Giesecke + Devrient-Erbe: "Seit fast 170 Jahren erfinden wir uns stets neu"
Marian von Mitschke-Collande, der Nachfolger des Banknotendruckers Giesecke + Devrient über den neuen Business-Campus und die architektonische Vision einer Work-Life-Balance.
von Stefan Rullkötter, Euro am Sonntag
In München soll direkt neben der Zentrale des Sicherheitskonzerns Giesecke und Devrient (G + D) Großes entstehen. Das 1852 in Leipzig als "typographisches Kunst-Institut" gegründete und 100 Jahre später in die bayerisches Landeshauptstadt umgezogene Familienunternehmen will sein Hauptquartier weiterentwickeln.
Denn die Zeiten, zu denen der einstige Banknotendrucker die Herstellung von D-Mark-Scheinen mit der Bundesdruckerei in Berlin friedlich aufteilte, sind passé. Die Produktion neuer Euro-Banknoten muss mittlerweile europaweit ausgeschrieben werden - inklusive eines Wettbewerbs um die niedrigsten Druckkosten: Jeder Geldschein darf in der Herstellung trotz aufwendiger Sicherheitsmerkmale durchschnittlich nur noch zehn Cent ausmachen, unabhängig vom aufgedruckten Nennwert.
Auch vor diesem Hintergrund hat sich G + D bereits in den vergangenen Jahrzehnten von einer reinen Gelddruckerei zu einem Hightech-Spezialisten für Sicherheitssysteme gewandelt. Die innovative Technologie des Unternehmens soll nicht nur physisches und digitales Bezahlen schützen, sondern laut Eigenwerbung des Konzerns "auch die Konnektivität von Menschen und Maschinen, die Identität von Personen und Objekten sowie digitale Infrastrukturen und vertrauliche Daten".
Für diese hehren Ansprüche wurde der ursprüngliche G + D-Bautrakt mit alten Produktionshallen und Büros nicht mehr benötigt. Er wurde für einen neuen Business-Campus abgerissen, der auch anderen Firmen offenstehen wird. Der Grundstein dafür wurde Ende September gelegt. Mit dem Projekt hat die Gesellschafterfamilie Marian von Mitschke-Collande betraut. Der G + D-Unternehmenserbe erklärt seine dahinter stehende Vision für eine neue Arbeitswelt.
Euro am Sonntag: Mit dem Neubauprojekt "Der Bogen" gestalten Sie unmittelbar neben dem Konzernsitz von Giesecke + Devrient ein Drittel des Firmengeländes neu. Welche Philosophie ist mit diesem Namen verbunden?
Marian von Mitschke-Collande: Wir haben diesen Namen sehr bewusst gewählt. Denn es ist unser Anspruch, mit dem Neubau den perfekten Campus für die Arbeitswelt der Zukunft zu schaffen. Die Anforderungen an einen modernen Arbeitsplatz haben sich verändert. Analoge Tätigkeiten, digitales Arbeiten und sozialer Austausch vermischen sich immer stärker miteinander. Wir wollen daher sinnbildlich einen Bogen spannen zwischen diesen Welten.
Die künftigen Nutzer des Areals sollen hauptsächlich Start-ups sein oder aus der IT- und Sicherheitsbranche kommen. Wird es bei dem Projekt auch um das Thema Work-Life-Balance gehen?
Das Leben ist mehr als nur Arbeiten. Und natürlich wollen wir einen Bogen spannen zwischen diesem offenen Campus und der gewachsenen Wohnbebauung des Viertels. Als Familienunternehmen in sechster Generation ist uns ein Bekenntnis zum Standort sehr wichtig.
Was sind die wichtigsten Eckpunkte für diese Vision einer neuen Arbeitswelt?
