Euro am Sonntag-Interview

Jamie Oliver: "Ich war arm wie eine Kirchenmaus"

30.12.17 19:00 Uhr

Jamie Oliver: "Ich war arm wie eine Kirchenmaus" | finanzen.net

Der britische Kultkoch äußert sich im €uro-am-Sonntag-Interview über die Millionen, die er ­verdient hat, über das viele Lehrgeld, das er bei seinen ­Investments zahlen musste und seine Wut über den Brexit.

von Renato Leo, €uro am Sonntag

Durch die TV Show "The ­Naked Chef" wurde Jamie Oliver (42) Ende der 90er-­Jahre zum Popstar unter den TV-Köchen. Seitdem ist er dick im Geschäft. Mit seinem weltberühmten Namen verkauft er Bücher und Pfannen genauso wie Tomaten­saucen und ist Chef eines Restaurant­imperiums mit über 5.000 Angestellten. Zuletzt musste er ­aber Filialen schließen - wegen des Brexit, wie Oliver bei einem Termin mit €uro am Sonntag in seinem Londoner ­Restaurant Jamie Oliver’s Fifteen verriet.



€uro am Sonntag: Herr Oliver, Sie sind Ehemann, Vater von fünf Kindern und Chef eines Gastronomie-Imperiums. Fallen Sie damit ­ in die Kategorie gestresste Berufs­tätige, die Sie mit Ihrer neuen Kochshow und dem dazugehörigen Buch "Jamies 5-Zutaten-Küche" ­erreichen wollen?
Jamie Oliver:
Kann man so sagen, ja. Ich habe in meinen vorherigen 19 Büchern die verschiedensten Aspekte des Kochens unter bestimmten Voraussetzungen aufgegriffen. Kochen unter Zeitdruck, für den schmalen Geldbeutel und so weiter. Die Rezepte in meinem neuen Buch basieren auf jeweils fünf Zutaten und richten sich an Studenten genauso wie an Berufstätige, denn im Grunde genommen will doch jeder gut und günstig kochen, und das mit möglichst geringem Aufwand.

Es ist noch nicht lange her, da klagten Sie über Kreislaufprobleme, Schlafmangel und standen nach eigenen Angaben kurz vor einem Burn-out. Wie geht es Ihnen heute?
Sehr gut, sieht man mir das nicht an (kneift sich in an der Hüfte)? Ich habe zwölf Kilo abgenommen und lebe jetzt viel ausgeglichener und gesünder als noch vor zwei Jahren.


Fiel Ihnen die Umstellung leicht?
Nein, überhaupt nicht. Ich musste meinen bisherigen Lebensrhythmus komplett umstellen, aber ich wusste, dass es fünf vor zwölf ist. Ich konnte den Burn-out förmlich riechen. Wenn du 40 wirst, denkst du, du hast noch Zeit, aber die Uhr tickt. Dein halbes Leben ist schon vorbei, das ist einfach so. Ich möchte so alt wie möglich werden, aber dafür muss man ein entsprechendes Leben führen. Das sind nun mal die ­Regeln des Spiels.

Mehr Struktur im Arbeitsalltag, weniger Leckereien und viel Bewegung - muss man sich die Maßnahmen ungefähr so vorstellen?
Genau. Ich konsultierte Ernährungsexperten und Schlafwissenschaftler und stellte eine Liste von Dos und Don’ts auf. Zu den Don’ts zählt ganz klar Salz, das ich komplett aus meiner Ernährung verbannt habe. Außerdem trinke ich keinen Alkohol mehr nach 22 Uhr. Meine Do-Liste besteht im Wesentlichen aus regelmäßigem Work-out im Fitnessstudio und ausreichend Schlaf. Denn wer zu wenig schläft, lebt nicht nur ungesund, sondern nimmt auch zu. Schlaf ist mir sehr wichtig geworden. Ich habe nie genug davon bekommen und nicht verstanden, wie kostbar er ist. Mit Ende 20 schlief ich nie länger als dreieinhalb Stunden am Tag. Jetzt behandle ich meinen Schlaf wie ­Arbeit. Ich hab’ so ein vibrierendes Ding, das mich daran erinnert, wenn es an der Zeit ist, ins Bett zu gehen - mit 42, wie bei einem Kleinkind (lacht). Aber sonst würde ich bis spät in die Nacht arbeiten und E-Mails beantworten.


