhang vor allem der Umstand, dass die 18-Tage-Linie nach unten durchbrochen wurde. Auch generieren sowohl der MACD als auch die Stochastik und der RSI Verkaufssignale. Und da außerdem der starke Support bei 500 US-Cents im September-Future mittlerweile „Geschichte“ ist, hat der Markt weiteres Abwärtspotenzial. Wenn man bedenkt, wo Weizen eigentlich herkommt, ist nicht auszuschließen, dass die Kurse bis Jahresende in den Bereich von 400 US-Cents „abschmieren“. Long-Engagements sind demzufolge derzeit absolut tabu. Auf der „kurzen Seite“ können risikofreudige Anleger ihr Glück jedoch durchaus versuchen.
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter: www.rohstoff-trader.deDer obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die Smarthouse Media GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.