Euro am Sonntag-Interview

Tim Mälzer: Du musst ein gutes Verhältnis zum Scheitern haben

14.04.18 01:00 Uhr

Tim Mälzer: Du musst ein gutes Verhältnis zum Scheitern haben | finanzen.net

Der bekannte TV-Koch und Restaurant-Besitzer Tim Mälzer hat einige Geschäfte am Köcheln. Mälzer über miese Küchenarbeit, verbranntes Vermögen - und seinen ganz persönlichen Aufbruch von Pinneberg nach New York.

von Renato Leo, Euro am Sonntag

Wer nach 13 Jahren immer noch die TV-Konkurrenz abkocht, muss irgendetwas richtig machen. Mit "Kitchen Impossible" fährt Tim Mälzer (47) regelmäßig Quotenrekorde ein, und auch in der neuen Kochshow "Knife Fight Club" mischt er als Juror mit.



"Es läuft", kommentiert Mälzer das in seiner nordisch-lakonischen Art beim Treffen in seinem Hamburger Restaurant Bullerei. Vor einer halben Stunde schnibbelte er noch in der Küche Gemüse, weil’s schnell gehen musste. "Eine miese Arbeit", sagt Mälzer - und tut, was getan werden muss, wenn es mal nicht läuft. Auch in der Karriere des Starkochs ohne Sterne-Auszeichnung lief längst nicht immer alles rund.

Er stand mehrmals kurz vor der Pleite, verbrannte Unsummen. Im Gespräch mit €uro am Sonntag verrät Mälzer, warum er den schlechten Investments nicht nachtrauert.


€uro am Sonntag: In Ihrer TV-Show "Kitchen Impossible" geht es um einen Wettkampf. Zwei Köche treten gegeneinander an und müssen ohne Rezept unbekannte Gerichte nachkochen. Sie, Herr Mälzer, prahlen dabei ganz schön rum, sagen, dass Sie der Beste seien. Dabei haben Sie selbst bislang noch keinen Stern. Stört Sie das nicht?
Tim Mälzer:
Nein, das sind unterschiedliche Ansätze. Bei der Sterneküche geht es meist um die Exaktheit der Rezeptur. Da wird beim Kochen sozusagen das Geodreieck angelegt. Das ist nicht mein Ding. Obwohl ich in meinem Dilettantismus ebenso ein Perfektionist bin. Ich rede salopp daher, aber da steckt eine Präzision in allem, was ich auf den Teller packe. Für mich gibt es keine Qualitätsunterschiede beim Essen, die durch ein von außen herangetragenes Niveau bestimmt werden. Steckrübeneintopf ist für mich genauso wertig wie Steinbutt mit Kaviar.

Trotzdem gilt Ihr Karriereverlauf als Paradebeispiel eines Kochlehrlings aus der schleswig-holsteinischen Provinz, der auszog, um ein TV-Star zu werden.
Reich und berühmt wollte ich nie werden. Ich bin kein Übertalent und hatte auch nie einen Masterplan vor Augen. Ich komme weder aus einer Gastronomenfamilie noch bin ich mit dem goldenen Löffel gefüttert worden. Im Grunde genommen habe ich mich immer nur den Situationen gestellt, die das Leben mit sich gebracht hat. Ich habe mich nie verbiegen lassen und kann daher abends mit gutem Gewissen in den Spiegel kucken. Ich bin stolz darauf, dass ich mit den wenigen Mitteln, die mir zur Verfügung standen, so viel geschafft habe. Mein Ziel am Anfang war es, eine gewisse Einkommensgrenze zu erreichen, die mir ein unbeschwertes Leben ermöglicht. Diese Einkommensgrenze lag beim Doppelten dessen, was meine Mutter damals verdiente. Denn da war für mich der Unterschied zwischen Coca-Cola und River Cola (lacht). Bei uns gab es meistens River Cola - aber ich mochte Coca-Cola immer lieber, und die wollte ich mir leisten können.


