Arbeitsmarkt: Warum Deutschland einsame Spitze ist
Die Jobsituation in der Eurozone ist unbefriedigend. Deutschland dagegen steht glänzend da und wird deshalb massiv kritisiert. Eine Bestandsaufnahme.
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von Christoph Platt, Euro am Sonntag
Was den 1. Mai angeht, sind sich die meisten Länder Europas einig: Gefeiert wird der Tag der Arbeit, an dem die Rechte und Bedürfnisse von Arbeitnehmern im Fokus stehen. Keine Einigkeit besteht hingegen bei der Lage auf den nationalen Arbeitsmärkten. Höchst unterschiedlich sind derzeit die Rahmenbedingungen und Situationen in den einzelnen Ländern.
Der hiesige Arbeitsmarkt befindet sich in einer hervorragenden Verfassung. In der Eurozone ist Deutschland Spitzenreiter: Nur 3,9 Prozent aller Erwerbspersonen gelten nach der Definition der europäischen Statistikbehörde Eurostat als arbeitslos. In den übrigen großen Volkswirtschaften des Euroraums sieht es anders aus. In Frankreich liegt die Arbeitslosenquote bei 10,0 Prozent, in Italien bei 11,5 Prozent. Besonders schlecht ist die Lage in Spanien mit 18,0 Prozent - nur noch übertroffen von Griechenland, wo fast jede vierte Erwerbsperson ohne Job dasteht.
Die glänzende Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt geht einher mit einem soliden Wachstum der Wirtschaft, die 2016 im Vergleich zum Vorjahr um fast zwei Prozent zulegen konnte. Und weil der Export boomt, weist Deutschland erneut einen großen Außenhandelsüberschuss aus.
Das alles ruft Kritiker und Neider auf den Plan. Die sitzen zum einen jenseits des Atlantiks: Donald Trump monierte mehrfach, dass Deutschland viel mehr in die USA exportiert, als es von dort einführt. Doch auch aus Europa kommen Misstöne. So kritisierten im französischen Wahlkampf sowohl Marine Le Pen als auch Emmanuel Macron die wirtschaftliche Stärke Deutschlands.
Neben dem Handelsbilanzüberschuss und dem Sparkurs der Bundesregierung wird Deutschland regelmäßig vorgeworfen, dass die Arbeitskosten zu niedrig seien. Die Bundesrepublik verschaffe sich so einen unlauteren Vorteil, meinen die Kritiker.
"Ich sehe nicht, dass dieser Vorwurf gerechtfertigt wäre", sagt Ronald Bachmann, Leiter des Kompetenzbereichs Arbeitsmärkte, Bildung, Bevölkerung beim RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Von 2000 bis 2006 hätten sich die Löhne in Deutschland zwar deutlich unterdurchschnittlich entwickelt, doch seither steige das Lohnniveau klar an.
Momentan liegen die Arbeitskosten, die sich aus Gehältern und Lohnnebenkosten zusammensetzen, sogar oberhalb des Durchschnitts in der Eurozone. Hierzulande kostet eine Arbeitsstunde 33 Euro, im Euroraum sind es im Mittel 29,80 Euro. Aus Sicht der Franzosen, deren Arbeitskosten mit 35,60 Euro über dem deutschen Wert liegen, mag der Vorwurf begründet sein. Doch im gesamteuropäischen Kontext ist er es nicht. Zumal sich die Arbeitskosten in Deutschland 2016 mit einem Plus von 2,5 Prozent vergleichsweise stark gegenüber dem Vorjahr erhöht haben.
Nicht immer konnte die Bundesrepublik so glänzen wie momentan. "Vor 15 bis 20 Jahren stand Deutschland schlecht da und galt als kranker Mann Europas", sagt RWI-Experte Bachmann. "Mehr oder weniger freiwillig wurden dann Reformen umgesetzt." Seitdem sei der Arbeitsmarkt strukturell besser aufgestellt, und seine Krisensicherheit habe sich erhöht.
Zu den Reformen zählen drei Bereiche. Zum einen sorgten die Hartz-Gesetze für eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Zum anderen wurden die Lohnverhandlungen dezentralisiert und weniger Flächentarifverträge genutzt. Außerdem wurden Arbeitszeitvereinbarungen flexibler, etwa durch die Einführung von Arbeitszeitkonten. Auch die Möglichkeit, in Krisenzeiten Kurzarbeit einführen zu können, hat sich positiv ausgewirkt.
Zögerliche Reformen
In anderen Ländern Europas gingen die Arbeitsmarktreformen seit der Jahrtausendwende zögerlicher oder überhaupt nicht voran, was vielen Staaten strukturelle Schwierigkeiten bereitet. "Ein Problem sind partielle Arbeitsmarktreformen, wie sie etwa in Spanien umgesetzt wurden", sagt Bachmann. Dort habe man die bestehenden, oft gut bezahlten Arbeitsverträge in Ruhe gelassen und nur neue Arbeitsverhältnisse umgestaltet. "Diese sind nun größtenteils befristet." Das hat in Spanien zu einer Segmentierung geführt, die ältere erfahrene Arbeitnehmer von jüngeren oder schlecht ausgebildeten trennt.
Generell ist die Jugendarbeitslosigkeit ein Hauptproblem vieler nationaler Arbeitsmärkte. Besonders hoch ist sie in Südeuropa. In Griechenland ist fast jede zweite Erwerbsperson unter 25 Jahren arbeitslos, auch in Spanien sind es mehr als 40 Prozent. Italien hat mit einer Quote von 35 Prozent die dritthöchste Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union. "Man kann fast schon von einer verlorenen Generation sprechen", sagt Karl Brenke, Referent für Konjunkturanalyse beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.
"Das Problem ist, dass sich die Ausbildung nicht an der Praxis orientiert", kritisiert der Experte. Ein duales System wie in Deutschland, in dem die jungen Arbeitnehmer in Betrieben ausgebildet werden und gleichzeitig eine Berufsschule besuchen, existiere in den meisten Ländern nicht. "Es gibt zwar vereinzelt Anstrengungen, ein solches System einzuführen, aber das dauert", sagt er.
Auch wenn sich die Arbeitsmärkte in Europa uneinheitlich präsentieren, sind sich viele Vermögensverwalter einig: Die Aussichten für Europas Aktienmärkte sind allen Problemen zum Trotz gut. Denn die Aktien sind günstig bewertet, und die Konzerngewinne entwickeln sich positiv. Zudem haben sich die politischen Risiken deutlich reduziert.
Um europäische Aktien breit gestreut ins Depot zu holen, bietet sich etwa ein ETF von db X-trackers auf den Euro Stoxx 50 an (ISIN: LU 027 421 121 7).
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