"Wir warten nicht, bis das Haus brennt"
Gabriel Bernardino, der Präsident der EU-Versicherungsaufsicht, über die deutsche Assekuranz - und warum der jüngste Zinssturz die Lage verschlimmert.
von Martin Reim, €uro am Sonntag
Er wirkt leutselig, doch spätestens seit vergangenem Dezember zittert die europäische Versicherungsbranche vor diesem Mann: Gabriel Bernardino. Damals präsentierte der Chef der EU-Versicherungsaufsicht Eiopa die Ergebnisse eines europaweiten Stresstests. Demnach könnten sage und schreibe 24 Prozent der 250 untersuchten Unternehmen in absehbarer Zeit in Schieflage geraten, falls die Zinsen weiter so niedrig bleiben.
€uro am Sonntag: Die deutschen Lebensversicherer haben 2014 überraschend mehr eingenommen als 2013. Ist die Branche damit aus dem Gröbsten heraus?
Gabriel Bernardino: Davon kann keine Rede sein. Mehr Einnahmen bedeuten mehr Provisionen. Das ist zwar angenehm, löst aber die grundsätzlichen Schwierigkeiten nicht. Wir als Aufsicht müssen auf diese Probleme achten.
Wo hakt es besonders?
Gerade in Deutschland wurden in der Vergangenheit hohe langfristige Garantien ausgesprochen. Angesichts der niedrigen Zinsen ist es eine echte Herausforderung, diese Zusagen zu erfüllen.
Im vergangenen Jahr hat Ihr Haus einen europaweiten Stresstest organisiert. Da haben vor allem deutsche Versicherer schlecht abgeschnitten. Wird es irgendwann eine Pleite geben?
Diese Studie war lediglich eine Projektion dessen, was passieren könnte, wenn niemand etwas tut. Wir sind zuversichtlich, dass die nationalen Aufsichtsbehörden, im deutschen Fall die Bafin, das Richtige tun werden, und haben auch entsprechende Hinweise gegeben.
Bei Veröffentlichung des Stresstests sagten Sie, es könnte in frühestens acht Jahren zu Problemen kommen. Gilt dieser Termin noch?
Die Zinsen sind seitdem weiter gesunken. Deshalb würde es wohl früher zu Turbulenzen kommen als in acht Jahren, falls die Rahmenbedingungen gleich bleiben. Um wie viel früher, kann ich nicht sagen, weil wir das noch nicht kalkuliert haben.
Der nächste Stresstest ist für 2016 vorgesehen. Wollen Sie den möglicherweise vorziehen?
Dafür sehen wir keinen Anlass. Aber glauben Sie mir: Wir haben die Sache genau im Blick. Wir warten nicht, bis das Haus brennt, sondern werden vorher reagieren.
Sie wollen europaweite Regeln für Versicherungsprodukte festschreiben. Um was geht es genau?
Vor allem um mehr Transparenz. Die Konsumenten sind anspruchsvoller geworden, und das ist auch gut so. Dabei muss klar sein: Mehr Verständlichkeit entsteht nicht durch mehr Informationen, sondern durch weniger. Durch Vereinfachung, durch Standardisierung. Denn Konsumenten lesen üblicherweise nicht, und was sie lesen, verstehen sie nicht. Unser Ziel sind Informationen, die auf maximal drei Blatt Papier passen und einen Vergleich mit anderen Produkten erlauben.
Europaweit tobt ein Streit, ob Beratung besser durch Honorar oder durch Provision zu finanzieren ist. Was ist Ihre Haltung?
Wir sind hier neutral, das ist eine Angelegenheit der einzelnen Länder. Aber man muss die Schwierigkeiten bei beiden Wegen sehen. Bei Provisionen besteht immer die Gefahr eines Interessenskonflikts - verkauft der Vermittler ein bestimmtes Produkt nur, weil es ihm viel Provision bringt? Auf der anderen Seite kann es beim Honorarmodell das Problem geben, dass bestimmte Bevölkerungsschichten sich kaum noch um Finanzprodukte kümmern. Erfahrungsgemäß sind nur wenige Konsumenten bereit, offen ausgewiesene Honorare zu bezahlen.
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Bildquellen: Nejron Photo / Shutterstock.com, EU-Versicherungsaufsicht