Kfz-Versicherungen: Unterwegs mit Big Brother
Wer vorsichtig fährt, kann sparen - so funktionieren Telematik-Tarife. Die Haken: Viele Policen gibt es nur für Fahranfänger, und das Sparen ist schwerer als gedacht.
von Uwe Schmidt-Kasparek, Euro am Sonntag
Gut 80 Prozent der Deutschen halten sich für überdurchschnittlich gute Autofahrer. Wenn dem tatsächlich so wäre, müssten sogenannte Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung sich praktisch von allein verkaufen.
Denn die Formel der Produkte, die immer mehr den deutschen Markt für Autoversicherungen erobern, lautet neudeutsch: "Pay as you drive - zahle, wie du fährst". Je besser der Fahrer, desto geringer das Risiko für die Versicherung und desto größer der Rabatt.
Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte nutzten zum Jahresbeginn gut 20.000 Privatkunden in Deutschland Telematik-Tarife, Tendenz steigend. Wer sich für eine solche Art der Versicherung interessiert, muss zunächst wissen, dass zumindest bei Policen, die das Verhalten des Fahrers mit einer auf dessen Handy installierten App analysieren, Fahrerwechsel nicht möglich sind. Die Rabatte sind in diesem Fall individuell kalkuliert, als Zweitfahrer lässt sich allenfalls der Partner eintragen.
Für Junge und Vielfahrer
Interessant ist Telematik hingegen für Menschen, die stets selbst hinter dem Steuer sitzen, Geld sparen wollen und obendrein kein Problem damit haben, Daten preiszugeben. Das können Vielfahrer sein. Die meisten Versicherer - etwa Signal Iduna, AXA, Allianz oder HUK-Coburg - zielen aber auf junge Kunden, die im Internet ohnehin oft ihr Leben preisgeben und extrem hohe Beiträge zahlen, wenn sie ihr erstes Auto versichern. Aber auch für Fahrer, die schon Zigtausende Kilometer hinter sich haben, gibt es Tarife. Denn kaum eine Versicherung will in der schönen neuen Welt des "betreuten Fahrens", die in Großbritannien und den USA bereits vor Jahren real wurde, außen vor sein. So will die Allianz ihre Telematik-Versicherung im nächsten Jahr für alle Altersgruppen öffnen.
Interessenten sollten genau vergleichen. Der Wettbewerb in der Autoversicherung ist hart. Daher kann ein klassisches Angebot durchaus günstiger sein als ein Big-Brother-Tarif mit Nachlass für Wohlverhalten.
Das zeigt eine zweijährige Beispielrechnung für aktiv angebotene Produkte (siehe pdf-Datei unten). Danach schneiden die Telematik- Angebote der Allianz, der Admiral Direkt und der AXA schlechter ab als der normale Tarif der Europa-Versicherung. Vor allem junge Fahrer sollten daher nicht blindlings zu einem Telematik-Angebot greifen. Im Fall von AachenMünchener und Generali ist unklar, wie teuer die entsprechenden Produkte ausfallen. Sie sind nicht im Vergleich, weil die AachenMünchener keine Daten preisgibt und der Tarif der Generali gerade überarbeitet wurde. Die Württembergische wiederum hat nur ein einziges Angebot für Fahranfänger, die in die Schadenfreiheitsklasse SF ½ eingestuft werden.
Eine gesonderte Berechnung zeigt zudem, dass es einige Normaltarife gibt, die günstiger sind als der rabattierte Telematik-Tarif des Stuttgarter Versicherers. In der Spitze liegt der Vorteil der Klassikangebote bei über zehn Prozent. Die Versicherungskammer Bayern bietet lediglich die App Drive+, aber keinen echten Telematik-Tarif an. Mit der App sammelt man für regelkonformes Fahren "Zuckerl", die dann in Gutscheine des Internetversenders Amazon oder eine Spende des Kinderhilfswerks Sternstunden umgewandelt werden können.
Wer das System TankTaler der HDI-Versicherung nutzen will, benötigt einen Stecker, der im Auto in die On-Board-Diagnose-Schnittstelle gestöpselt wird, und eine App. Wer gut fährt, kann über die virtuellen Taler günstiger tanken.
Kaum vergleichbare Preise
Die individuelle Vergleichbarkeit von Telematik-Tarifen ist schwierig. Immerhin können seit Oktober auch die Allianz-Offerten für junge Fahrer im Vergleichsprogramm nafi-auto.de gerechnet werden. Bisher galt das nur für die Angebote von AXA und VHV. Problematisch ist außerdem, dass etwa HUK-Coburg, HUK24 und Sijox im ersten Jahr lediglich Einsteigerrabatte anbieten. Der Nachlass je nach Fahrstil kommt erst im zweiten Jahr voll zur Geltung.Dazu kommt, dass die Kfz-Versicherer immer mit ihren Höchstrabatten werben. Doch diese können von vielen Autofahrern wahrscheinlich gar nicht erreicht werden. Grund: Vielfach verschlechtern Fahrten zu bestimmten Zeiten oder auf bestimmten Strecken den Punktwert. Das gilt etwa für VHV, HUK24 und HUK-Coburg.
Wer darauf angewiesen ist, im Berufsverkehr, bei Nacht oder auf Landstraßen zu fahren, dürfte niemals den höchsten Score und damit den Maximalrabatt erreichen. Die Tarifierung nach häufigen Nachtfahrten wird von den meisten Autofahrern als ungerecht wahrgenommen, wie eine Umfrage des Instituts für Versicherungswesen der Technischen Hochschule in Köln ergeben hat.
Zudem bleibt ausgerechnet beim größten privaten Autoversicherer HUK-Coburg und seiner Onlinetochter HUK24 die genaue Ermittlung des Score-Wertes geheim. "Wesentlich für den Smart-Driver-Bonus ist das generelle Fahrverhalten in einer Gesamtschau", erläutert ein Sprecher nebulös. Gemessen würden die Zeit und Dauer einer Fahrt, die Art der befahrenen Straße, das Tempo, Geschwindigkeitsübertretungen, Beschleunigungs- und Bremsvorgänge, die Art des Abbiegens und die jeweils pro Fahrt zurückgelegten Kilometer.
Wer die Daten nutzen kann
Zwar sind alle Telematik-Tarife datenschutzrechtlich freigegeben, doch es gibt ein Risiko, das nicht zu unterschätzen ist: Wer mit Big Brother im Auto unterwegs ist, schadet sich unter Umständen selbst. "Autofahrer müssen künftig immer damit rechnen, dass im Fahrzeug gespeicherte Daten von der Polizei beschlagnahmt werden. Ein Anlass lässt sich im Straßenverkehr schnell finden", warnt Daniela Mielchen von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein.
Nicht ausgeschlossen, dass die Strafverfolgungsbehörden im Ernstfall auch auf Telematik-Daten zugreifen wollen. Das könnte ein guter Grund sein, statt eines Big-Brother-Tarifs einfach eine günstige herkömmliche Versicherung zu wählen. "Noch gibt es bei der Kfz-Versicherung große Preisunterschiede am Markt", sagt Nafi-Vergleichsexpertin Ivana Höltring.
Am deutschen Markt erhältliche Telematik-Angebote (pdf)
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