Sie sind in einfachen Verhältnissen in Pinneberg aufgewachsen. Ihre Kindheit, so sagten Sie, würde nach Dosenravioli schmecken. Inwieweit hat Sie dieses Umfeld geprägt?
Ich bin auf Rollschuhen fünf Kilometer zum Fußballtraining gefahren, weil ich kein Fahrrad hatte. Das waren diese Billigteile, die man sich unter die Schuhe schnallen konnte. Aber ich war deswegen nicht unglücklich, mir fehlte es an nichts. Wenn ich etwas haben wollte, musste ich dafür arbeiten. Fürs Autowaschen bekam ich zwei Mark, und wenn ich’s nicht gut gemacht hatte, gab’s nur 1,50 Mark. So ist das Leben. Mir bedeuten Luxusgüter bis heute nichts. Ich bin extrem nachlässig mit Wertgegenständen. Ich kaufe nichts, was ich nicht wirklich besitzen möchte. Selbst wenn ich die Dinge umsonst bekommen kann, überlege ich, ob ich sie wirklich haben möchte. Mir lag mal ein sehr freundliches Angebot eines Autoherstellers vor, der mir sein neuestes Modell unter den Hintern setzen wollte. Das Auto gefiel mir nicht, daher lehnte ich dankend ab.

Welchen Fehler möchte Tim Mälzer nicht missen?
Ich habe einmal die Hälfte meines Geldes verloren.

Pardon - und das möchten Sie nicht missen?
Ich bin intuitiv, arbeite rein aus dem Bauch heraus. Da machst du wahnsinnig viele Fehler. Die lassen mich in einigen Bereichen nicht professionell erscheinen, aber sie sind die Quintessenz meines Erfolgs. Du musst ein gutes Verhältnis zum Scheitern haben. In den Traum, einen eigenen Laden in New York zu besitzen, habe ich sehr viel Geld investiert und verbrannt. Da könnte ich jetzt total frustriert sein.

Und, sind Sie’s?
Ich sehe es eher so, dass ich sehr viel Geld in mein Wissen investiert habe (lacht). Seitdem habe ich ein anderes Verständnis für vieles und eine bestimmte Vision. Davor war ich ein typischer Gastronom: Es musste sich alles rechnen, ein investierter Euro musste mir 1,30 Euro bringen. In den USA zählt oft erst mal die Idee, weil die Amerikaner in vielerlei Hinsicht Autodidakten sind. Da hat keiner was gelernt, wie es etwa in Deutschland gang und gäbe ist. Das Denken dort ist viel mutiger, und das hat mich damals in meinem Tun sehr unterstützt. Es hat mich aber auch in den Verlust meines Geldes reingetragen (lacht). Ich habe wahnsinnig viel falsch gemacht, aber das meiste davon richtig.

Haben Sie Angst davor, zu scheitern und alles wieder zu verlieren?
Nicht vor dem Scheitern oder dem Verlust, aber vor der Häme der Menschen. Ich bin mutig, unternehmensfreudig und investitionslustig. Ich verlasse ständig meine Komfortzone - was mein Team und ich machen, ist high risk. Es kann gut funktionieren, ist aber immer sehr nah an der Klippe. Wenn nun einer der Läden dir um die Ohren fliegt, trifft das die anderen Läden dann auch? Bin ich dann ein Scheißgastronom? Manchmal liege ich nachts im Bett, und mir schießen tausend Gedanken durch den Kopf, die mit "was wäre wenn" beginnen und nicht gut enden. Gott sei Dank kann ich genauso gut verdrängen. Ich agiere immer mit gutem Gewissen. Ich haue niemanden übers Ohr, und das wird auch nicht passieren, selbst wenn ich mich mit meinen Geschäften aufs Maul legen sollte. Ich verstehe Menschen nicht, die pleitegehen und sich dann vor der Begleichung ihrer Schulden drücken. Das ist für mich unverständlich. Wenn ich etwas vermasselt habe, muss ich auch dazu stehen.

