Euro am Sonntag-Meinung

Windkraft-Branche: Stürmische Zeiten kommen!

11.02.18 15:00 Uhr

Windkraft-Branche: Stürmische Zeiten kommen! | finanzen.net
Jürgen Geißinger

Die deutsche Windkraft-Branche feierte 2017 neue Rekorde. Doch viele Investitionen und Arbeitsplätze sind in Gefahr, wenn die Politik nicht die Rahmenbedingungen anpasst.

von Jürgen Geißinger, Gastautor von Euro am Sonntag

Am Anfang eines Jahres zeigt sich die Wirtschaft traditionell besonders umsichtig: Unternehmen ziehen für das abgelaufene Jahr Bilanz und blicken gleichzeitig in die Zukunft. Der Blick zurück zeigt, dass die Windenergiebranche 2017 auf den ersten Blick ein gutes Jahr hatte: Deutschland errichtete auch 2017 eine beachtliche Anzahl an Windanlagen; der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung Deutschlands stieg auf mehr als 33 Prozent; Wind ist mittlerweile der zweitwichtigste Energielieferant im deutschen Strommix.



Vor allem die Offshore-Windkraft lieferte nach vorläufigen Zahlen einen neuen Spitzenwert. Aus der Nordsee erreichten im vergangenen Jahr 15,97 Milliarden Kilowattstunden Windstrom das Festland, so der Übertragungsnetzbetreiber Tennet, der für den Anschluss der Nordsee-Windparks zuständig ist. Das Ergebnis 2017 übertreffe den Vorjahreswert um 47 Prozent. Von den rund 100 Milliarden Kilowattstunden Gesamtwindertrag Deutschlands im Jahr 2017 lieferte Nordsee-Windkraft einen Anteil von 15,9 Prozent. Die Windräder in der Ostsee produzierten im vergan­genen Jahr weitere 1,49 Milliarden Kilowattstunden. Damit erzielte die Off­shore-Windkraft insgesamt einen Wert von 17,46 Milliarden Kilowattstunden gegenüber 83,21 Milliarden Kilowattstunden, die von Windkraftanlagen an Land erzeugt wurden.

Sonderregelungen für
Bürgeranlagen als Risiko

So erfreulich die Ergebnisse sind - der Blick nach vorn zeigt gleichzeitig große Hürden für die Windindustrie. Es besteht aktuell die große Gefahr, dass die Branche - wie bereits die Solar­energie hierzulande - wegen politischer Restrik­tionen sehr tief fällt. Denn nur bis Ende des Jahres 2018 können nach dem bewährten Muster Neuanlagen errichtet werden, wenn für sie rechtzeitig alle ­Genehmigungen einschließlich Festpreisvergütungen eingeholt wurden.



Ab dem 1. Januar 2019 dürfen dann nur noch Windparks errichtet werden, die in einem neuen Ausschreibungsverfahren genehmigt wurden. Und dieses hat es in sich. Die Bundesregierung wollte die Akteursvielfalt - besonders die sogenannte Bürgerenergie - beim Bau von Windparks schützen. So schuf sie umfassende Sonderregelungen und Ausnahmen für Bürgerwindparks: Zum Beispiel brauchen diese zum Zeitpunkt der Auktion weder eine Genehmigung für den Bau noch einen Bescheid über die Umweltverträglichkeit des Projekts, können sich mit 4,5 Jahren fast doppelt so viel Zeit zur Realisierung nehmen wie kommerzielle Projektierer.

Dies klingt zunächst wenig dramatisch, hat aber in den drei Auktionsrunden 2017 zu absurden und am Ende ­katastrophalen Ergebnissen geführt. Grundsätzlich gewinnt bei einer Auktion der Projektierer, der am wenigsten Förderung pro Kilowattstunde Strom verlangt. Dank Sonderregelungen konnten Bürgerenergiegesellschaften ohne großes finanzielles Risiko sehr niedrige Angebote abgeben und daher mehr als 95 Prozent der Zuschläge bekommen. Wann - oder ob überhaupt - die Anlagen gebaut werden, ist offen.


