Euro am Sonntag-Exklusiv

CDU-Politiker Linnemann: "Der Soli muss komplett weg"

16.02.19 15:00 Uhr

CDU-Politiker Linnemann: "Der Soli muss komplett weg" | finanzen.net

Einer der wirtschafts­kompetentesten Politiker der CDU kritisiert im Interview mit €uro am Sonntag die unklare politische ­Haltung der Kanzlerpartei. Der Volkswirt fordert ein Umdenken in der ­Energiepolitik sowie bei der Besteuerung von Bürgern und Unternehmen.

von Oswald Metzger, €uro am Sonntag

Knapp ein Jahrzehnt sitzt der mit seinen 41 Jahren immer noch jungenhaft wirkende Carsten Linnemann schon im Bundestag. Der schwarze Wahlkreis ­Paderborn ist seine politische Heimat. Bereits dreimal gewann er ihn direkt mit jeweils über 50 Prozent der Stimmen, die letzten beiden Male mit den besten Erststimmenergebnissen der CDU in Nordrhein-Westfalen. Schon wenige Monate nach seinem ersten Einzug in den Bundestag 2009 wurde er im ­Magazin "Politik & Kommunikation" zum Start einer Reihe über Nachwuchshoffnungen in der Politik als "Rising Star 2009" geadelt.



Und der Mann startete durch. Der promovierte Volkswirt, der einst als Assistent bei Norbert Walter, dem verstorbenen Chefökonomen der Deutschen Bank, seine Berufslaufbahn begann, profiliert sich inzwischen bereits seit mehr als fünf Jahren als Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der Union. Im März vergangenen Jahres wählten ihn seine Fraktionskollegen zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU im Bundestag, zuständig für den Bereich Wirtschaft und Energie.

Kämpfer für die Flexi-Rente

Der Mann steht für Standpunkte. Wie nur wenige in der Unionsfraktion stimmte er aus Überzeugung gegen die Euro-Rettungspakete, machte sich damit aber nicht zum Außenseiter, wie seine politischen Erfolge belegen. Er kämpfte mit Erfolg für die Flexi-Rente, die es für ältere Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber einfacher macht, länger im Erwerbsleben zu bleiben.



Seinen jüngsten Streich markiert die Zustimmung des CDU-Parteitags in Hamburg zur Komplettabschaffung des Solidaritätszuschlags, womit zumindest eine wichtige Hürde in der größten Regierungspartei genommen wurde. Ohne seinen beharrlichen Kampf mit der MIT ist dieser Beschluss nicht erklärbar.

Vor diesem Parteitag wurde gelegentlich spekuliert, dass Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) im Fall ihrer Wahl den bekennenden Merz-Unterstützer Linnemann als neuen Generalsekretär gewinnen will. Ob er sich gegen ein solches Angebot entschied oder AKK sich von vornherein nur um JU-Chef Paul Ziemiak bemühte, bleibt ein Geheimnis. Doch mit dem Mann aus Paderborn ist in jedem Fall auch in Zukunft zu rechnen.

€uro am Sonntag: Personell hat sich die CDU für die Nach-Merkel-Ära neu aufgestellt. Ein neuer Fraktionsvorsitzender im vergangenen September, eine neue Parteivorsitzende im letzten Dezember. Wie sieht es mit der programmatischen Positionierung aus? Sie plädieren für "weniger Allgemeinplätze, mehr Klartext".
Carsten Linnemann: Ich halte die jetzt vorgenommene Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz für eine echte Chance. Mehr als 13 Jahre Regierungszeit haben dazu geführt, dass die CDU als Partei im wahrsten Sinne des Wortes nur noch Regierungspartei ist. Damit muss jetzt Schluss sein. Die Partei muss sich emanzipieren, sie muss immer einen Schritt weitergehen als die Bundesregierung.

Was heißt das konkret?
Im letzten Wahlprogramm zur Bundestagswahl standen auf 75 Seiten viele Allgemeinplätze, aber wenig Substanz. Wir müssen den Mut haben, unsere Kernbotschaften mal auf drei oder vier Seiten zu formulieren: mit klaren deutschen Hauptsätzen und klaren inhaltlichen Zielen. Wofür stehen wir! Was lehnen wir strikt ab! Das Programm muss so konzipiert sein, dass die Wähler wissen, was sie erwarten würde, wenn wir - in der Theorie - 100 Prozent Wählerstimmen bei einer Bundestagswahl gewinnen könnten. Dass die Regierun­gs­mehrheiten in der Praxis Koalitionen erfordern und Kompromisse, ist klar. Aber man muss wissen, wofür die CDU steht. An dieser inhaltlichen Klarheit haben wir es in der jüngeren Vergangenheit leider immer mehr fehlen lassen. Deshalb mein Appell für mehr Sub­stanz, mehr Klartext.

Der Münsteraner Volkswirt Ulrich van Suntum hat jüngst in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eine gnadenlose Bilanz der ökonomischen Spätfolgen des "Merkelantismus" formuliert. ­Angela Merkel habe in ihrer Amtszeit einen Staatsinterventionismus zu verantworten, der das genaue Gegenteil von dem darstellt, was einst die soziale Marktwirtschaft prägte und was ihren beispiellosen Erfolg ausgemacht hat.
Selbst Ludwig Erhard hat kurz vor seinem Tod 1977 seine immer wieder formulierte Sorge bekräftigt, dass der Sozialstaat mit zunehmendem Wohlstand immer stärker wuchert und dadurch die Eigenverantwortung immer weiter abnimmt. Seine Befürchtung hat sich längst in Zahlen manifestiert. Seit 2011 sind die Sozialleistungen beispielsweise um 24 Prozent gestiegen, die Wirtschaftsleistung dagegen nur um 21 Prozent. Das Ganze wird noch befeuert durch eine künstliche Niedrigzinspolitik, die dem Staat auf dem Rücken der Sparer - Stichwort Altersvorsorge - Abermilliarden an vermiedenen Zins­ausgaben schenkt.

