Lebens- und Rentenpolicen: Was Kunden jetzt wissen müssen
26.07.16 16:00 Uhr
Immer mehr Versicherer beenden das Neugeschäft und trennen sich von Millionen Lebens- und Renten-Policen mit Garantiezins. Was das für die Kunden bedeutet.
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von Martin Reim, €uro Magazin
Die Nachricht war ein Paukenschlag. Ergo, früher besser bekannt unter dem Namen Hamburg-Mannheimer und einer der Marktführer, spaltet das Geschäft mit klassischen Lebensversicherungen mit Garantiezins ab. Es geht um fünf Millionen Verträge - noch nie hat es in Deutschland eine Ausgründung in einer solchen Dimension gegeben.
Damit setzt sich der neue Ergo-Chef Markus Rieß an die Spitze einer Bewegung. Schon zuvor hatte sein Unternehmen, aber beispielsweise auch Generali, Zurich Deutscher Herold und HDI (früher Gerling) bekannt gegeben, dass es keine neuen Kapitallebens- und private Rentenversicherungen mit Garantiezins mehr abschließt. Diese Kontrakte seien zu unrentabel und kosteten zu viel Kapital, lauten die Hauptargumente quer durch die Branche.
Doch was bedeuten solche Schritte für die bisherigen Kunden? Eine Sprecherin von Ergo erklärt, ihr Haus stehe "ohne jede Einschränkung" zu seinen Verpflichtungen - beim bereits vollzogenen Ende des Neugeschäfts und bei der künftigen Ausgründung. Sprecher der Wettbewerber sehen ebenfalls keine negativen Folgen. Anderer Ansicht ist Axel Kleinlein, Chef der Verbraucherschutzorganisation Bund der Versicherten: "Es gibt dann keinen Grund mehr, die Kunden nett zu behandeln." Ohne Neugeschäft fehle der Zwang, die Versicherten mehr als nötig an den Überschüssen zu beteiligen. "Bislang wollte man neue Kunden anziehen und deshalb nicht allzu unattraktiv erscheinen."
Allerdings waren die Räume für ein solches Selbstmarketing schon seit einiger Zeit eng. Um Jahr für Jahr Gewinne zu erwirtschaften, müssen die Versicherer die Kundengelder hauptsächlich in festverzinslichen Papieren anlegen. Deren Renditen sind ins Bodenlose gesunken. Dies zehrt an den Überschussbeteiligungen alter und neuer Verträge. Doch des einen Leid ist des anderen Freud. Die meisten Akteure machen das sogenannte Run-off (der englische Begriff bedeutet "Abwicklung" und steht für den Umgang mit Vertragsbeständen ohne Neugeschäft) zwar in Eigenregie. Daneben bemühen sich aber inzwischen externe Dienstleister darum, solche Pakete zu übernehmen.
Der größte und älteste ist hier die Heidelberger Leben Gruppe. Die frühere MLP Leben hat die Skandia Leben eingegliedert und verwaltet rund 840 000 Verträge. Noch nicht im aktiven Geschäft ist die Frankfurter Leben, die zu 75 Prozent dem chinesischen Investor Fosun gehört. Hier geht es um die Übertragung von rund 128 000 Verträgen mit einer Größenordnung von knapp zwei Milliarden Euro. Es handelt sich dabei um einen seit mehreren Jahren für das Neugeschäft geschlossenen Bestand der Basler Leben AG Direktion für Deutschland.
Zum gesellschaftsrechtlichen Hintergrund: Die Unternehmen Deutscher Ring Lebensversicherungs-AG, Deutscher Ring Sachversicherungs-AG und Deutscher Ring Financial Services GmbH gehören seit 1985 zur Baloise Gruppe, also zum Mutterkonzern der Basler Versicherungen in Deutschland. Zum 21.12. 2012 fand sodann eine Umfirmierung statt: Aus Deutscher Ring Lebensversicherungs-AG wurde Basler Lebensversicherungs-AG. "Es gibt keine Pläne, deren Bestand zu verkaufen", betont ein Basler-Sprecher.
Was den geplanten Frankfurter-Deal mit den 128 000 Verträgen betrifft, hat die Finanzaufsicht Bafin, die den Übernahmeantrag schon im vergangenen November erhalten hatte, noch nicht zugestimmt. Ein Bafin-Sprecher will auf Anfrage keinen Termin nennen, bis zu dem eine Entscheidung fallen wird. Er betont lediglich, man stelle "hohe Anforderungen an die Wahrung der Versichertenbelange".
