Euro am Sonntag

Immos: Vermögend, aber nicht kreditwürdig

09.04.16 08:00 Uhr

Immos: Vermögend, aber nicht kreditwürdig | finanzen.net

Eigentlich soll das "Umsetzungsgesetz der europäischen Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie" Darlehensnehmer davor schützen, sich übermäßig zu verschulden. Doch die neue Regelung hat schwerwiegende Fehler.

von Jürgen Gros, Gastautor von Euro am Sonntag

Die Zeiten für Immobilienfinanzierungen sind angesichts der historisch niedrigen Zinsen günstig wie nie zuvor. Doch am 21. März hat der deutsche Gesetz­geber die Rahmenbedingungen für die Kreditvergabe neu justiert: An diesem Tag ist das Umsetzungsgesetz der europäischen Wohnimmobilienkreditrichtlinie in Kraft getreten. Seitdem hat sich die Lage für manche Bankkunden erheblich verschärft. Sie tun sich jetzt schwer damit, überhaupt noch ein Baudarlehen, eine Anschlussfinanzierung oder einen Kredit für die Renovierung von Immobilien zu erhalten.



Das neue Regelwerk umfasst ein Bündel von Vorschriften, verpackt in knapp 50 Seiten Gesetzestext. Viele der darin formulierten Vorschriften machen Sinn. So wird beispielsweise der Erhalt der Vorfälligkeitsentschädigung festgeschrieben, für den sich die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken stark gemacht hatten. Dieses bewährte Instrument ermöglicht es den Kunden auch weiterhin, langfristige Immobilienfinanzierungen zu stabilen Kondi­tionen bei ihrer Bank aufzunehmen. Außerdem sind praxisgerechte Beratungspflichten der Banken bei dauerhafter ­Inanspruchnahme von Dispokrediten verankert oder präzisierte Vorgaben zu Widerrufsfristen. Doch neben Licht gibt es auch viel Schatten.

Immobilienerwerb wird für
kleine Einkommen erschwert

Das Umsetzungsgesetz verlangt, dass Banken Immobilienkredite nur noch nach intensiver Prüfung der Kreditwürdigkeit ausreichen dürfen. Klingt vernünftig. Ist es grundsätzlich auch, denn bei so einer Finanzierung geht es für die Darlehensnehmer oft um stattliche Beträge und lange Laufzeiten. Da ist Sorgfalt angebracht. Doch der Gesetzgeber hat es versäumt, die Kreditwürdigkeitsprüfung klar und eindeutig zu definieren. Die entsprechenden Passagen im Gesetz sind schwammig formuliert und wimmeln nur so von "unbestimmten Rechtsbegriffen", wie Juristen sagen.

Es müsse "wahrscheinlich" sein, dass der Kreditnehmer seinen Verpflichtungen vertragsgemäß nachkommen kann, heißt es beispielsweise im neuen Paragrafen 505a BGB. Doch wann genau davon ausgegangen werden kann, dass ein Kreditnehmer "wahrscheinlich" seinen Kredit bedient und wann nicht, dazu bleibt das Gesetz vage. Die Bewertung strittiger Fälle wälzt der Gesetzgeber damit elegant auf die Gerichte ab. Die Konsequenz: Unsicherheit, mit der sich Kreditnehmer und Kreditgeber arrangieren müssen.


Das wird viele Banken dazu veranlassen, konservativ zu agieren und im Zweifelsfall keinen Kredit zu vergeben. Oder sie werden sich absichern müssen, wodurch sich die Konditionen für den Kreditnehmer verschlechtern und der Immobilienerwerb für Menschen mit kleineren Einkommen zusätzlich erschwert wird.

Ein weiterer Knackpunkt im neuen Gesetz: Ab sofort sind die Höhe des ­Einkommens und des frei verfügbaren Vermögens bei der Kreditwürdigkeitsprüfung ausschlaggebend. Anders als bisher dürfen die Kreditinstitute laut Paragraf 505b BGB nicht mehr "hauptsächlich" - noch so ein unbestimmter Rechtsbegriff - auf die Werthaltigkeit der grundpfandrechtlichen Sicherheit des finanzierten oder belasteten Grundstücks abstellen. Im Klartext: Wer mäßig verdient oder eine kleine Rente bezieht, ist womöglich nicht mehr kreditwürdig - selbst wenn er eine Villa am Starnberger See sein Eigen nennt. Das ist fragwürdig und für einige Kundengruppen von erheblichem Nachteil, wie die beiden folgenden Beispiele verdeutlichen.