Nach dem Abbruch des Bestandsgebäudes und dem Aushub der Baugrube haben wir im August 2021 mit den Rohbauarbeiten begonnen. Die ersten Mieter werden voraussichtlich im Frühjahr 2024 den Campus mit Leben füllen. Das Projektgrundstück hat eine Größe von rund 11.500 Quadratmetern, die ober- irdische Bruttogrundfläche beträgt insgesamt rund 42.000 Quadratmeter. Es wird also viel Raum für einen multifunktionalen Campus entstehen, der moderne Flächen für Arbeit, Kommunikation, Gastronomie, Einzelhandel und Fitness vereint. Dabei legen wir bei diesem Bauprojekt größten Wert auf ein nachhaltiges Gebäudekonzept.
Wie werden Sie dem Anspruch gerecht?
Wir verwenden natürliche Ressourcen wie selbst erzeugten Strom aus einer Photovoltaikanlage und Grundwasser, um das Gebäude zu kühlen. Das Projekt soll eine Zertifizierung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen in Gold erhalten. Die Vorzertifizierung liegt bereits vor.
Sie repräsentieren jetzt die sechste Generation eines Familienunternehmens. War im G + D-Gesellschafterkreis viel Überzeugungsarbeit nötig , um ein so großes Neubauprojekt durchzusetzen?
Wir verbinden als Familie mit dem Standort sehr viele positive Erinnerungen. Auf diesem Grundstück hat mein Großvater nach dem Zweiten Weltkrieg das unternehmerische Fundament gelegt für das heutige Unternehmen G + D. Daher war die Entscheidung, das Bestandsgebäude abzubrechen, für uns sehr emotional. Als Unternehmer müssen wir aber immer nach vorn schauen. Das spiegelt sich im Unternehmen G + D, das sich seit fast 170 Jahren stets neu erfindet. Wir wollen nicht stehen bleiben, sondern Neues voranbringen. Der Neubau ist für uns ein starkes Bekenntnis zum Standort, und aus dieser Verbundenheit heraus wollen wir, dass dort das Beste entsteht.
Woher kommt eigentlich Ihre persönliche Begeisterung für Immobilien?
Mich faszinieren Immobilien, weil sie Menschen zusammenbringen und das Alltagsleben von ganz vielen Personen positiv beeinflussen können. Im Kleinen haben wir das auch in unserem Team geschafft und innerhalb der letzten drei Jahre professionelle Projektentwicklungskompetenz aufgebaut. Ich bin sehr stolz auf diese Teamleistung. Damit schaffen wir etwas, das viele Generationen überdauern wird.
Ihr neuer Business-Campus soll Raum für rund 2.000 Arbeitsplätze bieten. Präzise Vorhersagen, wie sich die Nachfrage nach gewerblichem Büroraum bei verstärkter Homeoffice-Nutzung in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, sind schwierig. Wie sind Sie auf neue Anforderungen für die Zeit nach der Cornona-Pandemie vorbereitet?
Die Erfahrungen der vergangenen 18 Monate bestätigen das Konzept, das wir 2018 für den Standort entwickelt haben: Wir wollen eine zukunftsfähige, krisenresiliente Büroimmobilie schaffen. Wir sind, auch als Arbeitgeber, davon überzeugt, dass sich langfristig eine Kombination aus Homeoffice und Präsenz durchsetzen wird. Die Büroflächen in "Der Bogen" lassen sich schnell und flexibel umgestalten, sodass man immer wieder auf geänderte räumliche Anforderungen reagieren kann. Zudem wollen wir einen Coworking-Bereich etablieren. Die integrierten Einzelhandels- und Dienstleistungsangebote sorgen für weitere gute Argumente, den Arbeitstag in unserem Campus zu verbringen.
Wird es gegebenenfalls auch genug Flexibilität für andere Nutzungsarten in diesem Immobilienareal geben?
Wir haben für die Auslobung des Architektenwettbewerbs genau untersucht, welche Gebäudestrukturen, also Achsraster und Geschosshöhen, uns die größtmögliche Flexibilität als Gewerbeimmobilie bieten, aber auch im Hinblick auf den Lebenszyklus darüber hinaus. Die Flexibilität ist in unserem Mixed-Use-Konzept bereits fest verankert.
