Bausparkassen: Wie aus Freunden Feinde wurden
Im Zinstief nutzen Bausparer ihre Verträge als Sparschwein, Darlehen wollen sie nicht. Die Bausparkassen antworten mit Kündigungen. Was Betroffene tun sollten.
von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag
Es sind Ziffern und Buchstaben, die Hoffnung machen. Hoffnung für Hunderttausende von Bausparern, dass sie ihren Bausparvertrag doch noch behalten können. Ganz konkret sind es die Aktenzeichen XI ZR 185/16, XI ZR 351/16, XI ZR 341/16 und XI ZR 363/16. Hinter diesen, für Nicht-Juristen undurchsichtigen Codes verstecken sich vier Verfahren, die von den Oberlandesgerichten Stuttgart und Hamm an den Bundesgerichtshof (BGH) verwiesen wurden. Die obersten Zivilrichter sollen nun klären, ob Bausparkassen Verträge kündigen dürfen, die seit über zehn Jahren zuteilungsreif sind. Termine für die Verhandlungen gibt es noch nicht, aber ein Ende des seit Jahren andauernden Streits zwischen Bausparern, die sparen, aber nicht bauen wollen, und den Instituten ist nun absehbar.
Um den Streit zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Mechanik des Bausparens. Vereinfacht gesagt, tun sich hierbei viele zusammen und sparen, um schrittweise jedem, der mitmacht, einen günstigen Kredit zu gewähren. Das funktioniert gut, so lange es nicht mehr Kreditnehmer als Sparer gibt. Kippt dieses Verhältnis, hat die Bausparkasse die Wahl: Entweder sie lässt ihre Kunden lange auf ihren Kredit warten, oder sie holt sich Geld von Kunden, die nur sparen, aber nicht bauen wollen.
Für diese Klientel wurde in den 90er-Jahren im Bausparkassenjargon der Begriff Freundsparer geprägt. Die Institute lockten sie mit Zinsen von vier und mehr Prozent. Das war seinerzeit kein Hexenwerk, die Zinsen waren allgemein hoch. Und mit dem Geld, das durch die Darlehenszinsen eingenommen wurde, konnten die Zinszahlungen an die Sparer leicht beglichen werden. Seit einigen Jahren hat sich das Blatt gewendet, die Zinsen sind niedrig, und immer mehr Bausparer verzichten auf die Darlehen. Sie holen sich anderswo günstigeres Baugeld und sparen weiter. Voriges Jahr haben die Bausparkassen nur 14,4 Milliarden Euro an Krediten ausgereicht. Vor zehn Jahren war die Summe doppelt so hoch. Die alten Freunde werden für die Bausparkassen zur untragbaren Last.
Niels Nauhauser will das nicht so recht glauben: "Die Bausparkassen haben in der Vergangenheit hohe Gewinne erwirtschaftet. Jetzt, wo ihnen die Kunden wegen der hohen Zinsen lästig sind, kündigen sie deren Verträge." Der Leiter der Gruppe Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale Baden- Württemberg beobachtet das Großreinemachen der Bausparkassen seit Langem. "Kündigt die Bausparkasse den Vertrag ihrerseits auf, sollte man dem widersprechen", erklärt der Verbraucherschützer.
Schwieriger Rechtsweg
"Eine Klage lohnt sich bei den Kündigungen zehn Jahre nach Zuteilungsreife in der Regel meist nur, wenn man eine Rechtsschutzversicherung hat und keine Kosten befürchten muss, doch wirklich empfehlen kann man das nicht", erklärt Christoph Weber vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Denn verliert der Bausparer vor Gericht und wird das Urteil rechtskräftig, hat er keine Chance, wieder in seinen gekündigten Vertrag zu kommen, selbst wenn der BGH ein bausparerfreundliches Urteil fällt. Daher rät der Jurist gekündigten Bausparern, abzuwarten und bestenfalls der Kündigung zu widersprechen.Wer wegen der Verjährung keinen Zeitdruck hat, sollte der Kündigung schriftlich widersprechen und abwarten, wie der Bundesgerichtshof entscheidet. Grundsätzlich verjähren Ansprüche frühestens drei Jahre nach Ende des Jahres, in dem der Betroffene davon erfahren hat. "Wurde also 2015 gekündigt, kann das BGH-Urteil abgewartet werden, wenn es in den nächsten beiden Jahren kommt", so Weber. Wem 2013 gekündigt wurde, der sollte unter Umständen klagen.