Grund- und Immobilienbesitz
wird faktisch entwertet

Beispiel 1: Ein älteres Ehepaar möchte das eigene Haus altersgerecht umbauen. Verfügt das Paar nur über niedrige Renten, die für den Kapitaldienst allenfalls knapp reichen, werden sich die Banken in Zukunft zurückhalten müssen. Bis zum 20. März 2016 hätten sie solche ­Renovierungen in der Regel finanziert, da das Darlehen durch den Grundbesitz besichert gewesen wäre. Doch das hauptsächliche Abstellen auf den Wert des Grundstücks ist für die Kreditwürdigkeitsprüfung nicht mehr zulässig. Die Folge: Das Ehepaar bekommt im schlimmsten Fall keinen Kredit für den Umbau. Bitter aus Verbrauchersicht ist in diesem Zusammenhang, dass die europäische Wohnimmobilienkreditrichtlinie Ausnahmeregelungen für solche barrierefreien Umbaumaßnahmen zugelassen hätte. Der deutsche Gesetz­geber hat sich bei der Umsetzung aber dazu entschieden, diesen Freiraum nicht zu nutzen.


Beispiel 2: Ein Landwirt möchte den Dachstuhl seines Hauses ausbauen. Er ist vermögend, da ihm große landwirtschaftliche Flächen gehören. Allerdings ist seine Liquiditätslage angesichts der gesunkenen Preise für Agrar­erzeugnisse im Moment angespannt. Da er keine Felder verkaufen will, möchte der Landwirt den Umbau privat finanzieren. Zwar ist er nicht kapitaldienstfähig, und ob eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu erwarten ist, lässt sich nicht voraussagen. Gleichwohl wurde in solchen Fällen in der Vergangenheit in der Regel ein Darlehen vergeben, da der Wert der mit Grundschulden belasteten Grundstücke den Darlehensbetrag überstieg. Das ist nun nicht mehr erlaubt. Die Banken werden dazu gezwungen, auch bei dieser Art der Kreditvergabe an Landwirte restriktiver zu sein.

Der Gesetzgeber will die Verbraucher mit dem Umsetzungsgesetz vor Überschuldung schützen. Doch die neuen Regelungen sind an entscheidenden Passagen unpräzise und schießen über das Ziel hinaus. Denn wenn Immobilien­eigentümer Haus oder Wohnung nicht mehr zur Kreditrückführung einbringen können, wird Grund- und Immobilienvermögen faktisch entwertet. Die Bürger werden so bei der freien Verfügung über ihr Vermögen bevormundet. Diesen Eingriff in die persönliche Freiheit muss der Gesetzgeber korrigieren.

Das Beispiel der Wohnimmobilienkreditrichtlinie macht einmal mehr deutlich: Eine strengere Qualitätskon­trolle in der Finanzmarktregulierung ist dringend erforderlich. Für jede neue EU-Verordnung, jede Leitlinie der Aufsicht und für jedes Bundesgesetz muss gefragt werden: Erreicht eine Maßnahme ihr Ziel? Welche Risiken und Nebenwirkungen gibt es? Ist der Nutzen größer als die Kosten? Sind einzelne Regeln aufeinander abgestimmt? Vor dem Hintergrund der Finanzkrise musste es zuletzt häufig schnell gehen. Eine sorgfältige Folgenabschätzung kam deshalb oft zu kurz. Doch jetzt ist die Zeit reif, um innezuhalten und nachzuarbeiten. Das gilt auch für das Umsetzungsgesetz der europäischen Wohnimmobilien­kreditrichtlinie.

zur Person:

Jürgen Gros, Vorstand des
Genossenschafts­verbands Bayern

Gros hat Politikwissenschaft, Volkswirtschafts­lehre und ­Deutsche Philologie studiert und 1998 promoviert. Nach verschiedenen Stationen in der Politik und Industrie arbeitet er seit 2005 beim Genossenschaftsverband Bayern e. V. (GVB). Seit 2015 ist er dort Mitglied des Vorstands.
Der GVB vertritt die Interessen von 1300 genossenschaftlichen Unternehmen im Freistaat mit insgesamt 2,9 Millionen Mitgliedern.

Bildquellen: Genossenschaftsverband Bayern e.V., r.nagy / Shutterstock.com