Widerrufsjoker lebt: Fazit des Jahres 2016 beim Kredit-Widerruf
Eigentlich haben die Banken gehofft, dass mit der Neuregelung des Gesetzes für Immobilienkredite am 21. Juni 2016 der sogenannte Widerrufsjoker endgültig stirbt. Doch sie haben sich getäuscht.
Denn die jüngsten Gerichtsurteile zeigen, dass der Widerruf von Baufinanzierungen noch lange nicht tot ist. Zwei Gruppen von Kreditnehmern können mit Hilfe des Widerrufsjokers aus einer teuren Baufinanzierung aussteigen.
Der Widerrufsjoker hat im vergangenen Jahr für reichlich Schlagzeilen gesorgt. Denn zehntausende Immobilienbesitzer haben fehlerhafte Widerrufsbelehrungen in ihren Kreditverträgen genutzt, um sich während der laufenden Zinsbindung von alten Baufinanzierungen zu trennen. Die stark gesunkenen Zinsen machten dies enorm attraktiv: Wenn ein Verbraucher beispielsweise aus einer Baufinanzierung mit einem Zinssatz von fünf Prozent und einem Volumen von 200.000 Euro vier Jahre vor Ende der Zinsbindung "herauskommt" und danach nur noch einen Zins von zwei Prozent bezahlt, so spart er 6.000 Euro pro Jahr, in vier Jahren also 24.000 Euro.
Das sind Summen, die den Banken weh getan haben. Ihre Lobbyarbeit hat dafür gesorgt, dass Bundesregierung und Bundestag mit einer Neuregelung des Gesetzes für Immobilienkredite im Frühjahr 2016 den Widerrufsjoker für Verbraucher beschnitten hat. Immobilienkredite, die vor dem 10. Juni 2010 abgeschlossen wurden, können nun auch bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung nicht mehr widerrufen werden. Für jüngere Darlehen gilt diese Einschränkung nicht. Das Kalkül der Finanzindustrie war, dass Baufinanzierungen, die nach Juni 2010 abgeschlossen worden sind, nicht mehr fehlerhaft sind.
Doch mit dieser Erwartung haben sich die Kreditinstitute getäuscht. Denn jüngste Gerichtsurteile zeigen, dass etliche Baufinanzierungen aus der Zeit nach Juni 2010 ebenfalls fehlerhafte Widerrufsbelehrungen aufweisen. Somit ist der Widerrufsjoker noch quicklebendig - insbesondere für zwei Gruppen von Baufinanzierungen.
1. Alle Darlehen nach dem 10. Juni 2010
Für Kredite, die nach dem 10. Juni 2010 abgeschlossen wurden, ist der Widerruf nach wie vor möglich. Sie sind von dem neuen Gesetz grundsätzlich nicht erfasst. Neueste Urteile des OLG Nürnberg und OLG Karlsruhe sowie des Bundesgerichtshofs (XI ZR 434/15) bestätigen, dass zahlreiche Kreditverträge aus diesem Zeitraum fehlerhafte Widerrufsbelehrungen haben und daher widerrufen werden können. Und das ist äußerst lukrativ: Denn viele Darlehen aus den Jahren 2010 bis 2012 haben Zinssätze um die vier Prozent - während heute eher eine Verzinsung von 1,5 Prozent üblich ist. Besonders Immobilienbesitzer, die zwischen Mitte 2010 und Ende 2011 finanziert haben, haben nach Untersuchungen der Interessengemeinschaft Widerruf, einem Zusammenschluss von betroffenen Verbrauchern, gute Chancen, den Widerrufsjoker noch zu ziehen.
2. Darlehen vor Juni 2010, die bereits widerrufen wurden
Der Widerrufsjoker greift ebenfalls für Verbraucher, die ihre Baufinanzierung vor dem 10. Juni 2010 abgeschlossen haben und rechtzeitig vor dem 22. Juni 2016 den Widerruf ausgesprochen haben. In der Regel haben die Banken diese Widerrufe inzwischen zurückgewiesen - das ist völlig normal, solange der Kunde keinen Anwalt einschaltet. Es bedeutet aber nicht, dass die Widerrufsbelehrung korrekt ist, auch wenn die Banken dies in ihren Schreiben behaupten. Hier wird von den Finanzinstituten häufig wider besseres Wissen geblufft. Kreditnehmer sollten sich dadurch nicht einschüchtern lassen, sondern beispielsweise mit Hilfe der IG Widerruf (www.widerruf.info) prüfen lassen, wie die sinnvollsten nächsten Schritte aussehen können, um das Darlehen anzugreifen.
Interessant ist auch, dass nach Ablaufen der Widerrufsfrist für Altkredite der BGH im Juli 2016 in einem weitreichenden Urteil (Az. XI ZR 564/15) nahezu alle Baufinanzierungen der Sparkassen aus dem Zeitraum 2003 bis 2008 für widerrufbar erklärt. Von dem Urteil können allerdings nur jene Kreditnehmer profitieren, die ihr Darlehen bereits widerrufen haben. Dies ist nur ein Beispiel dafür, welche Darlehen betroffen sind. Schätzungen der Verbraucherzentralen besagen, dass insgesamt rund 80 Prozent aller Kreditverträge aus der Zeit zwischen 2003 und 2010 fehlerhaft sind.
Der Widerruf von Baufinanzierungen ist also weiterhin rechtlich möglich und in vielen Fällen für den Verbraucher höchst lukrativ. Allerdings kommt es immer auf eine individuelle Prüfung des Sachverhalts an. Diese sollte von einem erfahrenen Rechtsanwalt vorgenommen werden. Die Interessengemeinschaft Widerruf bietet unter www.widerruf.info eine kostenlose und unverbindliche Prüfung sowohl von Baufinanzierungen als auch von Lebens- und Rentenversicherungen an.
Auch bei der Umsetzung des Widerrufs ist in aller Regel anwaltliche Hilfe nötig. Nur in den seltensten Fällen akzeptieren die Finanzinstitute den Widerruf des Kunden vorbehaltlos. Verständlich, denn es geht um eine Menge Geld. Das bedeutet aber nicht, dass der Verbraucher unbedingt ins Kostenrisiko gehen muss. In etlichen Fällen übernimmt eine Rechtsschutzversicherung die Kosten des Rechtsstreits. In anderen Fällen besteht die Möglichkeit, dass eine Prozessfinanzierung greift.
Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Für viele Verbraucher bietet der Widerrufsjoker eine interessante Möglichkeit, sich von Baufinanzierungen und Lebensversicherungen zu lösen. Auch wenn die Finanzinstitute diese Vorgehensweise nicht gerne sehen und teilweise erheblichen Widerstand leisten, ist die Vorgehensweise absolut legitim und durch zahlreiche höchstrichterliche Urteile gedeckt. Für viele Kunden stehen somit die Chancen gut, auf diese Art und Weise etliche Tausend Euro zu sparen.
Roland Klaus arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und ist Gründer der Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info). Sie dient als Anlaufstelle für alle, die sich zum Thema Widerruf von teuren Kreditverträgen informieren und austauschen wollen und bietet eine kostenlose Prüfung von Widerrufsklauseln in Immobiliendarlehen an. Bekannt wurde Klaus als Frankfurter Börsenreporter für n-tv, N24 und den amerikanischen Finanzsender CNBC sowie als Autor des Buch „Wirtschaftliche Selbstverteidigung“. Sie erreichen Ihn unter kontakt@widerruf.info
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