Widerrufsjoker - BGH Urteil kippt Widerrufsbelehrung der Sparkassen
Ein neues BGH-Urteil ist für viele Sparkassen-Kunden wie ein Lottogewinn.
Denn es ermöglicht etlichen Tausend Kreditnehmern den Ausstieg aus einer hochverzinsten Baufinanzierung - auch wenn die Zinsbindung noch läuft. Das bringt in den meisten Fällen eine Ersparnis von mehreren Tausend Euro. Aber dafür gibt es eine wichtige Voraussetzung.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Aussichten für private Kreditnehmer beim Widerruf von Baudarlehen gestärkt. Sie können nun mit Hilfe des sogenannten Widerrufsjokers aus einem laufenden Immobilienkredit aussteigen. In dem Verfahren ging es um eine Widerrufsbelehrung der Sparkasse Nürnberg, die so oder ähnlich auch von zahlreichen Sparkassen im Zeitraum 2005 bis 2009 verwendet wurde. Sie beinhaltete Fußnoten, in denen es unter anderem heißt "Bitte Frist im Einzelfall prüfen".
Der BGH hat nun entschieden (Az. XI ZR 564/15), dass diese Widerrufsbelehrung ungültig sei. Dies liegt daran, dass es in dem Text heißt, die Widerrufsfrist beginne "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung...". Dies sei für den Verbraucher verwirrend und unklar. Zum anderen können sich die Bank aufgrund der Fußnoten auch nicht darauf berufen, den Mustertext des Gesetzgebers verwendet zu haben. Aufgrund dieser Tatsache fängt die übliche 14tägige Widerrufsfrist nicht zu laufen an. Damit sind solche Darlehen auch Jahre nach Abschluss noch widerrufbar und müssen rückabgewickelt werden.
Der Widerruf ist für viele private Immobilienbesitzer enorm lukrativ, da die Zinsen in den vergangenen Jahren stark gesunken sind. Wer beispielsweise im Jahr 2008 eine Baufinanzierung mit zehnjähriger Zinsbindung abgeschlossen hat, zahlt typischerweise rund fünf Prozent Zinsen. Die gleiche Finanzierung ist heute für etwa 1,5 Prozent Zins zu bekommen. Durch den Widerruf eines laufenden Darlehens kann der Kreditnehmer sofort in ein niedrig verzinstes Darlehen wechseln. Zudem hat er durch die Rückabwicklung des Darlehens einen Anspruch auf eine sogenannte Nutzungsentschädigung gegen sein Kreditinstitut. Diese ergibt sich daraus, dass die Bank dem Verbraucher sämtliche Zahlungen (Zinsen, Tilgung, Sondertilgung) verzinsen muss.
Allerdings hat das heutige BGH-Urteil auch einen Haken. Profitieren können davon überwiegend nur Verbraucher, die ihr Darlehen bereits vor dem 22. Juni 2016 bei Ihrer Bank widerrufen haben. Denn das neue Gesetz für Wohnimmobilienkredite sieht vor, dass Darlehen, die vor dem 11. Juni 2010 abgeschlossen wurden, bis zum 21. Juni 2016 widerrufen werden mussten. Danach geht nichts mehr - selbst wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist. Deswegen hatten zahlreiche Verbraucherschützer wie die Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info) dazu aufgerufen, Darlehensverträge vorsorglich zu widerrufen. Kreditnehmer, die diesen Rat befolgt haben und rechtzeitig widerrufen haben, können nun auf Basis des aktuellen BGH-Urteils die nächsten Schritte machen. Sie sollten mit Hilfe eines Anwalts das Gespräch mit der Bank suchen und den bereits erklärten Widerruf durchsetzen - notfalls vor Gericht.
Zwar bezieht sich das Urteil in erster Linie auf eine Widerrufsbelehrung der Sparkassen, doch haben auch etliche andere Kreditinstitute Widerrufsbelehrungen mit missverständlichen Fußnoten verwendet. Dazu gehören beispielsweise Volksbanken, Raiffeisenbanken und Sparda-Banken. Auch bei diesen Darlehen dürfte das BGH-Urteil den Verbrauchern Rückenwind verschaffen.
Positiv aus Sicht der Verbraucher ist zudem zu werten, dass der BGH feststellt, dass das Widerrufsrecht im vorliegenden Fall weder verwirkt sei noch rechtsmißbräuchlich ausgeübt worden sei. Damit werden die beiden wichtigsten Argumente der Banken ausgehebelt, mit denen diese sich gegen den Widerrufsjoker wehren. So haben die Kreditinstitute in der Vergangenheit häufig argumentiert, dass Verbraucher ihre Darlehen nur widerrufen, um Zinsen zu sparen. Dies sei rechtsmißbräuchlich und widerspreche dem eigentlich Sinn des Widerrufsrechts. Zudem sei das Widerrufsrecht verwirkt, da der Abschluss des Darlehens längere Zeit zurückliege. Beide Argumente hat der BGH zumindest für den vorliegenden Fall verneint.
Wie sollten betroffene Verbraucher nun vorgehen? Kreditnehmer, die ihr Darlehen vor dem 11. Juni 2010 abgeschlossen haben und bisher noch nicht widerrufen haben, können von dem Urteil nicht mehr profitieren. Wurde der Widerruf dagegen erklärt, sollte mit anwaltlicher Hilfe noch einmal das Gespräch mit der Bank gesucht werden und notfalls Klage eingereicht werden.
Kreditnehmer, die nach dem 10. Juni 2010 finanziert haben, dürften durch das Urteil ebenfalls bessere Chancen haben. Zwar wurden die dem heutigen Verfahren zugrundeliegenden Widerrufsbelehrungen in diesem Zeitraum kaum noch verwendet. Doch die Äußerungen des BGH zu Rechtsmißbrauch und Verwirkung sind auch hier hilfreich. Da für diese Darlehen keine Frist für den Widerruf existiert, sollten Kreditnehmer zunächst ihre Darlehen bei der Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info) anwaltlich prüfen lassen und auf Basis des Ergebnisses weitere Schritte erwägen.
Roland Klaus arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und ist Gründer der Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info). Sie dient als Anlaufstelle für alle, die sich zum Thema Widerruf von teuren Kreditverträgen informieren und austauschen wollen und bietet eine kostenlose Prüfung von Widerrufsklauseln in Immobiliendarlehen an. Bekannt wurde Klaus als Frankfurter Börsenreporter für n-tv, N24 und den amerikanischen Finanzsender CNBC sowie als Autor des Buch „Wirtschaftliche Selbstverteidigung“. Sie erreichen Ihn unter kontakt@widerruf.info
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