Demografische Zeitenwende
Innerhalb von nur 100 Jahren hat sich die Weltbevölkerungauf 7 Milliarden Menschen vervierfacht.
Weltbevölkerung übersteigt 7 Milliarden
Im Herbst dieses Jahres wird der 7-milliardste Erdenbürger geboren werden. Noch nie zuvor haben so viele Menschen gleichzeitig auf unserem Planeten gelebt. Innerhalb von nur 100 Jahren hat sich damit die Weltbevölkerung nicht zuletzt dank der Verbesserung der Ernährungslage und der hygienischen Standards von 1,65 Milliarden Menschen auf nun 7 Milliarden vervierfacht. Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass zuvor zwischen dem Überschreiten der 500-Millionen-Marke um das Jahr 1500 und der Verdoppelung auf 1 Milliarde Menschen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr als 300 Jahre vergingen.
Der Großteil der Weltbevölkerung lebt in wirtschaftlichen Schwellenländern
Die meisten Menschen leben in Asien. Der Kontinent zählt laut Angaben der UN in diesem Jahr rund 4,2 Milliarden Bewohner; davon leben mehr als die Hälfte in China (1,3 Milliarden Menschen) und in Indien (1,2 Milliarden Menschen). An zweiter und an dritter Stelle stehen Afrika mit einer Bevölkerung von gegenwärtig rund 1 Milliarde und Lateinamerika mit rund 600 Millionen Menschen. Drei Viertel der Menschheit leben somit in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern. Europas Bedeutung ist aus demografischer Sicht in den letzten 100 Jahren hingegen deutlich geschrumpft; nur noch jeder zehnte Erdbewohner lebt heute auf dem alten Kontinent, vor rund 100 Jahren war es noch jeder vierte. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der 7-milliardste Erdenbürger in einem der Schwellenländer geboren wird, relativ hoch. So dürften nach Schätzungen der UN allein in Indien dieses Jahr rund 26,5 Millionen und in China 18,6 Millionen Kinder auf die Welt kommen; in der Europäischen Union hingegen insgesamt nur 4,4 Millionen.
Auf absehbare Zeit wird die Weltbevölkerung also weiter wachsen. Schon Mitte des nächsten Jahrzehnts werden wir laut Voraussagen der UN den 8-milliardsten Erdenbürger begrüßen dürfen, danach dürfte es dann aber 18 Jahre dauern, bis die nächste Milliardengrenze erreicht ist. Gegen Ende des Jahrhunderts, um 2082, werden aller Voraussicht nach mehr als 10 Milliarden Menschen auf unserem Planeten leben – und damit doppelt so viele wie 1986. Die größer werdenden Zeitabstände veranschaulichen einen seit einigen Jahren zu beobachtenden Trend: Die Wachstumsrate der Weltbevölkerung ist rückläufig; seit dem Höchststand von 2,1 % im Jahr 1968 ist sie auf 1,1 % im letzten Jahr gesunken.
Regional betrachtet gibt es mit Blick auf die Bevölkerungsdynamik jedoch deutliche Unterschiede: Während sich die Bevölkerung in Afrika bis Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich mehr als verdoppeln wird und Asien um 2050 rund 1 Milliarde Menschen mehr zählen dürfte, wird sie in Europa langfristig zurückgehen. In den USA hingegen dürfte die Bevölkerung weiterhin auf dann gut 403 Millionen Einwohner ansteigen.
Sinkende Geburtenraten führen zu rückläufigem Bevölkerungswachstum
Ursache hierfür ist vor allem die Entwicklung der Geburtenraten: Im weltweiten Durchschnitt hat sich die Geburtenrate in den letzten 60 Jahren von durchschnittlich 5,0 Kindern pro Frau auf 2,5 halbiert. Die Tatsache, dass es dabei erhebliche regionale Unterschiede gibt, ist hinlänglich bekannt. Die höchsten Geburtenraten werden nach wie vor in Afrika verzeichnet; heute bringt dort eine Frau im Schnitt 4,4 Kinder zur Welt. In Europa, dem Kontinent mit den derzeit niedrigsten Geburtenraten weltweit, ist die durchschnittliche Geburtenrate hingegen auf nur noch 1,6 Kinder pro Frau gesunken und liegt seit 1975 sogar unter der für den Erhalt einer Population notwendigen Rate von 2,1. Die stärksten Rückgänge verzeichneten – nicht zuletzt aufgrund der Ein-Kind-Politik Chinas – Asien und Lateinamerika, wo die Geburtenraten im selben Zeitraum von 6,0 bzw. 5,8 auf 2,2 und 2,3 Kinder pro Frau gefallen sind.
