Europa: Keiner allein, doch jeder für sich
Europa-Politik: Krisen schweißen zusammen, heißt es. Für die EU stimmt das nur bedingt. Der Kontinent steckt in einem Verteilungskampf, die britische Insel driftet ab, Nord- und Südeuropa sind längst gespalten.
von Andreas Höß, Euro am Sonntag
Es hätte eine Festwoche werden können: 50 Jahre deutsch-französische Freundschaft, ein neuer Chef für die Eurogruppe und endlich ermutigende Zahlen zur Verschuldung in der Eurozone. Doch dann holte David Cameron die Europäer zurück auf den Boden der Tatsachen. Der britische Premier forderte am Mittwoch von Brüssel einen „besseren Deal“ für die Insel. Gibt es den nicht, könnten die Briten die EU verlassen. Cameron kündigte ein Referendum über den EU-Austritt an, sollte er im Jahr 2015 wiedergewählt werden.
Camerons besserer Deal zielt weniger auf die Reform des oft absurden EU-Bürokratismus. Es geht um einen großzügigeren Briten-Rabatt, mehr Einfluss in der EU und mehr Privilegien für die Finanzkonzerne in der Londoner City. „Rosinenpickerei“ nennt Außenminister Guido Westerwelle das. In einer „Schicksalsgemeinschaft“ wie der EU sei das nicht möglich. Doch das Problem mit dieser Schicksalsgemeinschaft ist: Jeder macht den anderen für sein Schicksal verantwortlich. Der kriselnde Süden sieht die vom Norden verordnete Sparpolitik als Wurzel des Übels für die hartnäckige Rezession. Der Norden hat Angst, vom Süden in eine Transferunion und damit ebenfalls tief in die Krise gerissen zu werden. Nicht-Euroländer wie Großbritannien werden durch die Rettungspolitik an den Rand der EU gedrückt. Und alle fürchten zu viel Brüssel.
Jeder schielt auf seinen Vorteil
Es geht um Geld, um Macht und darum, am Ende besser als der Nachbar dazustehen. So schielt jeder auf seinen eigenen Vorteil. Manchmal treibt das kuriose Blüten. Irland nutzt die offizielle Internetseite seiner EU-Ratspräsidentschaft, um für seine im Vergleich niedrige Unternehmensteuer zu werben. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius will britischen Unternehmen „den roten Teppich ausrollen“, sollte das Land die EU verlassen. Die Briten wiederum boten französischen Firmen 2012 das Gleiche an, sollten denen die Steuern in Frankreich zu hoch werden. Von einem harmonischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln und Rahmenbedingungen ist man weit weg.
Doch dieser gilt als Voraussetzung, um die Gemeinschaftswährung langfristig krisenfest zu machen. Im Moment sind die Ungleichgewichte so groß wie selten. Die Schere zwischen Norden und Süden klafft bei Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitslosigkeit und Wachstum weit auseinander. Weit gehen auch die Ansichten auseinander, wie die Krise zu lösen ist und wer das tun soll. Auch das zeigte die vergangene Woche. Die geplante Finanztransaktionsteuer, die Banken an den Kosten der Krise beteiligen soll, werden nur elf der 27 EU-Staaten einführen. Großbritannien oder Luxemburg, die von ihrem Finanzsektor leben, bleiben außen vor. Was besteuert wird und wie, ist ohnehin umstritten.
Und auch bei der Wahl Jeroen Dijsselbloems zum neuen Chef der Eurogruppe war man uneinig. Dijsselbloem war ein Verlegenheitskandidat, doch einer, der die Mindestanforderung an Führungspersonal in der Eurogruppe erfüllt: Wie ESM-Chef Klaus Regling oder Währungskommissar Olli Rehn kommt Dijsselbloem aus einem AAA-Rating-Land. Offenbar traut man dem Süden nicht über den Weg. Motto: Wenn man schon gemeinsam spielt, dann wenigstens nach eigenen Regeln. Die Spanier ärgerten sich maßlos über diese Art der Ämtervergabe und enthielten sich bei Dijsselbloems Wahl am Montag ihrer Stimme.
Trotz der verhärteten Fronten bewegt sich Europa — und das schneller, als vielen lieb ist. Die EU werde durch die Rettungsmaßnahmen so verändert, „dass man sie vielleicht nicht wiedererkennt“, sagte David Cameron bei seiner Europa-Rede. Es sei notwendig, das Verhältnis zu dieser Union zu überdenken. Die Krise verbindet also nicht nur, sie spaltet auch.
Auch Deutschland und Frankreich, die über den Weg aus der Krise streiten, haben das erfahren. Seit dem 50. Jubiläum des Élysée-Vertrags am Dienstag ist man wieder per Du. In einen zweiten Anlauf wollen Angela Merkel und François Hollande bis zum EU-Gipfel im Juni den großen Wurf für eine tiefere Wirtschafts- und Währungsunion vorlegen. Eigentlich war das für Dezember geplant gewesen. Schon damals sollte es eine Festwoche werden.