Sie sind es gewohnt hart zu arbeiten. Mit fünf Jahren halfen Sie schon in der Gaststätte Ihrer Eltern aus, spülten Gläser hinter der Theke und schnitten Gemüse in der Küche. Ihre älteste Tochter Poppy wird nächstes Jahre 16. Im gleichen Alter sind Sie von der Schule abgegangen, um Ihre Kochausbildung zu absolvieren.
Ich bemühe mich, meinen Töchtern die gleiche Arbeitsmoral einzutrichtern, wie ich sie damals von meinen Eltern beigebracht bekommen habe. Ich würde mir wünschen, dass sie in der Gaststätte ihres Großvaters aushelfen, so wie ich das ­getan habe.

Weil die Arbeit eine perfekte Schule für Ihre spätere Karriere als Unternehmer war?
Genau so ist es. Ich habe dort in ­einem jungen Alter wertvolle Dinge gelernt, die mir später beim Aufbau meiner Restaurantketten sehr nützlich waren. In der Gastronomie gilt: "It’s a people’s business!" Die Gäste sorgen für Umsatz, die Mitarbeiter für einen gut laufenden Betrieb. Ich muss mit allen gut klarkommen, sonst geht mein Geschäft den Bach runter. Im Pub meiner Eltern habe ich gelernt, wie man respektvoll und freundlich mit seinen Mitmenschen umgeht. Höflich zu bleiben, obwohl du im Stress bist und dir die Füße schmerzen. Die wichtigste Lektion aber war: Wenn du etwas erreichen möchtest, musst du dafür die Ärmel hochkrempeln und dich ins Zeug legen. Mit neun Jahren konnte ich genauso gut mit dem Messer umgehen wie heute. Ich kochte schon damals geiles Zeug (lacht). Kochen war das Einzige, was ich wirklich konnte. In der Schule war ich ein totaler Versager.

War es schon immer Ihr Antrieb, durchs Kochen reich und berühmt zu werden? Sie sagten einmal, mit 18 war es Ihr Ziel, so viele Frauen wie möglich ins Bett zu bekommen.
Das habe ich gesagt (lacht)? Keine Frage, hätten damals 100 Frauen mit mir schlafen wollen - ich hätte sie alle genommen. Aber leider inter­essierte sich keine für mich ...

Was sich schlagartig änderte, als Sie mit 23 Ihre erste Kochshow "The Naked Chef" bekamen. Sie sollen davor fast pleite gewesen sein.
Nicht nur fast. Vor "The Naked Chef" war ich arm wie eine Kirchenmaus. Bis dahin hatte ich als Koch am Ende des Monats kaum 100 Pfund übrig. Und nach sechs Wochen war ich Millionär. Mit 24 waren plötzlich ein paar Millionen Pfund auf meinem Konto. Was zur Hölle ging da ab (lacht)? Das war riesig, vielleicht so wie bei "One Direction", nur mit Essen. Es war verrückt.

Hat Sie das verändert?
Überhaupt nicht. Ich bin mit derselben Frau zusammen, seit ich 17 bin. Die meisten Freunde stammen noch aus meiner Schulzeit - und treten mir gehörig in den Arsch, wenn es nötig ist. Und in der Arbeit bin ich von einem Rudel Rottweiler umgeben: lauter Frauen. Die sorgen dafür, dass ich nicht außer Kontrolle gerate (lacht). Daheim ist es nicht ­anders. Wissen Sie, ich habe einen seltsamen Job, ein seltsames Leben. Da ist es gut, eine Familie zu haben, die einen erdet.

Ein guter Koch macht noch lange keinen guten Unternehmer. Haben Sie im Lauf Ihrer Karriere sehr viel Lehrgeld zahlen müssen?
Viel wäre untertrieben. Mein Lehrgeld geht in die Millionen. Weil ich sehr schnell sehr reich wurde, habe ich sehr viel lernen müssen. Mein erstes großes Projekt, das Restaurant Fifteen, in dem ich sozial ­benachteiligten Jugendlichen das Kochen beibrachte, hätte mich fast wieder in die Pleite getrieben. Ich war naiv, altklug und hatte viel Geld. Diese drei Dinge zusammen sind sehr gefährlich.

Also alles learning by doing?
Ja, oder auch: learning by failing. Ich habe viel unternehmerisches Rüstzeug aus meinen Fehlern gezogen - und ich bin wie gesagt schon sehr häufig auf die Nase gefallen. Ich musste Geschäftsideen nach kürzester Zeit wieder aufgeben oder Restaurants schließen, weil sie Verluste gemacht haben. Ich habe dadurch so viel Geld verloren, ich kann gar nicht genau berechnen, wie viel, aber es müssen zig Millionen gewesen sein.