"Wer von seiner Bausparkasse einen Scheck über die angesparte Summe bekommt, sollte diesen ebenfalls ignorieren", meint Weber. Nimmt der Sparer das Geld, stimmt er seinem Rauswurf zu und hat bei einem verbraucherfreundlichen Urteil Probleme, wieder in seinen Vertrag zurückzukommen.
Die Probleme der Institute
Bleibt die Frage, ob es den Bausparkassen tatsächlich so schlecht geht. "Die Altverträge mit den hohen Zinsen werden auf natürliche Art weniger, indem sie überspart werden und die Bausparkasse sie ganz legal kündigen kann", sagt Bauspar-Aktuar Hans-Jörg Lehmann. "Doch nur auf Zeit spielen dürfte den Bausparkassen nicht reichen", erklärt der Finanzmathematiker. Denn die Niedrigzinsphase kann noch einige Jahre anhalten. Je länger sie dauert, desto lukrativer werden alte Bausparverträge, auch solche die nur zwei Prozent Sparzins bieten. Ein Blick in die Bilanzen der Institute zeigt: Derzeit müssen die Einlagen aller Kunden im Schnitt mit 2,1 Prozent verzinst werden. Mit Bauspardarlehen und Baukrediten lässt sich dieser Zins aktuell kaum erwirtschaften.Trotz dieser Situation befürchtet Lehmann keine Pleiten bei den Bausparkassen: "Mit fortschreitender Dauer kommen die in den vergangenen Jahren neu eingeführten Niedrigzinstarife der Bausparkassen mehr und mehr zum Tragen und sorgen für Entlastung."
Die Bafin, die als oberste Aufsichtsbehörde auch für Bausparkassen zuständig ist, warnt allerdings: "Bausparer sollten wissen, dass auch sie für den unwahrscheinlichen Fall, dass einzelne Bausparkassen massive Probleme bekommen, notfalls einen Beitrag leisten müssen", so der zuständige Abteilungspräsident Thomas Happel. Konkret bedeutet das, dass zunächst die Eigentümer der Institute zur Kasse gebeten werden, erst dann kann die Bafin einzelnen Instituten genehmigen, bestehende Verträge zu verändern. "Daher kann es sein, dass der Wunsch einiger Bausparer, an hohen Zinsversprechen der Vergangenheit festzuhalten, im Interesse aller Bausparer so nicht erfüllt werden kann", so Happel.
Ob sich der Bundesgerichtshof bei seiner anstehenden Entscheidung von solchen Überlegungen leiten lässt, ist offen. Betroffene sollten sich nicht mit dem Rausschmiss abfinden und zumindest widersprechen.
Bietet die Bausparkasse einen Vergleich an, sollte man genau rechnen, ob sich dieser angesichts der entgangenen Zinsen, wenn man weiterhin gespart hätte, lohnt. Es kann laut Rechtsexperte Weber sogar sein, dass die BGH-Prozesse ohne Urteil beendet werden, wenn sich die betroffenen Bausparkassen und ihre Kunden auf einen Vergleich einigen. In diesem sehr unwahrscheinlichen Fall würde der Streit dann in eine neue Runde gehen.
Tricks der Kassen
Neben Altverträgen versuchen Bausparkassen auch jüngere Kontrakte loszuwerden. Hier die häufigsten Tricks:Wechseln Häufig versuchen Bausparkassen, mit der Angst der Kunden vor steigenden Zinsen zu spielen. In Schreiben wird auf die ungleich günstigeren Konditionen heutiger Darlehen verwiesen. "Dass die Kunden beim Wechsel ihre hohen Guthabenzinsen gegen Minizinsen tauschen und oft noch einmal eine Abschlussgebühr von einem halben bis einem Prozent der Bausparsumme zahlen, steht meist nur im Kleingedruckten", so Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Seiner Ansicht nach lohnen sich solche Angebote selten.
Weitersparen verboten Hat der Kunde die Mindestsparsumme, mit der er ein Darlehen bekommen kann, erreicht, nehmen manche Institute kein Geld mehr an. Ist das nicht ausdrücklich im Vertrag erlaubt, sollten Betroffene sich wehren.
Der Vertrag ist überspart Sobald die Bausparsumme durch Einzahlungen oder auch durch Zinsgutschriften überschritten wurde, hat die Bausparkasse das Recht, den Vertrag mit einer Frist von drei Monaten zu kündigen. Wurde zusätzlich ein Bonuszins versprochen, muss die Bausparkasse diesen zahlen, sofern im Vertrag nichts Gegenteiliges steht. Es ist strittig, ob das Institut Boni addieren darf, um schneller kündigen zu können. Wer das Ende herauszögern will, sollte versuchen, den Vertrag stillzulegen und die Zinsen für sich arbeiten zu lassen.
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