Ministerin auf Rückzug: Ilse Aigner, die Bemühte
Die Verbraucherministerin verlässt Berlin Richtung Bayern. In ihre fünfjährige Amtszeit fielen zahlreiche Finanzskandale. Zeit für eine Bilanz der Anlegerschützerin Aigner.
von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag
Das reicht noch lange nicht aus.“ Ilse Aigner war enttäuscht. Im Oktober 2009, zum ersten Jahrestag der Pleite der US-Bank Lehman Brothers, ging sie mit den Banken hart ins Gericht. „Es zählt jeder Einzelfall“, sagte die Verbraucherministerin. Und solche Fälle gab es viele: rund 50.000. Viele davon waren ältere Sparer, denen die Zertifikate der untergegangenen US-Bank als „sicher wie Festgeld“ angepriesen worden waren. Die Pleite löste das investierte Geld in Luft auf. Viele standen vor den Ruinen ihrer Altersvorsorge. Und die Banken? Die meisten stritten sich mit Geschädigten. Einige boten ein wenig Schadenersatz an. Aigner machte sich zur Anwältin der Sparer. Beim Bürger sollte ankommen: „Hier bin ich, eure Verbraucherministerin. Ich bin eine von euch.“
Die Frau aus dem Münchner Umland packt Aufregerthemen an und macht sich selbst zur Betroffenen. Das sorgt für Aufsehen. Die Ministerin, groß, mit voluminösem braunen Schopf, dunkler Stimme und nach eigenen Angaben leidenschaftliche Dirndlträgerin, könnte in einem Heimatfilm die resolute Bäuerin geben, die auch mal den Stier bei den Hörnern packt. Dazu passt, dass sie nach der Realschule wie ihr Vater eine Ausbildung zum Fernsehtechniker absolviert hat und — entgegen dem Klischee einer CSU-Politikerin — unverheiratet ist. Der Parteibasis gefällt’s: Als „mutig und freisinnig“ wurde sie jüngst beim CSU-Parteitag beschrieben. Doch das ist eine Eigenschaft, die in der Politik zwar von Vorteil sein kann, aber höchstens die halbe Miete ist.
Das Jahr 2013 bedeutet für die 48-Jährige eine Zäsur. Ganz gleich, wer Deutschland nach dem 22. September regieren wird, Aigner wird ihren Posten niederlegen und in die bayerische Landespolitik zurückkehren — auch im Freistaat wird gewählt. Zeit für eine Bilanz.
Keine Angst vor heißen Eisen
Keiner ihrer Vorgänger hatte mehr Gelegenheit, sich in Sachen Anlegerschutz zu profilieren — oder zu patzen. „Sie war sich nicht zu schade, heiße Eisen anzufassen, Missstände zu benennen und andere Ministerien in Zugzwang zu bringen“, sagt Dorothea Mohn, Finanzexpertin beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Aber ihre Errungenschaften, etwa dass Beratungsgespräche vom Bankmitarbeiter zu protokollieren sind, hätten die Anlegerrechte nicht gestärkt — eher im Gegenteil.
Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise traten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück vor die Presse und erklärten die Einlagen deutscher Sparer für sicher. Danach entschwanden die beiden, um die Hochfinanz zu retten. In Fußgängerzonen hielten Inhaber wertlos gewordener Lehman-Zertifikate Mahnwachen vor den Bankfilialen, in denen ihnen die Papiere verkauft worden waren. Aigner, damals frisch im Amt, kümmerte sich um sie. „Verbraucherrechte stärken, indem man die Bürger zumindest annähernd auf Augenhöhe mit ihrem Bankberater bringt“, so ihr Plan. Aigners erste Maßnahme: Beratungsprotokolle.
Den Praxistest bestanden diese nicht: „Die Protokolle haben das Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und Berater zerstört“, sagt Julius Reiter von der Kanzlei Baum, Reiter und Collegen. Er berichtet von Banken, die verlangen, dass Kunden das Protokoll unterschreiben, andernfalls werde man nicht mehr beraten. „Statt sinnlose Protokolle schreiben zu lassen, hätte sie sich dafür einsetzen sollen, die Beweislast umzukehren“, sagt Klaus Nieding von der Kanzlei Nieding + Barth. Formaljuristisch muss der Kunde der Bank beweisen, dass sie ihn falsch beraten hat. An der Ministerin perlt die Kritik ab. Sie sieht sich auf dem richtigen Weg. „Das Protokoll muss geführt werden“, sagt sie. Basta!
Etwa zeitgleich zu den Protokollen setzte Aigner durch, dass sich Kunden auf wenigen Seiten über Fonds, Sparkonten und Zertifikate informieren und anhand von Kurzbeschreibungen Rendite, Kosten und Laufzeit vergleichen können. Doch statt Standards vorzugeben, durften die Banken ihre Informationsblätter selbst gestalten. Der Nutzen für Anleger hält sich in Grenzen.
Fehler im System
Hat Aigner beim Anlegerschutz versagt? Frank Schäffler, Finanzpolitischer Sprecher beim Koalitionspartner FDP, will das so nicht sagen. Für ihn liegt der Fehler im System. „Es kann nicht gut gehen, wenn auch noch das Landwirtschafts- und Verbraucherministerium beim Anlegerschutz mitmischt. Das Ressort ist zu breit aufgestellt und hat nicht genügend Kompetenzen.“ Der FDP-Politiker nennt hier den wichtigsten Aspekt, unter dem Aigners Arbeit zu beurteilen ist. Geht es um Anlegerschutz, sind nicht nur das Bundesfinanzministerium, sondern oft auch das Wirtschaftsministerium und das Ministerium für Justiz mit im Boot. Reibungsverluste sind da programmiert. „Oft hatte man den Eindruck, dass die Ministerin vorgeprescht ist, ohne sich vorher mit den anderen Ressorts abgesprochen zu haben“, sagt Verbraucherschützerin Mohn. Das brachte Aigner einige peinliche und unnötige Niederlagen ein.
