Versicherungen: Unter Verdacht
Wer häufig einen Versicherungsschaden hat, wandert auf die schwarze Liste der Assekuranzen - und riskiert seinen Schutz. Wissen, was andere über einen wissen.
von Claudia Marwede-Dengg, Euro am Sonntag
Das Leben der anderen interessiert nicht nur Geheimdienste. Diejenigen, in deren Schutz man sich begeben will, um etwa finanzielle Risiken in Folge von Unfällen, Prozessen oder Berufsunfähigkeit abzusichern, interessiert vor allem, ob die Schadensbilanz sauber ist.
Jeder, der eine Versicherung abschließt, gibt damit automatisch seine Zustimmung zum Datenaustausch. Im Kleingedruckten einer Direktversicherung im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge heißt es etwa: „Der Versicherer und andere Versicherungen fragen Daten im Rahmen der Risiko- und Leistungsprüfung aus dem HIS ab.“
Hinter dem Kürzel HIS verbirgt sich das Hinweis- und Informationssystem der deutschen Versicherer. Diese Auskunftei betreibt die Informa Insurance Risk and Fraud Prevention in Baden-Baden, eine Tochter des Bertelsmann-Zweigs Arvato.
Sie kann manch einem, der beispielsweise einen Antrag für eine Berufsunfähigkeitsversicherung stellt oder seine Kfz-Versicherung wechseln will, unter Umständen zum Verhängnis werden. Vordergründig geht es darum, auffällige Versicherte aufzuspüren und Betrug einzudämmen. Doch der Abschirmdienst der Assekuranzen funktioniert wie die Schufa. So wie ein Negativ-Eintrag dort zu Risikoaufschlägen bei Kreditzinsen führt, können Einträge im HIS zu einer höheren Prämienkalkulation führen. Im Einzelfall könne der Antrag laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auch abgelehnt werden.
Eintrag führt zu höheren Prämien
Die Kriterien für einen Eintrag in die HIS-Datei sind abhängig von der Versicherungssparte. In der Privathaftpflicht-, Hausrat- und Wohngebäudeversicherung werden diejenigen aufgelistet, die innerhalb von zwei Jahren drei Schäden melden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Schaden finanziell abgegolten wurde oder nicht.
Auch eifrige Sparer in Sachen Altersvorsorge können auf die schwarze Liste kommen. Zum Beispiel diejenigen, die sich mit einer Rente von mindestens 9.000 Euro pro Jahr gegen Berufsunfähigkeit (BU) abgesichert haben und zusätzlich einen Antrag bei einer zweiten Versicherung stellen.
Lebensversicherungen mit einer Versicherungssumme von 100.000 Euro und höher führen ebenfalls zu einem Eintrag. Das Gleiche gilt für Versicherte mit gefährlichen Berufen oder Hobbys wie Fallschirmspringen sowie mit Vorerkrankungen. In der Rechtsschutz- wie in der Kfz-Versicherung wird es ab vier Schäden pro Jahr ernst. Bei der Autoversicherung wird außerdem jeder Totalschaden und jeder Fahrzeugdiebstahl erfasst. Gespeichert wird auch, wer, gestützt auf ein Sachverständigengutachten, hohen Schadenersatz fordert.
„Derzeit sind 3,6 Millionen Einträge gespeichert“, erläutert Björn Hinrichs, Geschäftsführer der Informa Insurance Risk and Fraud Prevention. 1,5 Millionen beziehen sich auf Personen und 2,1 Millionen auf Kraftfahrzeuge. „Jährlich erfolgt rund eine Million Einmeldungen in das Hinweis- und Informationssystem“, sagt Hinrichs. „Demgegenüber stehen die Löschungen nach Ablauf der regelmäßigen Frist für die Speicherung im HIS, die nach dem Bundesdatenschutzgesetz grundsätzlich vier Kalenderjahre beträgt.“
Daten- und Versicherungsschutz
Lange wussten Versicherte gar nichts von ihren Einträgen in der Auskunftei. Erst seit dem 1. April 2011 informieren die Assekuranzen von sich aus ihre Kunden, wenn diese dort gespeichert werden. Außerdem können Versicherte einmal pro Jahr kostenlos Auskunft darüber verlangen, welche Daten zu ihrer Person erfasst sind (siehe unten). Stellen sie dabei fest, dass sie zu Unrecht in der Datenbank gelistet sind, können sie die Löschung ihrer Daten verlangen.
„Wir erhalten circa 7.500 Selbstauskunftsanfragen pro Jahr“, sagt Informa-Geschäftsführer Hinrichs. Diese würden üblicherweise innerhalb von ein bis zwei Werktagen bearbeitet. Die Anzahl der — überwiegend aus Kulanzgründen — erfolgten Löschungen liege dagegen „im einstelligen Bereich“.
„Durch die Auskunftspflicht von HIS hat sich unser schärfster Kritikpunkt, dass der Verbraucher nicht zu wissen bekommt, was genau über ihn gespeichert ist, erübrigt“, betont Bianca Boss vom Bund der Versicherten (BdV). Falsche Angaben, die eventuell sogar dazu führten, dass Verbraucher wichtige Versicherungen nicht mehr bekommen, könnten so hoffentlich aus dem System entfernt werden beziehungsweise tauchen dort gar nicht auf. „Das System wird dann hoffentlich nur noch dafür genutzt, wirkliche Versicherungsbetrüger aufzudecken“, sagt Boss.
Doch das ist Wunschdenken. Denn nach wie vor beziffern Kriminalitätsexperten des GDV, dass rund zehn Prozent des gesamten Schadensaufkommens in Höhe von jährlich 40 Milliarden Euro fingiert sind.
Keine Einträge in die HIS-Datei finden sich hingegen zur Sparte der privaten Krankenversicherung. „Stattdessen nutzen wir das Instrument der Versichertenumfrage, um den konkreten Verdacht auf Obliegenheitsverletzungen, Doppelversicherungen und betrügerische Handlungen zu klären“, sagt Nina Schultes vom Verband der Privaten Krankenversicherung. Eine Speicherung der Daten erfolge nicht. „Führt eine Anfrage zu einem Treffer, kann das angefragte Versicherungsunternehmen mit dem anfragenden Versicherer in Kontakt treten. Daten, die zu keinem Treffer führen, werden von den teilnehmenden Unternehmen gelöscht“, beruhigt Schultes.
Selbstauskunft:
Wissen, was andere über einen wissen
Wer wissen will, was alles im Hinweissystem gespeichert ist, kann einmal pro Jahr eine
kostenlose Selbstauskunft schriftlich bei der
Informa Insurance Risk
and Fraud Prevention
Abteilung Datenschutz
Rheinstraße 99
76532 Baden-Baden
anfordern. Bei der Autoversicherung sollte man die Fahrzeug-Identifikationsnummer, Kennzeichen, Datum der Erstzulassung angeben und eine Fahrzeugscheinkopie beifügen.