Cyberpolicen: Panikmache im Internet
Internetnutzer verstoßen gegen Urheberrecht, Daten werden geklaut, Mobbing-Attacken in sozialen Netzwerken häufen sich — die Versicherer wittern ein Geschäft, dabei gibt es bereits ausreichenden Schutz
von Claudia Marwede-Dengg, Euro am Sonntag
Lennart Hecker hatte gerade den 14. Geburtstag gefeiert, als er berühmt wurde — zumindest unter Juristen. Dabei hatte der Junge aus Bochum in der Zeit vor seinem 14. Geburtstag nur getan, was viele Teenager im Internet tun: chatten, surfen und über Tauschbörsen kostenlos Musik runterladen. Gerade Letzteres sehen Musikproduzenten und Plattenfirmen nicht gern, aber sie können Kinder unter 14 Jahren nicht belangen.
Zwar macht sich derjenige strafbar, der urheberrechtlich geschützte Daten, wie Musik oder Filme, aus dem Netz zieht und sie wiederum online zum Tausch anbietet. Und genau das hatte Lennart getan. Doch der Junge war damals noch 13 Jahre alt — und damit strafunmündig. Allerdings surfte er über den Anschluss seiner Eltern. Daher wurde sein Vater verklagt. Doch der wehrte sich. Er könne seinem Sohn nicht ständig über die Schulter schauen, wenn dieser im Netz surfe, erklärte der Arzt. Und der Bundesgerichtshof gab ihm recht (Az. I ZR 74/12).
Auch wenn das jugendfreundliche Urteil im Fall Lennart anderen betroffenen Eltern als Argumentationshilfe dient, das Problem, insbesondere für Erwachsene, bleibt. „Es gibt eine regelrechte Abmahnindustrie“, sagt Katrin Bornberg von der Versicherungsratingagentur Franke und Bornberg. Durch die IP-Adresse, eine individuelle Ziffernfolge, mit der jeder Computer im Netz identifizierbar ist, lassen sich Anschlüsse finden, über die illegal Daten getauscht werden. Schnell bekommen die Anschlussinhaber Post mit Schadenersatzforderungen über ein paar Hundert oder einige Tausend Euro im Briefkasten. „Dann hilft nur noch verhandeln“, weiß Bornberg.
Versicherer haben diese Gefahr erkannt und versprechen Schutz mit sogenannten Cyberpolicen. Bislang gibt es drei Anbieter: Arag, Jurpartner und die D.A.S., die Rechtsschutz speziell fürs Internet bietet. Branchenprimus Allianz bietet eine ähnliche Police bislang nur Firmenkunden. Aber man denke intensiv darüber nach, ein solches Produkt auch für Privatkunden zu entwickeln, heißt es aus der Zentrale.
Neue Kombiprodukte
„Die neuen Policen bieten neben dem Rechtsschutz auch eine Haftpflicht für den Onlinebereich“, erklärt Versicherungsanalystin Bornberg. „Der Internet-Rechtsschutz richtet sich insbesondere an preisbewusste und internetaffine Kunden, die sich nicht umfangreich versichern möchten, sondern speziell im Bereich des Internets Rechtsstreitigkeiten befürchten und sich dafür absichern wollen“, sagt Sebastian Lütje, Vorstand von Jurpartner.
Neben Fällen wie dem der Heckers haben die Versicherer auch Personen im Blick, die von Cybermobbing, übler Nachrede und Rufmord im Internet betroffen sind. Hier geht es vor allem darum, ehrverletzende oder beleidigende Internetinhalte löschen zu lassen und dies notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Die Arag arbeitet hier mit einem Spezialisten für Online-Reputationsmanagement zusammen, dem Unternehmen „Dein guter Ruf“. „Die Erfolgsquote beim Löschen liegt bei über 85 Prozent“, erklärt Arag-Sprecher Christian Danner. Wer bei Arag „web@ktiv“ für 9,90 Euro im Monat abschließt, der kann Daten löschen lassen, allerdings sind die Kosten gedeckelt: 100 Euro je Versicherungsfall — maximal 1.000 Euro im Jahr — zahlt die Versicherung für die Datenlöschung. „Das ist zu wenig“, findet Peter Grieble von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Um das Netz wirklich effektiv nach Rufschädigendem durchkämmen zu lassen, benötige man eine deutlich höhere Deckungssumme. Jurpartner bietet drei Löschungsversuche je Absender an. Für Grieble ist dieser Schutz zu wenig greifbar. Doch bei aller Kritik sieht der Versicherungsexperte die Anbieter auf dem richtigen Weg: „Sie blieben nur leider nach wenigen Schritten stehen.“
Die neuen Policen schützen auch Kunden von Onlineshops: Online-Einkäufer müssen in der Regel nicht nur Name und Adresse angeben, sondern auch die Bankverbindung oder Kreditkartennummer. Werden diese Daten missbraucht, hilft meist nur eine Strafanzeige. Hier tragen Cyberpolicen die Anwaltskosten. Versicherungsschutz besteht für Ehepartner oder Lebensgefährten und minderjährige Kinder sowie für volljährige Sprösslinge, die noch nicht berufstätig sind.
Vieles ist bereits versichert
Doch auch die Anbieter normaler Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherungen schlafen nicht. „Bestehende Tarife passen sich immer mehr an und bieten ein ähnliches Sicherheitsniveau“, so Bornberg. Viele Rechtsschutzversicherer hätten bereits heute fünfstellige, manche sogar sechsstellige Deckungssummen für Internetstreitigkeiten. Haftpflichtversicherer versichern auch Schäden, die etwa dann entstehen, wenn man versehentlich E-Mails weiterleitet, die mit Computerviren versehen sind und die dann ganze Rechnernetzwerke lahmlegen.
Was also sollten Kunden tun? „Zuerst sollte man sich die Frage stellen: Brauche ich den Schutz?“, sagt Katrin Bornberg. Wer oft im Netz surft oder Kinder im Haushalt hat, die häufig online sind, für den kann sich der Schutz lohnen. Doch bevor man zur Cyberpolice greift, lohnt sich ein Blick in den eigenen Versicherungsordner: Wurden Haftpflicht- oder Rechtsschutzversicherung im vergangenen Jahr abgeschlossen, sind die wichtigsten Problemfelder in Sachen Internet oft bereits mitversichert: Internet-Rechtsschutz, Haftpflicht bei Schäden durch Viren, unbeabsichtigte Verletzungen von Persönlichkeitsrechten und ohne Absicht verursachte Vermögensschäden. „Inhaber älterer Verträge, in denen Internetschäden noch nicht abgesichert sind, sollten sich an ihren Versicherer wenden und Haftpflicht und Rechtsschutz nachrüsten, indem sie in einen aktuelleren Tarif wechseln“, rät Verbraucherschützer Grieble.
„Wer dagegen keine Rechtsschutzpolice hat, sich aber trotzdem schützen will, für den kann sich eine Cyberpolice lohnen“, sagt Bornberg. Die Offerten für den Onlineschutz kosten mit rund zehn Euro Monatsprämie nur ein Drittel einer Familienrechtsschutzpolice, bieten aber eben auch nur Schutz für Fälle, die sich im Internet ereignen.