Bestes Beispiel: ihr Vorstoß, Beratungsgespräche von anonymen Testern im Auftrag der Bafin überprüfen zu lassen. Das verletze die Persönlichkeitsrechte der Berater, wiegelte das Justizministerium ab. Aigner musste klein beigeben. Dann kam ein Gutachten der oppositionellen Grünen, wonach die Bedenken unangebracht seien. Aigner fühlte sich bestätigt, einen neuen Anlauf unternahm sie aber nicht mehr.
Nächste Station Staatskanzlei?
Vielleicht auch, weil Aigners Weg zurück nach Bayern führt. Seit über einem Jahr ist bekannt, dass Ministerpräsident Horst Seehofer mit ihr Wahlkampf machen will. Einige Medien haben sie schon zu Seehofers Erbin gekürt. Noch wiegelt Aigner ab. Doch es gibt viele — nicht nur in der CSU — die sie sich besser als Landesmutter denn als Verbraucherministerin vorstellen können.
Geht es um Anlegerschutz, bemüht sich Aigner, die teils komplexe Materie zu verstehen. „Es zählt aber, was am Ende tatsächlich rauskommt — und hier steht dann nicht mehr als ‚stets bemüht‘“, sagt Frank Schäffler. Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick gibt Aigner nicht einmal für ihren Fleiß gute Zensuren: „Frau Aigner ist beim Schutz der Kunden am Finanzmarkt reine Ankündigungsministerin geblieben.“
Auch in puncto Dispozinsen war Aigner bemüht, aber nicht konsequent genug. Kunden bekommen weniger als ein Prozent Zinsen auf ihr Erspartes, zahlen aber meist mehr als zehn Prozent, wenn ihr Konto im Minus ist. Wieder ein Missstand, über den sich Aigner öffentlich aufregte. Ein Gesetz wollte sie nicht schreiben. Kein Wunder, dass Dispo- und Sollzinsen seither nur marginal gesunken sind.
Immerhin, bei den Geldautomatengebühren setzte Aigner durch, dass die im Bundesverband deutscher Banken (BdB) organisierten Privatbanken höchstens 1,95 Euro kassieren, wenn sich Fremdkunden an ihren Automaten mit Barem versorgen. Wer als Fremdkunde bei einer Sparkasse oder Volksbank Geld zieht, muss mitunter noch immer fünf Euro und mehr zahlen.
Julia Klöckner, Aigners ehemalige parlamentarische Staatssekretärin, steht hinter ihrer Exchefin: „Wenn man bedenkt, dass die Federführung in der Regel in anderen Ressorts liegt, ist es beachtlich, was sie auf den Weg gebracht hat.“ Konkret denkt Klöckner an die Honorarberatung, die Aigner als Alternative zur klassischen Beratung etablieren wollte. Hintergedanke: Wenn der Berater am Gespräch und nicht am Produkt verdient, hat er keinen Anreiz mehr, ein teures und für den Kunden möglicherweise ungeeignetes Produkt zu verkaufen. Als klar wurde, dass Honorarberater nicht allgemein, sondern lediglich zu einzelnen Produkten beraten sollen, ebbte die anfängliche Begeisterung der Verbraucherschützer ab.
Die Impulse gab eine andere
Für Aigner spricht, dass sie das Thema überhaupt aufgegriffen hat. Furcht vor den mächtigen Lobbyverbänden der Banken und Versicherer kennt sie nicht. „Natürlich gibt es Nachbesserungsbedarf — auch bei den Produktinformationsblättern“, sagt Klöckner. Dass bei einigen Initiativen Aigners nicht nachgehakt wurde, liegt vielleicht auch an Klöckner selbst. Anlegeranwalt Klaus Nieding nennt die ehemalige Staatssekretärin „die treibende Kraft in Sachen Anlegerschutz“. Nachdem sie sich vor gut einem Jahr verabschiedet hatte, um in Rheinland-Pfalz Wahlkampf zu machen, sei einiges eingeschlafen. Ob Aigners Nachfolger den Anlegerschutz aus seinem Dornröschenschlaf wachküsst?
Wer Ilse Aigner nach ihrem Lebensmotto fragt, hört die Antwort: „Ich beiß mich da durch.“ Dieser Wahlspruch gilt offenbar nicht für ihr Wirken als Ministerin. Hier blieb sie nach vollmundigen Ankündigungen meist zahnlos. So blieben Zehntausende Lehman-Geschädigte auf ihrem Schaden sitzen. In einigen Fällen konnten Verbraucherschützer und Anwälte Schadenersatz erstreiten. Dem nächsten Verbraucherminister ist in Sachen Anlegerschutz mehr Biss zu wünschen.
zur Person:
Aus Bayern nach Berlin und zurück
Ilse Aigner wurde 1964 in Feldkirchen-Westerham rund 30 Kilometer südöstlich von München geboren. Nach der Realschule machte sie eine Ausbildung zur Fernsehtechnikerin und arbeitete im elterlichen
Radio- und TV-Handel. Für einige Jahre war sie Elektronikerin beim Hubschrauberhersteller Eurocopter. Mit 17 trat sie der CSU bei. 1993 wurde sie Landesvorsitzende der Jungen Union, 1998 kam sie in den Bundestag. 2008 wurde sie Bundesverbraucherministerin. Im September kehrt die passionierte Wanderin nach Bayern zurück. Welches Amt sie dort bekleiden wird, ist noch offen.