Wie hoch ist Ihre Fehlerquote?
40 Prozent meiner Projekte sind ­gescheitert. Was nicht unbedingt ­etwas über die Qualität der Idee aussagt. Manchmal war ich mit meinen Ideen vier oder fünf Jahre zu früh dran. Ob ein Geschäft funktioniert, hängt immer auch vom Timing ab. Jeder denkt, einem Jamie Oliver gelingt automatisch alles, aber das ist falsch. Oft scheitern Dinge auch ­daran, weil ich Jamie Oliver bin. ­
Als Nobody steht man nicht so sehr im Fokus und kann ein Projekt behutsam aufziehen, ohne Druck von außen.

In den Metropolen eröffnen immer mehr junge Menschen eigene Restaurants. Was raten Sie denen in puncto Unternehmensführung?
Arbeitet hart und versucht so gut es geht, euren Instinkten zu folgen. Hört auf euer Herz. Fangt klein an und versucht die besten Leute anzustellen, die ihr bekommen könnt. Und übt euch in Demut. Flippt nicht gleich aus, wenn sich der erste Erfolg einstellt. Mit viel Fleiß und guten Ideen lässt es sich relativ schnell nach oben kommen. Was aber viele dabei vergessen: Nicht jeder ist dafür geschaffen, ganz oben mit­zuspielen. Mit Talent kann man vieles erreichen, nur ist man erst mal ­erfolgreich und spielt als Unternehmer in der Champions League, muss man jedes Jahr aufs Neue die Ärmel hochkrempeln und sich stetig verbessern, sonst ist man schnell wieder weg vom Fenster. Es muss dein innerer Antrieb sein, immer dein Bestes geben zu wollen. Ganz wichtig: Mache niemals Geschäfte mit Freunden, um ihnen einen Gefallen zu tun. Mit Buddy-Projekten habe ich mir schon richtig die Finger verbrannt. Man sollte Geschäftliches nie mit Privatem vermischen.

Unter Ihrem Namen werden neben Kochbüchern auch Saucen, Pasta und Kochutensilien verkauft. Selbst ­einen Geländewagen haben Sie mitgestaltet. Wer hat Ihnen dabei geholfen, aus dem Namen Jamie Oliver eine Marke entstehen zu lassen?
Niemand, weil ich das nicht wollte. Über die Jahre gingen bei mir Markenberater ein und aus, die mir dieses oder jenes Image überstülpen wollten, weil sie der Meinung waren, dadurch ließe sich der Name ­Jamie Oliver besser vermarkten. Völliger Unsinn. Nichts lässt sich besser vermarkten als Authentizität. Das ist der Kern, der USP jeder Marke. Egal wofür du stehst: Aufrichtigkeit, Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit. Selbst Unzuverlässigkeit kann dich zu einer wertvollen Marke werden lassen, wenn es das ist, was du zu 100 Prozent repräsentieren kannst. Machen wir uns nichts vor, die meisten Leute scheitern bei dem Versuch, aus sich selbst eine Marke machen zu wollen. Schlimmstenfalls endet man als Schwachkopf.

Sie waren immer gegen den Ausstieg Englands aus der EU. Als Ende März sechs Restaurants der Jamie’s-Italian-Kette schließen mussten, machte Ihr Geschäftsführer die Unsicherheiten infolge des Brexit dafür ­verantwortlich. Ihre Kritiker sahen das anders. Die Filialen seien schlicht unprofitabel gewesen.
Das eine bedingt das andere. Wir versuchen gerade alles wieder zusammenzuflicken, aber es herrscht ein großes Durcheinander. Die ­Realität ist nun mal: Jedes einzelne Restaurant in England ist auf europäische Mitarbeiter angewiesen. Über 65 Prozent aller Angestellten in meinen Restaurants sind Europäer. Ich verdanke ihnen einen Großteil meines Erfolgs, weil sie aus ihren Kulturen sehr viel wichtige Einflüsse in unsere Küchen einfließen lassen. Ja, wir kaufen eine Menge Nahrungsmittel in Großbritannien. Aber wir beziehen noch immer Wein aus Frankreich, Salami aus Italien.

Importwaren, deren Preise noch weiter steigen werden.
Das steht fest. Besonders heftig hat es die Nahrungsmittelpreise getroffen. Ich hätte mir das niemals träumen lassen. Die Preise für Reis, für Pasta, Mehl, sind im Durchschnitt um 15 Prozent in die Höhe geschossen. Es steht ganz außer Frage, dass die Preise für importierte Nahrungsmittel in England steigen werden, und zwar exorbitant. Ich bin mir ­sicher, in einem Jahr werden mir ­diejenigen, die mich heute beschimpfen, zustimmen. Ich bin noch immer sehr wütend wegen des Brexits, aber ich habe keine andere Wahl, ich muss mich den Herausforderungen stellen. Wir werden, so gut es geht, unsere Waren aus dem heimischen Markt beziehen und hier und da improvisieren müssen.

