Patientenverfügung: Für den Fall der Fälle
Was passiert, wenn man wegen Unfall, Krankheit oder Behinderung wichtige Angelegenheiten des Lebens nicht mehr selbst regeln kann?
von Maren Lohrer, Euro am Sonntag
Vom Standpunkt der Jugend aus gesehen ist das Leben eine unendlich lange Zukunft", sagte schon der Philosoph Arthur Schopenhauer. Wer beschäftigt sich schon gern mit dem Thema Sterben? Und doch ist das Leben eben keine unendlich lange Zukunft". Daher ist es sinnvoll, rechtzeitig vorzusorgen für den Fall, dass man seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann.
Doch nur jeder Zweite hat eine Patientenverfügung, ergab eine Untersuchung des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf unter Intensivpatienten.
"Mit dieser schriftlichen Absicherung fühle ich mich beruhigt. Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um einen langen, schmerzvollen Leidensweg zu vermeiden und würdevoll aus diesem Leben zu scheiden"; aus: "Loslassen kann so schmerzhaft sein!" - Kurzgeschichte der Autorin Susanne Horn.
Aber selbst dann, wenn eine Verfügung verfasst wurde, ist noch nicht gesagt, dass auch tatsächlich der Wille des Betroffenen umgesetzt wird. "Eine Patientenverfügung, die in Schriftform abgefasst ist, ist zwar rechtlich bindend", so Philipp Rumler, Fachanwalt für Erbrecht in München, doch es gibt drei große Probleme: Die Patientenverfügung wird nicht gefunden, sie ist schlecht formuliert oder es gibt niemanden, der sie durchsetzt.
Für das erste Problem lassen sich noch recht einfach Lösungen finden: Zu empfehlen sind eine Notfallkarte oder ein Notfallpass für das Portemonnaie, etwa vom Verbraucher-Service Bayern, von Unfall-Opfer Bayern oder den Krankenkassen. Auch ein Handy-Eintrag ist möglich, es gibt eine Health App für das iPhone. Zudem lässt sich ein Telefoneintrag mit einer Nummer, die im Notfall zu wählen ist, anlegen. Zu empfehlen ist ein Aufkleber auf der Krankenversichertenkarte mit dem Verweis auf den Aufbewahrungsort der Verfügung.
Das Leipziger Unternehmen Dipat bietet darüber hinaus einen besonderen Service an: eine elektronische Patientenverfügung. Hierzu füllt der Kunde online einen Fragebogen aus. Die ausgedruckte und unterschriebene Patientenverfügung wird bei Dipat und beim Kunden hinterlegt. Der Arzt wiederum hat auf die Verfügung bei Dipat Zugriff, um sie bei Bedarf einzusehen. Der Kunde bekommt für seine Krankenversicherungskarte einen Aufkleber mit einem Code, über den die Patientenverfügung online abrufbar ist.
Dass dies im Notfall funktioniert, weiß Dipat-Gründer Paul Brandenburg aus seiner Zeit als Notarzt. "Bei einem Einsatz geht es darum, den Menschen zu retten. Dennoch müssen Rettungssanitäter schon mit Blick auf die Abrechnung routinemäßig nach der Versichertenkarte suchen", sagt Brandenburg.
Je konkreter, desto besser
Mit dem Dipat-Service lässt sich auch direkt das zweite Problem - eine schlecht formulierte Patientenverfügung - entschärfen. Denn der Kunde bekommt online Hilfestellung und kann Rückfragen stellen. Den bekundeten Behandlungswillen überträgt der Arzt im Notfall in entsprechende Maßnahmen. "In der medizinischen Realität wird es sehr schnell sehr konkret. Weit gefasste Beschreibungen helfen nicht weiter", gibt Brandenburg zu bedenken. Deshalb müsse man den Kunden im Vorfeld befragen, was er genau wolle.
Auch Philipp Rumler weiß: "In der Praxis gibt es die meisten Probleme, weil eine Patientenverfügung schlecht formuliert wurde. Sie muss eindeutig sein, darf keine Widersprüche enthalten. Und sie muss konkret sein." Der Anwalt verweist auf ein BGH-Urteil vom Februar 2017, Az. XII ZB 604/15 (siehe "Vier gängige Irrtümer"). Eine gute Orientierung - immer auf dem aktuellen rechtlichen Stand - bietet auch das Bundesjustizministerium. Dort lässt sich eine Broschüre zum Thema kostenlos bestellen oder herunterladen. Sie enthält Textbausteine, mit denen sich eine individuelle Patientenverfügung zusammenstellen lässt.
Das dritte Problem - die Durchsetzung - ist am schwierigsten zu bewältigen. Daher sollte zu einer Patientenverfügung immer auch eine Vorsorgevollmacht oder eine Betreuungsverfügung erstellt werden. Dann ist ein Bevollmächtigter vorhanden, der die Patientenverfügung durchsetzen kann. Andernfalls muss grundsätzlich ein Betreuer vom Gericht bestellt werden, was nicht nur Zeit in Anspruch nimmt, sondern auch Kosten verursacht. "Erwachsene Kinder oder Ehepartner sind nicht automatisch vertretungsbefugt", sagt Anwalt Rumler.