Welche Einflussfaktoren im Einzelnen für das Geburtenverhalten in einer Bevölkerung maßgeblich sind, ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Die Erklärungen sind vielfältig und die Umkehr der Entwicklung ist schwierig, wie die nur von mäßigem Erfolg gekrönten Maßnahmen der deutschen Bundesregierung zur Erhöhung der Geburtenraten zeigen. Fest steht, dass die durchschnittliche Kinderzahl mit der Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards und dem steigenden Bildungsniveau der Frauen sinkt. Dazu genügen ein Blick in die Geschichte und der Vergleich der Geburtenraten in verschiedenen afrikanischen Ländern, auch wenn die Ausgangssituationen verschieden sind: So wird manchem hierzulande noch in Erinnerung sein, dass Großmutter oder Großvater aus kinderreichen Familien stammen; denn um 1900 lag die durchschnittliche Geburtenrate pro Frau in Deutschland noch bei 4,2 Kindern und 1935 bei 2,2. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs stieg sie bis Mitte der Neunzehnhundertsechzigerjahre wieder auf 2,6 Kinder an, seitdem ist sie jedoch rückläufig und liegt seit 1970 unterhalb des Reproduktionsfaktors von 2,1. Welche Rolle dabei die verbesserten Bildungsmöglichkeiten von Frauen gespielt haben dürften, zeigt ein Blick in das Afrika von heute: So liegt zum Beispiel die durchschnittliche Geburtenrate im Tschad, wo nur gut 20 % der Frauen lesen und schreiben können, bei 6,3 Kindern, während eine Frau in Südafrika, wo die Alphabetisierungsquote von Frauen knapp 90 % beträgt, im Schnitt nur 2,5 Kinder bekommt.
Damit korrespondiert auch die Tatsache, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen allgemeinem Wohlstandsniveau und der durchschnittlichen Geburtenrate gibt: Offensichtlich gilt, je höher der Lebensstandard einer Gesellschaft, desto niedriger die Zahl der Kinder. So hat laut UN Niger, das mit einem durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 287 Euro pro Kopf im Jahr 2010 zu den 10 ärmsten Ländern der Welt zählte, die höchste Geburtenrate weltweit: Eine Frau bringt dort im Durchschnitt 7,0 Kinder zur Welt. In Luxemburg hingegen, laut IWF-Statistik mit 82.020 Euro das Land mit dem weltweit höchsten BIP pro Kopf, lag die durchschnittliche Geburtenrate 2010 bei nur 1,7 Kindern. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Geburtenraten im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung bei steigendem Wohlstand auch in den Schwellenländern künftig weiter zurückgehen werden.
Die Weltbevölkerung altert in doppelter Hinsicht
Die Auswirkungen des Rückgangs der Geburtenraten auf die Entwicklung der Gesamtbevölkerung wird allerdings durch den Anstieg der Lebenserwartung gedämpft. Seit 1950 hat die weltweite durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt um 4,6 Monate pro Jahr von 45,4 auf 68,2 Jahre zugenommen. Höhere Lebensstandards, verbesserte hygienische Bedingungen und medizinischer Fortschritt haben maßgeblich dazu beigetragen. Am stärksten fiel der Anstieg der Lebenserwartung in Asien aus, wo sie in den letzten 60 Jahren um knapp 30 Jahre von 39,9 Jahren auf 69,6 Jahre zugenommen hat.
