Abgeltungsteuer vor dem Aus?
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble denkt darüber nach, die Pauschalsteuer von 25 Prozent abzuschaffen. Seine Pläne haben weitreichende Folgen für alle Kapitalanleger.
von Stefan Rullkötter, Euro am Sonntag
Der Stolz war Wolfgang Schäuble deutlich anzusehen, als er Mitte Juli nach einer Kabinettssitzung verkünden ließ: "Deutschland wird ab 2017 in den automatischen Steuer-Informationsaustausch über Finanzkonten eintreten." Den Grundstein dafür hatte der Finanzminister im Herbst 2014 auf der Weltsteuerkonferenz in Berlin selbst gelegt.
Unter seinem Vorsitz verpflichteten sich damals 51 Staaten, in Zukunft über ihre Steuerbehörden Auskünfte zu Guthaben, Zinsen, realisierten Kursgewinnen und Dividenden ausländischer Bankkunden zu erteilen. Inzwischen ist die Zahl der Länder, die daran teilnehmen, auf über 60 gestiegen - darunter auch frühere Steueroasen wie Singapur, die Schweiz und Liechtenstein.
Schäubles Erfolge im Kampf gegen Steuerbetrüger werden bald auch Folgen für alle steuerehrlichen Kapitalanleger haben. Kommt der internationale Informationsaustausch über Bankkundendaten ins Rollen, könnte damit das Ende der 25-prozentigen Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge besiegelt sein.
Höherer Steuersatz auf Erträge
"Denkbar ist im ersten Schritt eine Anhebung des Abgeltungsteuersatzes auf mindestens 30 Prozent", sagt der Münchner Steuerberater Ulrich Thiele, der auf Kapitalanlagen spezialisiert ist. Beim Koalitionspartner SPD würde Schäuble damit offene Türen einrennen. Die Genossen hatten im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 die Erhöhung des Abgeltungsteuersatzes von 25 auf 32 Prozent festgeschrieben.Dass die EU den Druck auf Länder, die bislang keine Informationen zu Steuerangelegenheiten von Bürgern weitergeben, nochmals verstärkt, gibt Schäubles Umbauplänen zusätzlich Schub. Mitte Juni hat die EU-Kommission erstmals eine schwarze Liste mit 30 "nicht kooperativen" Ländern veröffentlicht. Darauf finden sich auch die Steueroasen Andorra, Bahamas, Guernsey, Hongkong, die Kaimaninseln und Monaco.
Auf diese Weise sollen zumindest die schwarzen Schafe aus Europa bis zum Jahresende dazu bewegt werden, dem Steuerinformationsaustausch beizutreten und ab 2017 die Kapitaleinkünfte ausländischer Anleger automatisch zu melden. "Vor diesem Hintergrund scheint selbst ein Systemwechsel von der Pauschalbesteuerung zur Individualveranlagung von Kapitalerträgen schon ab 2017 praktisch und politisch realisierbar", sagt Steuerberater Thiele.
"Mittelfristig wird es zu einer kompletten Abschaffung der Abgeltungsteuer kommen. Denn die Bevorzugung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist wegen des weltweiten Datenaustauschs nicht mehr vermittelbar", meint auch Thomas Zinser, Professor für Steuerrecht an der Hochschule Landshut. Kapitalerträge sind dann nicht mehr pauschal, sondern wieder mit dem persönlichen Steuersatz des jeweiligen Anlegers zu versteuern.
Werbungskosten wieder absetzbar
Im Gegenzug müssten Werbungskosten für Kapitalerträge, etwa Zinsen für Wertpapierkredite, Kosten für Reisen zu Hauptversammlungen und Gebühren für die Vermögensverwaltung wieder komplett absetzbar sein. Derzeit sind diese Ausgaben durch die Sparerpauschbeträge (801 Euro Singles, 1.602 Euro zusammen veranlagte Partner) mit abgedeckt. Ein für viele Anleger ärgerliches Abzugsverbot, das aber durch mehrere Urteile des Bundesfinanzhofs als rechtlich zulässig bestätigt wurde."Bei einer Rückkehr zur Individualbesteuerung geht kein Weg am uneingeschränkten Werbungskostenabzug vorbei", meint Thiele. Das wäre aber auch ein Beschäftigungsprogramm für Steuerberater: Sie werden dann versuchen, Kapitaleinkünfte ihrer Klienten möglichst kleinzurechnen.
Wird ein Systemwechsel eingeleitet, könnte dies auch die Diskussion über die Wiedereinführung von Spekulationsfristen neuerlich befeuern. Vor 2009 galt eine Haltedauer von einem Jahr, nach deren Ablauf Kursgewinne aus Wertpapierverkäufen steuerfrei blieben. Die SPD würde eine derart kurze Spekulationsfrist nicht akzeptieren: Das von den Sozialdemokraten ausgegebene Ziel, Kapitalerträge Vermögender höher zu belasten, würde damit verfehlt.
Vorstellbar scheint allenfalls ein Steuerkonzept wie in Frankreich: Dort gilt für gekaufte Wertpapiere eine gestaffelte Spekulationsfrist von fünf bis sieben Jahren. Ab dem fünften Jahr können Anleger jeweils ein Drittel ihrer Kursgewinne steuerfrei vereinnahmen, ab dem siebten Jahr dann den kompletten Kursgewinn. Ob es dazu kommt, bleibt aber zweifelhaft: "Der Staat wird sich die zeitlich unbeschränkte Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Kapitalanlagen nicht mehr nehmen lassen", meint Steuerexperte Thiele.
Pauschalabgabe besser als ihr Ruf
Zudem ist fraglich, ob ein Systemwechsel von der Pauschal- zur Individualbesteuerung zu einer von der SPD gewünschten Mehrbelastung Vermögender führen wird. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Einführung der Abgeltungsteuer Aktionären bei Dividenden unter dem Strich kaum Entlastungen gebracht.Bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen auf Wertpapiere zahlen viele Anleger demnach sogar höhere Abgaben, weil Kursgewinne seit 2009 immer steuerpflichtig sind. Lediglich Sparer, die Zinsen oberhalb der Sparerpauschbeträge kassieren, sind durch die Abgeltungsteuer entlastet worden. Eine Abschaffung der Pauschalsteuer würde aber vor allem diese meist kleineren Sparer treffen. "Für die Superreichen würde sich kaum etwas ändern, aber die Mittelschicht würde zusätzlich belastet", lautet das Fazit des DIW.
Ob die Abgeltungsteuer tatsächlich schon innerhalb der kommenden zwei Jahre abgeschafft wird, hängt auch vom parteipolitischen Kalkül ab: Die nächste Bundestagswahl findet voraussichtlich im Herbst 2017 statt. Ob sich Union und SPD jedoch im letzten Viertel der Legislaturperiode - und damit in der heißen Wahlkampfphase - bei diesem ambitionierten Gesetzesvorhaben verständigen können, bleibt noch abzuwarten.
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