Aber selbst wenn Betroffene solch eine Vollmacht ausfüllen, unterlassen sie es oft, mit den dann Eingesetzten und dem weiteren persönlichen Umfeld zu sprechen und diese Personen miteinzubeziehen.
"Meine klar definierte Patientenverfügung wird missachtet. Mein Mann Friedrich setzt sich über meinen letzten Willen hinweg. (...) Die Situation an meinem Krankenbett eskaliert und ich liege direkt in der ersten Reihe. Meine Tochter beginnt sich aufzulehnen." (S. Horn)
Heikel wird es, falls die Entscheidung dort abgelehnt wird, eine andere Reaktion als erwartet eintritt oder die eigenen Vorstellungen nicht mehr gut artikuliert werden können. Wie lässt sich dann Einvernehmen herstellen? Denn ein älterer Mensch muss sich auf sein persönliches Umfeld verlassen können, wenn die eigenen Kräfte schwinden.
Somit wird aus einer eigentlich persönlichen Sache ein Thema für die nächsten Angehörigen, Konflikte können schnell eskalieren. Christa Schäfer, Mediationsexpertin aus Berlin, bringt ein Beispiel: "Wenn die Eltern sich für eine Patientenverfügung entscheiden, folgt in manchen Familien schnell auch der Streit zwischen den Geschwistern. Die eine Schwester wird fast erdrückt von dieser Aufgabe. Die andere wohnt weit weg und ist fein raus. Wird dieser Konflikt nicht geklärt, kann dies sogar zu einem Auseinanderbrechen der Familie führen."
Hier kann Elder Mediation, Altersmediation, helfen. Es geht dabei vor allem ums Zuhören. Als allparteiliche, neutrale Instanz achtet der Mediator darauf, dass in einer respektvollen Atmosphäre jeder zu Wort kommt und gehört wird.
So können Lösungen gefunden werden, die für alle Beteiligten gut sind, die den Bedürfnissen von Alt und Jung Rechnung tragen. Und die dann dazu führen, dass im Fall der Fälle auch die Patientenverfügung eingehalten wird.
"Ich entspanne mich und komme zur Ruhe." (S. Horn)
Patientenverfügung
Vier gängige Irrtümer
Falsch: Ein Arzt muss unterschreiben.
Richtig: Mit der Patientenverfügung wird das Selbstbestimmungsrecht sozusagen vorsorglich ausgeübt. Die Unterschrift eines Arztes ist dafür nicht nötig. Auch ein Notar muss nicht beurkunden oder beglaubigen. Allerdings muss die Verfügung in Schriftform vorliegen und eigenhändig unterschrieben sein.
Falsch: Ein Widerruf ist nicht möglich.
Richtig: Die Verfügung kann jederzeit geändert oder widerrufen werden. Hierbei sollte man auch an alle hinterlegten Exemplare denken. Es ist sogar ratsam, die Verfügung regelmäßig zu überprüfen und neu zu unterschreiben. Dies ist sinnvoll, weil sich die juristische Situation, die eigenen Wünsche sowie medizinische Möglichkeiten ändern können.
Falsch: Die Verfügung ist geheim.
Richtig: Niemand muss eine Patientenverfügung geheim halten. Im Gegenteil: Dass es solch ein Dokument gibt und wo es liegt, sollte im Umfeld des Verfassers bekannt sein. Über den Inhalt kann er sich zwar ausschweigen. Aber auch das ist wenig sinnvoll.
Falsch: Man sollte möglichst allgemeine
Anweisungen geben.
Richtig: Es reicht nicht aus, eine "Behandlung ohne Schläuche und Geräte" oder ein "würdiges Sterben" zu wünschen. Es müssen bestimmte Behandlungen untersagt werden. Dies hat der BGH in seinen Beschlüssen vom 6.7.2016 und vom 8.2.2017 deutlich gemacht. Auch die Lage, in denen die Verfügung anzuwenden ist, sollte genau beschrieben werden. Zusätzlich zur Einwilligungsunfähigkeit des Patienten wären also etwa die Situationen Sterbevorgang, Wachkoma oder Endstadium einer unheilbaren Krankheit zu nennen.
Was ist Mediation?
Mediation wird im Gesetz beschrieben als "ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben". Besonders Elder Mediation - Altersmediation - hat stark präventiven
Charakter, bringt Familien an einen Tisch. In Kanada und den USA wird Elder Mediation bereits seit den 80er-Jahren praktiziert. Die Schweiz gilt als Vorreiter in Europa, auch in Deutschland wird das Thema immer bekannter und gefragter.
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