Verbraucherrechte gestärkt

Urteil: Der Widerrufsjoker lebt auf

04.04.20 10:00 Uhr

Urteil: Der Widerrufsjoker lebt auf | finanzen.net

Der Europäische Gerichtshof stärkt Verbraucherrechte. Millionen Kreditverträge könnten betroffen sein. Was Bankkunden wissen sollten.

von Simone Gröneweg, €uro am Sonntag

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den Widerrufsjoker für Immobilienkredite und Kfz-Finanzierungen neu belebt (Rechtssache C-66/19). Das Landgericht Saarbrücken hatte den Richtern einen Rechtsstreit wegen des Widerrufs eines Immobiliendarlehens gegen die Sparkasse Saarlouis vorgelegt.

Das Gericht erklärte nun eine Klausel in dem Darlehen für unvereinbar mit dem europäischen Recht. Die Klausel verweist für den Beginn der Widerrufsfrist auf Paragraf 492 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Der wiederum verweist auf andere Paragrafen.

Kritiker sprechen von einem Kaskadenverweis. Das Ganze widerspricht laut Urteil der europäischen Richtlinie für Verbraucherkreditverträge. Die verlangt, dass Verbraucher in klarer und prägnanter Form informiert werden - auch über den Beginn der Widerrufsfrist. Ist das nicht geschehen, können Kunden selbst nach Jahren noch widerrufen.

Das Urteil könnte Millionen Verträge betreffen. Die vom EuGH bewertete Klausel soll sich in Immobiliendarlehen befinden, die zwischen dem 10. Juni 2010 und dem 20. März 2016 abgeschlossen wurden. Betroffene könnten unter Umständen ihr Darlehen auf einen Vertrag mit günstigeren Zinsen umschulden oder ihn ohne Vorfälligkeitsentschädigung vorzeitig ablösen. Interessant ist das Urteil auch für Verbraucher, die seit Juni 2010 mit einem Kredit- oder Leasingvertrag ein Auto finanziert haben. Ein Widerruf könnte dazu führen, dass sie das Fahrzeug zurückgeben können und Anzahlung sowie Raten wiedererhalten.

Erst beraten lassen


Wie sollen sich Betroffene verhalten? "Ohne eine Beratung vorab sollte kein Verbraucher einfach seine Darlehensverträge widerrufen", warnt Anwalt Achim Tiffe von der Kanzlei Juest und Oprecht. Wer widerruft, müsse ein Darlehen zeitnah zurückzahlen können. Es gebe vermutlich viele Verbraucher, die weder das Geld dafür haben noch umschulden können.

"Banken und Sparkassen werden zudem nicht einfach nachgeben und den Widerruf akzeptieren", schätzt Anwalt Tiffe. Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof die beanstandete Verweiskette 2016 für rechtens erklärt hat. "Es kann daher sein, dass sich Banken und Sparkassen weiterhin auf die Entscheidung der obersten Richter in Deutschland berufen", schreibt die Verbraucherzentrale Hamburg.

Mancher Verbraucher ist vielleicht verwirrt, weil der Widerrufsjoker eigentlich beerdigt worden war. Der Bundestag hatte 2016 dessen Aus beschlossen. Allerdings betraf das den Widerruf von Immobilienkrediten, die zwischen September 2002 und Juni 2010 geschlossen wurden. Was jüngere Verträge angehe, habe man fleißig weiter gestritten, erzählt Tiffe. Das wird wohl so bleiben.








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