Investieren Sie Geld aus dem Bauch heraus oder kalkuliert nach Plan?
Ich bin ein Bauchmensch. Überall wo mein Geld drinsteckt, bin das zu 100 Prozent ich. Ich würde auch mit niemandem Geschäfte machen, der nicht bereit ist, in seine Idee eigenes Geld zu investieren. Denn erst dann ist man wirklich bereit, sich den Hintern aufzureißen. Die Bullerei sehe ich nicht als ein Investment an, der Laden ist mein Leben. Da steckt alles drin, was mich ausmacht. Nichts wurde fremdbestimmt, wir haben alles selbst geplant. Finanziell standen wir dabei mit dem Rücken mehr als einmal zur Wand. Aber nur mit dieser Leidenschaft überwindet man auch Tiefschläge.

Wie entscheiden Sie für sich, ob eine Idee den Versuch wert ist?
Eine gute Geschäftsidee muss eine glaubwürdige Geschichte und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis haben. Ich bin komplett gegen das Wort "billig" und bevorzuge "preiswert", was ja heißt, dass eine Sache ihren Preis wert ist. Ich verstehe ein Bier für 15 Euro nicht, dagegen kann ich mit gutem Gewissen ein Stück Fleisch für 50 Euro anbieten, weil ich weiß, was dahintersteckt. Ich glaube an die Nachhaltigkeit von Qualität in allen Bereichen. Man muss nicht zwingend Gewinnmaximierung betreiben. Ich schiele nicht aufs schnelle Geld. Ich bin ein Freund des konstanten Geldes.

Leben Sie trotz Ihrer gut dotierten TV-Jobs wirklich so bescheiden, wie es immer den Anschein hat?
(Lacht) Welchen Anschein? Die Menschen wären überrascht, wie überschaubar mein Lebensstandard ist. Ich lebe zur Miete, und selbst meine Oldtimer sind nicht extrem teuer. Ich besitze einen Ford Mustang, einen 70er Gran Torino und einen VW T1, derzeit mein Lieblingsauto, in Zartrosa, was aber wohl mit meinem Alter zu tun hat. Ich trage auch Kleidung von H & M, damit habe ich überhaupt kein Problem, mich zieht nichts in Designerboutiquen. Ich achte auf Sonderangebote und shoppe im Sale. Ich sage immer: Ich muss mich nicht nach unten bücken, denn da bin ich ja noch. Wohlstand bedeutet für mich, Arbeitgeber zu sein und Arbeitsplätze schaffen zu können. Das ist ein Riesengeschenk und bereitet mir die größte Freude. Ich kann meinen Erfolg mit anderen Menschen teilen, meine Miete und die Rechnungen begleichen.

Ist Ihnen Geld etwa nicht wichtig?
Geld war nie mein Hauptantrieb. Ich hege zwar eine Demut vor Geld, aber auch ein gesundes Desinteresse. Als ich jung war, wollte ich ein Reihenhaus in Pinneberg. Heute habe ich natürlich viel mehr. Ein großes Auto und einen super Herd. Das sind Bedürfnisse, die ich mir erfülle, weil ich sie mir derzeit erfüllen kann. Aber dafür stehe ich morgens nicht auf. Ich wollte schon immer ein selbstbestimmtes Leben führen, in dem ich selbst entscheiden kann, wie es weitergeht.

Wie haben Sie den Sprung vom Koch zum Restaurantbesitzer geschafft?
Meine Karriere basiert auf einem Kredit von 10.000 Mark. Die hat mir mein Vater vorgestreckt als Startkapital. Ich war damals null kreditwürdig. Durch die 10.000 Mark hatte ich Eigenkapital und konnte damit einen Existenzgründerkredit aufnehmen, um meine erste Gastronomie, "Das weiße Haus", aufzubauen. Der Rest ist Geschichte.