Dass G + D hat als international tätiger Sicherheitskonzern hohe Überwachungsanforderungen an seinem Firmensitz hat, bekommt jeder Besucher zu spüren. Wie soll die Nachbarschaft mit Start-ups, Einzelhandel und Fitnessstudio praktisch funktionieren?
"Der Bogen" ist von außen für jedermann zugänglich, da er sich außerhalb des Sicherheitsbereichs der G + D-Firmenzentrale befindet. Das ist ein zentraler Punkt unseres Konzepts. Die Freiflächen, Wegeverbindungen aus allen Richtungen sowie alle Angebote im Erdgeschoss sind als Raum des Austauschs und der Kollaboration gedacht - für Mieter genauso wie für Anwohner. Gerade diese Offenheit und die Aufenthaltsqualität waren uns bei der Konzeption wichtig. Deshalb legen wir großen Wert auf einen optimalen Dreiklang aus Architektur, Interior Design und Landschaftsarchitektur.
Sie habe als Ziel ausgegeben, an dieser Stelle "keine Nine-to-Five"-Gewerbe- immobilie zu errichten. Welche Aktivitäten sollen nach den üblichen Büroschlusszeiten und an Wochenenden auf dem Gelände stattfinden?
Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt. In "Der Bogen" lassen sich Arbeit und Freizeit deshalb wunderbar miteinander verbinden. In der Mittagspause können Sie ein kurzes Training im Fitnessstudio einlegen, nach Feierabend noch zum Einkaufen gehen oder mit Ihren Kolleginnen und Kollegen auf einen Drink in die Bar. Die Kantine lässt sich außerhalb der Mittagszeit als Eventspace nutzen, zum Beispiel für Firmenfeiern oder Afterworks. Und die begrünte Freifläche im Norden erweitert quasi die Gartenanlage der benachbarten Wohnbebauung.
Ursprünglich hätte hier eine andere Architektur mit bis zu 60 Meter hohen Gebäuden zum Zug kommen sollen. Setzen Sie mit dem Projekt dennoch einen neuen städtebaulichen Akzent in der bayerischen Landeshauptstadt?
Wir haben uns mit diesem Entwurf bewusst für ein Gebäude entschieden, das sich gut in die Umgebung eingliedert, aber trotzdem eine besondere Note hinzufügt. "Der Bogen" setzt mit seiner Architektur einen klaren Akzent, fügt sich aber dennoch gut in die Umgebung und in die Nachbarschaft zur G + D-Zentrale ein.
Also auch ein Mehrwert für das Viertel?
Die markante Gebäudekubatur entwickelt sich städtebaulich aus der umgebenden Blockrandbebauung und nimmt deren Höhenstaffelung auf. Die Rück-sprünge und großflächige Verglasung der Erdgeschosszone bewirken eine Öffnung in alle Richtungen, die den Standort deutlich aufwertet.
Das Bauareal im Osten der bayerischen Metropole wird von Münchnern und Berufspendlern vor allem als eine große Verkehrsfläche und Beginn einer Autobahn wahrgenommen. Werden auch Anwohner in puncto Lebens- qualität von dem Projekt profitieren?
Am Vogelweideplatz hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. G + D hat sich als Unternehmen zunehmend nach außen geöffnet; die angrenzenden Bavaria Towers werten den Standort ebenfalls auf. Außerdem hätte es Gegenwind aus der Nachbarschaft gegeben, wenn noch höhere Gebäude gebaut worden wären. Nicht zuletzt spielt es eine Rolle, dass uns als Familienunternehmen das Dezente besser gefällt.
Gibt es hier auch Berührungspunkte zu ihrer eigenen Unternehmenstradition?
Als Eigentümerfamilie liegt uns der Standort besonders am Herzen - und wir sind überzeugt, dass wir mit unserem Projekt zu einer noch höheren Lebensqualität beitragen. Deshalb stehen die Innenhöfe und begrünten Freiflächen allen Anwohnern offen und verbessern die Freizeitangebote im Quartier. Zusätzlich bieten Supermarkt, Fitnessstudio, Gastronomie sowie weitere Einzelhandels- und Dienstleistungsangebote einen deutlichen Mehrwert für die Nachbarschaft.