Ihre Rezeptur für einen marktwirtschaftlichen Relaunch der CDU?
Die alten ordnungspolitischen Prinzipien - Respekt für die Eigentumsrechte und die Vertragsfreiheit, eine stabile Währung, Wettbewerb und die Betonung der privaten Haftung -, wie sie von der Freiburger Schule bis Ludwig Erhard als Voraussetzungen für eine gute Wirtschaftspolitik formuliert wurden, sind heute aktueller denn je. Diese Prinzipien müssen auch in der digitalen Welt durchgesetzt werden, wo beispielsweise mit Daten und nicht mit Geld bezahlt wird. Auch in der Plattformökonomie muss die CDU für eine Wettbewerbs­ordnung kämpfen, die fair ist und die IT-Giganten nicht als Oligopolisten oder gar als Monopolisten schrankenlos gewähren lässt.

Doch die CDU-geführte Bundesregierung versteht den Staat in der Praxis oft weniger als Schiedsrichter, der faire Wettbewerbsordnungen durchsetzt. Der Staat spielt immer stärker mit und interveniert, etwa in der Energiepolitik.
Wir sind überstürzt aus der Kernenergie ausgestiegen, nachdem die damalige schwarz-gelbe Regierung die Laufzeiten kurz vor Fukushima noch verlängert hatte. Gut, dafür gab es nach dem GAU in Japan eine gesellschaftliche Mehrheit. Jetzt sprechen wir über einen vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, obwohl wir das teuer mit Steuergeldern bezahlen müssten und obwohl ja klar ist, dass die Kohleverstromung bei steigenden Preisen für CO2-Zertifikate von selbst zurückgeht. Wir brauchen bei der Energiepolitik dringend eine Grundsatzdiskussion über unsere Ziele und Instrumente. Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit kommen momentan viel zu kurz. Beim Klimaschutz fehlt uns weiterhin der ­europäische und globale Fokus. Wir sind bei der Förderung der Erneuerbaren zwar richtigerweise von staatlich vorgegebenen Preisen auf Ausschreibungsverfahren umgestiegen und haben damit auch Kostensenkungen erreicht, aber es ist immer noch der Staat, der bestimmt, wie viel erneuerbaren Strom er wann und in welchem Technologiemix haben möchte. Da geht’s weniger um energiepolitische Ziele als um die Frage, welches Bundesland wie viel Erneuerbaren-Förderung erhält.

Eine Dekade Aufschwung machte die deutsche Politik, vielleicht auch die Mehrheit der Wähler, zu selbst­sicher und träge. Saturierte Gesellschaften neigen erfahrungsgemäß zur Unbeweglichkeit. Dabei hat sich die Wettbewerbssituation Deutschlands deutlich verschlechtert. Die Unternehmenssteuern liegen in der Weltspitze. Und nicht nur der selbstständige Mittelstand beklagt die Steuer- und Abgabenlast.
Wir müssen im Steuersektor für die Unternehmen etwas machen. Das ist nicht nur eine Frage der Steuersatzhöhe. Doch mehr als 25 Prozent Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften sind nicht wettbewerbs­fähig. Deutschland liegt derzeit bei rund 30 Prozent. Allerdings dürfen wir die Personengesellschaften nicht vergessen. Sie stellen bei uns über 80 Prozent der Unternehmen. Sie versteuern als Unternehmen und als Unternehmer und kommen in dieser Doppelfunktion auf effektive Steuerbelastungen von 50 Prozent.

Welche Lösungsmöglichkeiten ­sehen Sie denn?
Ich würde hier für ein Options­modell plädieren, bei dem sich die Personenunternehmen entscheiden können, ob sie wie Kapitalgesellschaften besteuert werden. Rechtsformunabhängige Besteuerung ist ein Gebot der Fairness im Unternehmenssektor. Ich bin froh, dass unser Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus eine eigene Arbeitsgruppe zur Reform der Unternehmensbesteuerung einberufen hat.

Die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags haben Sie als Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung jahrelang gefordert. Jetzt hat die CDU das auf ihrem letzten Bundesparteitag beschlossen. Doch kommt diese Entlastung auch wirklich? Ist das mit den Sozialdemokraten in der Koalition überhaupt zu machen?
Für mich geht es beim Solidaritätszuschlag überhaupt nicht mehr um eine reine Steuerfrage. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der gesamten Politik. Wenn man die AfD im Steuersektor nicht weiter gegen das politische Establishment munitionieren will, dann sollten wir alle dazu stehen, was wir einst bei der Einführung dieser befristeten Abgabe versprochen haben: Sie fällt, wenn die Aufgabe fällt. Der Solidarpakt Ost endet mit Ablauf dieses Jahres. Deshalb muss der Soli komplett weg.

Kurzvita

Volkswirt mit Haltung
Carsten Linnemann ist Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion für den ­Bereich Wirtschaft, Mittelstand und Tourismus sowie Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Carsten Linnemann votierte mit Nein gegen die Euro-­Rettungsstrategie für Griechenland. Er ist promovierter Diplom-Volkswirt. Vor seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter war er bei der Deutschen Bank tätig. Er arbeitete außerdem für die Deutsche Industriebank.






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Bildquellen: Thorsten Schneider