Der Blick nach vorn zeigt also, dass die Auktionen in ihrer jetzigen Form das Ziel eines fairen und freien Wettbewerbs beim Windparkbau unterlaufen und somit einen ruinösen Dominoeffekt ausgelöst haben. Da Anlagen nur verzögert - oder wahrscheinlich zu einem erheblichen Anteil schließlich nicht mehr - gebaut werden, leidet die gesamte Branche an einer fatalen Unsicherheit in der Langzeitplanung: Anlagenbauer produzieren geringere Stückzahlen, können deshalb die Kosten ihrer Produkte nicht entscheidend senken und Investitionen in die Weiterentwicklung ihrer Technologien nicht verantworten.

Deutschlands Technologievorsprung in der Windenergie ist in Gefahr. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche in Deutschland zu erhalten und die Klimaschutzziele zu erreichen, muss die Politik handeln. Die nächste Bundesregierung sollte die Zubauziele sowohl im Onshore- als auch Offshore-Bereich erhöhen, um das Pariser Klimaschutz­abkommen einzuhalten. Und sie sollte dem Prinzip von Auktionen treu bleiben, denn als marktwirtschaftliches ­Instrument stärken diese die Wettbewerbsfähigkeit der Windenergie.

Marktwirtschaftliche Prinzipien erfordern aber die gleichen Voraussetzungen für alle Teilnehmer. Dazu gehören eben Genehmigungen als zwingende Voraussetzung zur Teilnahme an der Auktion und die gleichen Realisierungsfristen von maximal 30 Monaten. Zudem braucht die Windenergie einen technologieoffenen und diskriminierungsfreien Zugang zu den bestehenden Infrastrukturen und mehr Anstrengungen beim Netzausbau.

Der politische Rahmen muss
Fehlentwicklungen korrigieren

Die Unternehmen der Windenergie­branche entwickeln die Anlagen der Zukunft, welche die Energiewende international zum Erfolg machen können. Aber sie bleiben besonders von ihrem Heimatmarkt und den dortigen politischen Rahmenbedingungen abhängig. Diese müssen jetzt angepasst werden, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. Gelingt dies nicht, droht ein massiver Arbeitsplatzabbau nach bekanntem Muster. 2011 beschäftigte die Solarbranche noch 125.000 Menschen, heute sind es nicht einmal mehr 45.000.

Deutschland hat ambitionierte Ziele: Bis zum Jahr 2025 soll der Ökostrom­anteil von 33 auf 40 bis 45 Prozent ­erhöht werden. Das wird aber nicht gelingen, wenn die Politik die Windenergiebranche durch Gesetze ausbremst und verunsichert. Die Hürden für die Energiewende sind nicht die fehlenden Alter­nativen zu Öl und Kohle. Es sind die ungewissen Rahmenbedingungen, die den Ausbau von Kapazitäten und den Bau von leistungsfähigen Leitungen verhindern.

Deutschland hat starke Unternehmen in der Windenergiebranche, die mehr als 100.000 Arbeitsplätze bieten. Und es könnten noch mehr werden, insbesondere in den strukturschwachen Küstengebieten, wo neue maritime Beschäftigung - etwa in der Anlagenwartung - Jobs und Unternehmen entstehen lässt.

Aber die Branche braucht klare Per­spektiven für die Zeit nach 2018, um international konkurrenzfähig bleiben zu können. Selbst wenn die Wolken am Horizont dunkel sind, noch haben wir es selbst in der Hand, noch können wir die deutsche Windenergie international zum Erfolg führen. Unserem couragierten Blick nach vorn müssen nur bald ­Taten folgen.

zur Person:

Jürgen Geißinger,
CEO Senvion

Geißinger promovierte und begann seine berufliche Karriere beim Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung. Anschließend arbeitete er bei international erfolgreichen Unternehmen wie Heidelberger Druckmaschinen, ITT oder als CEO von ­Schaeffler. Nach seinem Ausscheiden wurde Geißinger in Aufsichtsräte verschiedener deutscher und inter­nationaler Industrie­unternehmen berufen.
Die Senvion S.A. (bis 2014 Repower Systems) ist ein international tätiges Unternehmen der Windenergiebranche.









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Bildquellen: f9photos / Shutterstock.com, Herbert Ohge/Senvion S.A.