Krimi um Clerical-Medical-Rente
Die Briten-Rente mit „garantiertem Wertzuwachs“ auf Pump entpuppt sich als Fiasko. Der Lloyds Bank droht eine Klagewelle.
von Michael H. Schulz, €uro am Sonntag
Tatort London, Baker Street, Ecke Marylebone Road. In der Nacht des 11. September 1971 buddeln Gelegenheitsganoven vom Keller eines Lederwarenshops einen Tunnel in eine Filiale der Lloyds Bank und plündern 268 Schließfächer. Zu ihrer Beute gehören nicht nur Geld und Juwelen im Wert von heute fünf Millionen Pfund, sie finden auch Schmuddelkram von ehrenwerten Lords und Skandalfotos einer blaublütigen Lady. So brisant ist der spektakulärste Banküberfall Großbritanniens, dass kaum Details in die Öffentlichkeit gerieten. 2008 wurde das Geschehen unter dem Titel „The Bank Job“ verfilmt. Die Akten bleiben bis 2054 unter Verschluss – auch weil es Ermittlungspannen gab.
40 Jahre später ist man bei der Lloyds Banking Group wieder alarmiert. Es geht darum, wie man die Bilanz sauber hält, obwohl die Versicherungstochter Clerical Medical finanzielle „Leichen im Keller“ hat. Die zum Teil verstaatlichte Lloyds Bank hat deshalb vorsorglich 175 Millionen Pfund (204 Millionen Euro) für mögliche Belastungen aus Klagen deutscher Anleger gegen die Clerical Medical Investment Group zurückgestellt. „Die finanziellen Folgen könnten signifikant sein und sind erst dann genau zu beziffern, wenn alle entsprechenden Ansprüche geklärt sind“, betont das Management der Lloyds Banking Group.
Höchste Zeit, Bilanz zu ziehen in einem brisanten Kapitalanlagenkrimi. Die Betroffenen: rund 120.000 Anleger in Deutschland. Statt die versprochene Rendite zu erhalten, bleiben sie auf einem Berg Schulden sitzen. Die mutmaßlichen Täter: gewiefte Vermittler und die Clerical Medical Investment Group, die mit irreführenden Renditen Bauernfängerei betrieben. Ihre Komplizen: Landesbanken, die die Briten-Rente mit Fremdwährungsdarlehen finanzierten. Das Motiv: der schnelle Reibach.
Policen-Perpetuummobile
Angelockt mit Steuervorteilen und „garantierten Wertzuwächsen“ investierten Anleger in eine kreditfinanzierte Altersvorsorge wie die Lex-Kompakt-, Schnee- oder Europlan-Rente auf Basis britischer Lebensversicherungen der Clerical Medical Investment Group. Ihren einmaligen Beitrag – etwa in den Policenpool Wealthmaster Noble – finanzierten 80 Prozent der Anleger zinsgünstig mit Schweizer Franken oder japanischen Yen. Deutsche Landesbanken wie die BayernLB oder die Landesbank Hessen Thüringen (Helaba) stellten die Summe parat. Das Darlehen zahle sich wegen des garantierten Wertzuwachses von jährlich 8,5 Prozent von allein ab, hieß es.
„Die Sicherheit der Anlage, besonders unter Berücksichtigung der jährlich durch Clerical Medical abgegebenen Garantien und des exzellenten Ratings durch Standard & Poor’s (AA) erscheint sehr groß“, schrieb die Kredit gebende LB Schleswig-Holstein (heute HSH Nordbank) 2001.
Pustekuchen. Denn die Briten-Rente auf Pump mit festen Zahlungsversprechen ist tatsächlich ein hoch spekulatives Zinsdifferenz- und Kredithebelgeschäft. Das Rendite-Perpetuum-mobile, das sich angeblich von selbst trägt, ist für viele der sichere Weg in die Überschuldung. Schuld daran sind mickrige Wertzuwächse aus dem Policenpool und höhere Zinsen nach Ablauf der Zinsbindungsfrist für die Fremdwährungsdarlehen. Viele bleiben auf den Schulden sitzen.
Laut dem ehemaligen Vermittler Rüdiger Krege, der selbst in die kreditfinanzierte Briten-Rente investierte, „war Clerical Medical päpstlicher als die britische Aufsichtsbehörde, die Financial Service Authority (FSA), und hat freiwillig Reserven gebildet, die über die Auflagen der FSA hinausgingen, dadurch sanken die deklarierten Wertzuwächse“. Dadurch sicherte man sich auch das verkaufsfördernde Top-Rating. Nach Meinung von Krege ist das Geld aus den Schwankungsreserven bei der angeschlagenen Hypothekenbank Halifax Bank of Scotland (HBOS), der früheren Muttergesellschaft, gelandet und nach der Zwangsfusion mit der Lloyds Banking Group bei dieser.
Die Wahrheit verschleiert
Lange hat die Clerical Medical Investment Group jede Verantwortung für Hebelgeschäfte bestritten und die Öffentlichkeit belogen. So erklärte der ehemalige Vorstandschef der HBOS Financial Services 2008 gegenüber €uro am Sonntag, „dass wir in keiner Weise in Verbindung mit Hebelprodukten stehen oder diese propagiert haben“. Dass er damit die Wahrheit zumindest verschleiert hat, stellte das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg vor einem Jahr fest: Selbst wenn die Klägerin (Clerical Medical Investment Group) „nicht an der Entwicklung der Hebelprodukte als solcher beteiligt gewesen sein sollte, hat sie nicht nur von derartigen Vertragsabschlüssen profitiert, sondern auch im Vorwege an der Erstellung der entsprechenden Prospekte mitgewirkt“ (Az. 7 U 58/10).
Das Urteil ist wie andere Entscheidungen deutscher Oberlandesgerichte in Sachen Clerical Medical Investment Group eine schallende Ohrfeige (siehe unten). Leider haben die Urteile keine grundsätzliche Bedeutung, da Clerical Medical ein höchstrichterliches Schadenersatzurteil bisher vereiteln konnte. Alle Hoffnung ruht nun auf dem 8. Februar 2012. Dann wird der Bundesgerichtshof in einem Fall über den Anspruch auf Erfüllung der vertraglich abgesicherten Zahlungen im Produkt Wealthmaster Noble entscheiden (Az. IV ZR 269/10).
Worauf Anleger sich berufen können
Anleger können auf Schadenersatz oder auf die Erfüllung von vertraglichen Ansprüchen aus den Policen klagen. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs mit grundsätzlicher Bedeutung steht aber noch aus. Einige Entscheidungen der Oberlandesgerichte (OLG) im Überblick:
● Clerical Medical hat die Pflicht zur umfassenden Aufklärung bei Wealthmaster-Noble-Policen nicht erfüllt (OLG Stuttgart, Az. 7 U 100/11).
● Schadenersatz wegen irreführender Darstellung von festen Zahlungszusagen in Versicherungsbedingungen (OLG Dresden, Az. 7 U 1358/09).
● Schadenersatz wegen realitätsferner Renditedarstellung (OLG Bamberg, Az. 3 U 81/09).
● Clerical Medical muss sich irreführende Hinweise zu Vergangenheitsrenditen im Prospekt zurechnen lassen (OLG München: Az. 25 U 2195/09).
● Weitere Informationen gibt’s unter www.poly-market.de