Trotz der Geschäftsschließungen und fehlgeschlagener Projekte verfügen Sie laut "Sunday Times" 2017 über ein geschätztes Vermögen von 150 Millionen britischen Pfund. Wie haben Sie Ihr Geld angelegt?
Der Großteil steckt in Immobilien, und ich investiere mein Geld in meine Restaurants. An meinen Unternehmen sind keine Risikokapitalgeber beteiligt, die einspringen könnten, wenn’s mal knapp wird oder ich eine größere Anschubfinanzierung benötige, um ein neues Businessmodell hochzuziehen. Aus dem Grund habe ich einen beträchtlichen Teil festverzinslich angelegt, ganz konservativ. Ich habe 18 Monatslöhne für meine Mitarbeiter auf der Bank geparkt, falls irgend etwas Unvorhergesehenes passieren sollte. Das Geld würde ich niemals anrühren oder damit spekulieren.

Haben Sie schon mal Geld durch Spekulationen verloren?
Allerdings, ja. Ich meinte vor Jahren mal, Geld in Aktien anlegen zu müssen. Eine selten dämliche Idee, weil ich mich eigentlich nicht für Aktien interessiere und mich auf die Beurteilung eines Freundes verlassen hatte. Er riet mir, Aktien einer isländischen Bank zu kaufen. Das war Anfang 2008 und der Zeitpunkt hätte nicht schlechter gewählt sein können. Kurz darauf ging Lehman Brothers pleite und im Zuge der weltweiten Bankenkrise rauschten auch meine Aktien ungebremst in den Keller. Der Verlust war zwar schmerzhaft, was mich aber viel mehr störte, war, dass ich nicht auf mein Bauchgefühl gehört hatte. Ich hatte von Anfang an ein ungutes ­Gefühl.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Geld?
Gegenüber Geld pflege ich eine gesunde Geringschätzung. Geld macht mich verlegen. Geld hat nicht viel mit dem zu tun, was mir im Leben echte Freude bereitet. Aber wenn du eine Idee hast und diese umsetzen möchtest, ist es gut, welches zu haben. Ich glaube nicht, dass Profitbesessenheit auf lange Sicht bestehen kann. Viel wichtiger ist es mir, Herz, Seele und Kultur beizubehalten. Geld hat für mich nur einen Zweck: meine Ideen in die Tat umsetzen zu können. Mein größter Traum ist es, ein Non-Profit-Unternehmen zu gründen, mit dem wir Schulkantinen ausstatten und kostenlos mit gesundem Essen beliefern können, und zwar nicht nur in England, sondern überall. Aber dafür benötige ich viel Geld.

Wo sieht sich der Unternehmer ­Jamie Oliver in zehn Jahren? Immer noch in einem 16-Stunden-Arbeitstag? Sie sind ja erst im vergangenen Jahr erneut Papa geworden.
Eines steht fest, ich werde nicht so weitermachen wie in den vergangenen zehn Jahren. Werde ich in Frührente gehen, um dafür jeden Tag meine Kinder in die Schule bringen zu können? Ganz sicher nicht. Für mich ist der beste Aspekt am Unternehmertum, Arbeitsplätze schaffen zu können. Das macht mich stolz und treibt mich an, mehr als es Geld jemals tun könnte.

Vita:
Koch und Showstar

Jamie Oliver kam am 27. Mai 1975 in Clavering/Essex zur Welt. Dort betreiben seine ­Eltern noch heute ihren Pub The Cricketers, in dem Oliver als Kind oft in der Küche aushalf. Mit 16 Jahren verließ er die Schule und erlernte am Westminster Catering College das Kochen. Im Restaurant River Cafe wurde Jamie Oliver fürs Fernsehen entdeckt. Seine erste TV-Show "The Naked Chef" feierte 1999 in der BBC Premiere und entwickelte sich zum internationalen Erfolg. ­Jamie Oliver ist seit 2002 mit seiner Jugendliebe Juliette "Jools" Norton verheiratet. Mit ihr hat er fünf Kinder. In seiner Freizeit spielt er leidenschaftlich gern Schlagzeug in der Rockband Scarlet Division.

Bildquellen: Sam Robinson/MG RTL Deutschland