Welches Leitlinien verfolgen Sie bei der Innenarchitektur des Gebäudes?
Für das Interior Design konnten wir den vielfach ausgezeichneten Architekten und Designer Matteo Thun aus Mailand gewinnen. Dessen konzeptionelle Grundidee "High Tech meets High Touch" soll mitten im digitalen Arbeitsumfeld die Natur nach dem Vorbild bayerischer Landschaften sinnlich erfahrbar machen.
Wie soll dieses architektonische Konzept in der Praxis umgesetzt werden?
Berge, Seen, Wiesen und Wälder liefern die Leitmotive für die Gestaltung der vier Bürofoyers und der jeweils angrenzenden Treppenhäuser. Harmonische, dezente Farben unterstreichen die natürlichen, haptischen Materialien und organischen Formen. Auch das Lichtkonzept wurde darauf abgestimmt. Die Natur wird also nicht nur auf den Freiflächen, sondern auch im Gebäude eine zentrale Rolle spielen.
Ende September wurde der Grundstein gelegt. Wann soll das neue Areal vollständig in Betrieb genommen werden?
Der Rohbau des Gebäudes wird im Frühjahr 2023 fertiggestellt, danach beginnt der Innenausbau der Büroflächen parallel zum Schließen der Fassade. Die Gesamtfertigstellung und Inbetriebnahme ist im Frühjahr 2024 geplant.
Sind Sie zuversichtlich, trotz einer deutschlandweit verbreiteten Knappheit an Baumaterialien, an der sich so schnell nichts ändern dürfte - und auch trotz des Fachkräftemangels am Bau hierzulande - pünktlich mit dem neuen Business-Campus fertig zu werden?
Gute Planung ist alles - und da hat unser Team tolle Arbeit geleistet. Bei unserem Vertragsabschluss mit dem Generalunternehmer wurden bereits verschiedene Vorverträge mit dessen Lieferanten für Materiallieferungen wie Stahl, Rohrleitungen und Dämmung geschlossen, sodass wir hier so weit möglich vorbereitet sind.
Stimmt Sie sonst noch ein Umstand optimistisch, dass Sie den ambitionierten Zeitplan tatsächlich einhalten können?
Es gibt noch einen ganz speziellen weiteren Pluspunkt: Wir konnten den Vogelweideplatz für unsere Baustelleneinrichtung anmieten. Dort steht ausreichend Lagerfläche für frühzeitige Materiallieferungen zur Verfügung. Zudem arbeiten wir mit gut vernetzten mittelständischen Unternehmen zusammen, die auf hervorragende Fachkräfte aus ganz unterschiedlichen Disziplinen zurückgreifen können. Auch aus diesem Grund sind wir zum aktuellen Zeitpunkt sehr optimistisch, den Bau pünktlich fertigstellen zu können.
Vita:
Bewahrer und Entwickler
Marian von Mitschke-Collande (42) ist Gesellschafter der sechsten Generation beim Technologiekonzern Giesecke + Devrient (G + D). Seit 2009 ist er für das Familienunternehmen in verschiedenen Management- Funktionen im In- und Ausland tätig. Derzeit leitet er als Geschäftsführer die G + D Immobilien Management, die am Stammsitz in München einen neuen Gewerbepark als Digital-Campus entwickelt. Vor seinem Eintritt bei G + D sammelte er berufliche Erfahrungen bei der Allianz in Singapur und Visa Europe in London.
Die Historie:
Von Papiergeld zu Hightech
Giesecke + Devrient (G + D) ist ein weltweit tätiger Konzern für Sicherheitstechnologie mit Hauptsitz in München. Die Firma wurde 1852 in Leipzig gegründet. Im Geschäftsjahr 2020 erwirtschaftete das Familienunternehmen mit 11.500 Mitarbeitern 2,31 Milliarden Euro Umsatz. G + D ist derzeit mit 74 Tochtergesellschaften und Gemeinschaftsunternehmen in 32 Ländern aktiv.
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Bildquellen: Amelie Heinz/Giesecke+Devrient