Das war 2002, ein Jahr später wurden Sie fürs Fernsehen entdeckt. Die Show "Schmeckt’s nicht - gibt’s nicht" dürfte Ihrem Bankkonto ziemlich gut geschmeckt haben.
Und wie. Plötzlich war mein Konto dauerhaft im schwarzen Bereich. Das fühlte sich richtig gut an. So gut, dass ich das gesamte Geld sofort rausgeblasen habe (lacht).

Von welcher Summe reden wir?
Für die ersten zehn Folgen gab’s 10.000 Euro. Die schenkte ich einer befreundeten Band, damit sie ihr Album aufnehmen konnte. Ich dachte mir, die haben das Geld viel nötiger als du, und die 10.000 Euro machen den Kohl auch nicht fett. Ich fuhr ein klappriges, aber funktionierendes Auto, Klamotten brauchte ich nicht, und an freie Tage oder gar Urlaub war damals eh nicht zu denken. Natürlich war diese Aktion leicht gestört, aber irgendwie hat sich das für mich unglaublich richtig angefühlt. Vielleicht hatte ich rückblickend betrachtet auch Angst vor dem Geld. Denn bis dahin musste ich jede Mark dreimal umdrehen und richtig hart arbeiten. Und plötzlich bekam ich für vergleichsweise wenig Arbeit und viel Labern 1.000 Euro am Tag.

Haben Sie Ihr Geld auch an der Börse angelegt?
Nein, nicht mehr. Dafür verstehe ich von der Börse einfach zu wenig. Ich hatte mal zu Zeiten des Neuen Marktes 1.000 Mark in Aktien von Caterpillar investiert, weil ich dachte, die würden Schuhe herstellen (lacht). Von Neue-Markt-Aktien habe ich immer die Finger gelassen. Ich zocke nicht. Dieser ganze Bitcoin-Hype ist mir suspekt, da zirkuliert viel unseriöses Geld. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Spekulationen mit Kryptowährungen einen gesellschaftlichen Schaden anrichten. Auch die Leute, die sich jetzt daran bereichern, tun sich damit keinen Gefallen.

Ist der Traum von einem eigenen Restaurant in New York nach dem Debakel des ersten Versuchs ausgeträumt - oder liebäugeln Sie noch immer mit der Idee?
Dieser Plan ist noch nicht vom Tisch, weil ich noch immer zu 100 Prozent von der Machbarkeit und dem Erfolg überzeugt bin. Die Location, in die ich damals reingehen wollte, wurde später anderweitig verkauft und läuft heute wie Hölle. Mein Bauchgefühl hatte mich also nicht getrügt. Diesmal würde ich’s allerdings anders angehen. Ich würde in Deutschland ein Sabbatical einlegen und für zwei Jahre rüberziehen, um mich diesem Projekt komplett widmen zu können. Ich mag New York. Mein Eindruck ist, dass ein Unternehmerrisiko dort sehr wertgeschätzt wird. Man hat schnell ein Netzwerk aus hilfreichen Kontakten zusammen, und diesmal wüsste ich, worauf ich mich einlasse. So schnell werde ich mir jedenfalls nicht mehr die Finger verbrennen.

Vita

Tim Mälzer (47) erhielt während seiner Ausbildung im Hamburger InterContinental 1994 den renommierten "Achenbachpreis" als bester Jungkoch. Nach Stationen im Ausland, etwa im Londoner "Neal Street Restaurant", wo er mit Jamie Oliver arbeitete, trat er 1997 seine erste Stelle als Küchenchef im Hamburger "Café Fees" an. 2002 eröffnete er sein erstes Restaurant, "Das weiße Haus". 2003 begann die TV-Karriere. Mälzer lebt mit Partnerin und Kindern in Hamburg.



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Bildquellen: MG RTL D/Goran Gajanin , MG RTL D/PA/ Jan Haas