Verbraucherschützer Kleinlein betrachtet solche Verkäufe an Externe besonders kritisch: "Ab dem Moment wird der Kunde zur Ware." Bernd Neumann, Finanzvorstand der Frankfurter Leben, verspricht hingegen eine kundenfreundliche und effiziente Verwaltung. Man werde die Kapitalanlagen auch weiterhin professionell managen, bei der Überschussbeteiligungspolitik sei keine Änderung geplant. "Unser Vorteil ist, dass wir uns auf die Bestandsverwaltung konzentrieren können." Die Informationstechnik lasse sich deshalb effizienter aufstellen, zudem würden keine Abschlusskosten für etwaiges Neugeschäft fällig. Zwar sinkt durch planmäßiges Auslaufen die Zahl von Verträgen, was rein rechnerisch die Verwaltungskosten pro Vertrag erhöht. Doch erklärt Neumann, dass dieser Effekt in der Realität nicht eintreten werde. "Da wir planen, weitere Bestände zu übernehmen, können wir dies zusagen."
Auch der Sprecher der Heidelberger Leben Gruppe betont die Kundenfreundlichkeit und sagt: "Kontinuität in Verbindung mit Verlässlichkeit ist ein hohes Gut." Immerhin habe sein Haus ein vitales Interesse daran, möglichst viele Versicherungsnehmer zu halten. Denn bei zu vielen Kündigungen seien die geplanten Kostenvorteile nicht erreichbar.
Neutral zu solch externen Lösungen äußert sich Lars Gatschke, Versicherungsexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands. "Per se würde ich den Verkauf nicht verteufeln wollen. Es kommt immer auf den Einzelfall an", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings könnten eventuelle Kostenvorteile aufgehoben werden, wenn die Investoren allzu viel verdienen wollten. "In der Vergangenheit waren es oft angelsächsische Anleger, die auf Renditen von bis zu 20 Prozent hofften."
Mit großer Spannung beobachte auch Partner in Life die Entwicklung, sagt dessen Geschäftsführer Dean Goff. Das Unternehmen kauft Policen am sogenannten Zweitmarkt direkt von Privatkunden und sieht sich als einer der größten Versicherungsnehmer in Deutschland. "Wir trennen uns nicht allein wegen eines etwaigen Run-offs von einer Police. Vielmehr werden wir dann die Kennzahlen noch akribischer prüfen, als wir es ohnehin bereits tun", erklärt Goff. Er rät betroffenen Kunden, die Situation im Auge zu behalten und die Police gegebenenfalls von einem Zweitmarktanbieter prüfen zu lassen.
Mangel an Erfahrung. Klare Erfahrungswerte, was in puncto Überschussbeteiligung bei einem Run-off passiert, existieren laut Goff nicht. Immerhin gibt es einen Vergleich innerhalb eines Unternehmens, was Lebensversicherer mit und ohne Neugeschäft betrifft. Ergo legte im Jahr 2011 die Tochtergesellschaft Victoria mit damals 1,7 Millionen Verträgen still. Seitdem verlief die Überschussbeteiligung parallel zu Ergo Leben, die damals noch Neugeschäft schrieb - es gab also zumindest keine relative Verschlechterung für Victoria-Kunden.
Was sollten Versicherte nun tun, wenn ihr Anbieter sein Geschäft aufgibt oder gar verkauft? Auf jeden Fall nichts übereilen. Auch nach einem Run-off zählen im Großen und Ganzen dieselben Argumente, wie sie generell bei Lebensversicherungen gelten. Insbesondere wer eine Police mit einem hohen Garantiezins besitzt, sollte sich eine Kündigung oder Beitragsfreistellung zweimal überlegen. Es fehlen einfach die attraktiven Alternativanlagen.
Im Zweifelsfall werden die Kunden von einem Run-off auch nichts erfahren. Es gibt keine gesetzliche Pflicht zur Information, und selbst bei einer externen Lösung ändern sich in der Regel weder die Ansprechpartner noch die Adressen. Denn die Käufer übernehmen üblicherweise den ganzen Unternehmenszweig inklusive Personal.
Anmerkung: Der ursprüngliche Artikel, der in €uro 8/2016 erschienen ist, enthielt einige Fehler in den Passagen, welche die Basler Lebensversicherung betrifft. Diese Fehler sind in der hier vorliegenden Fassung korrigiert.
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