Mit einem Plus von 11 gewonnenen Jahren fiel der Anstieg in besagtem Zeitraum in Europa und Nordamerika weitaus schwächer aus. Der langsamere Zuwachs begann hier jedoch von einem weitaus höheren Niveau: Im Jahr 1950 hatte der durchschnittliche Europäer bereits eine Lebenserwartung von 64,5 Jahren bei Geburt. Denn einen ähnlich großen Sprung in puncto Lebenserwartung wie die Asiaten hatten die Europäer bereits in den Jahrzehnten zuvor gemacht: In Deutschland zum Beispiel lag die durchschnittliche Lebenserwartung eines Jungen bei Geburt um 1900 noch bei 44,8 Jahren, die eines Mädchens bei 48,3 Jahren. 1950 betrug sie dann bereits 64,6 bzw. 68,5 Jahre7. Ein Baby, das heute geboren wird, hat als Junge eine durchschnittliche Lebenserwartung von 77,3 und als Mädchen eine von 82,5 Jahren.
Wenn auch die Annahmen über die Auswirkungen des sich wandelnden Lebensstils auf die Lebenserwartung auseinandergehen und die Frage, ob es eine absolute Obergrenze für die menschliche Lebenserwartung gibt, nach wie vor ungeklärt ist, sind sich die Demografen darin einig, dass die durchschnittliche Lebenserwartung weiter ansteigen wird. In 30 Jahren dürfte die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen weltweit bei 75 Jahren liegen, wobei es aufgrund des unterschiedlichen Entwicklungsstands der Länder nach wie vor deutliche Unterschiede geben wird: So dürfte zum Beispiel ein Neugeborenes in Deutschland eine Lebenserwartung von über 84 Jahren haben, in Japan dürfte sie bei 87 Jahren, in Brasilien bei 79 Jahren und in Nigeria bei 64 Jahren liegen. Während dieser Anstieg in den Entwicklungsländern vor allem dem Rückgang der Kindersterblichkeit geschuldet sein wird, wird in den Industrieländern und in den meisten Schwellenländern die Zunahme der Lebenserwartung in höheren Altern der Treiber sein.
Lag die durchschnittliche fernere Lebenserwartung bei Renteneintritt im Alter von 65 zum Beispiel in Japan 1950 noch bei 11 Jahren, beträgt sie heute knapp 22 Jahre. Bis Mitte des Jahrhunderts dürfte sie auf 24 Jahre angestiegen sein. In der Schweiz dürfte sie dann bei 23,7 und in Deutschland bei knapp 22 Jahren liegen. Auch in den heutigen Schwellenländern wie Südkorea oder China wird der dritte Lebensabschnitt länger werden: In Südkorea dürfte die fernere Lebenserwartung im Alter von 65 um 2050 bei 21,6 Jahren und in China bei 18,7 Jahren liegen.
Weltweit wird sich die Zahl der Über-65-Jährigen dadurch bis 2050 nahezu verdreifachen und von gegenwärtig rund 530 Millionen auf 1,5 Milliarden ansteigen. Davon werden allein in China 330 Millionen leben, das damit mehr Einwohner im Rentenalter haben wird als ganz Europa zusammen, welches dann voraussichtlich 193 Millionen Über-65-Jährige zählen wird. Darüber hinaus werden weltweit 402 Millionen dieser Über-65-Jährigen zu den Hochbetagten zählen, d. h. 80 Jahre und älter sein11. Letztlich altert die Weltbevölkerung damit doppelt: Zum einen sinken die Geburtenraten und damit die Zahl der Neugeborenen, wodurch die Gesellschaft als Ganzes altert, und zum anderen wird der Einzelne immer älter.
Die Bevölkerungspyramiden beginnen Kopf zu stehen
Bildlich gesprochen verwandelt sich die Alterspyramide der Weltbevölkerung damit immer mehr zu einer Bevölkerungsglocke, die für eine zwar noch wachsende, aber alternde Gesellschaft steht. In vielen Industrieländern, wo die Geburtenraten seit Jahrzehnten unterhalb der Reproduktionsrate von 2,1 Kindern pro Frau liegen, wird dieses Bild in den nächsten Jahrzehnten mehr und mehr einer Urne gleichen, da hier die Bevölkerung nicht nur altert, sondern auch schrumpft. Exemplarisch hierfür stehen Japan, das bereits heute die älteste Bevölkerung der Welt hat und seit einigen Jahren rückläufige Bevölkerungszahlen aufweist, und Italien, das in Europa zu den Ländern mit den niedrigsten Geburtenraten zählt.
Damit stellt sich immer mehr die Frage, wie wir in einer zunehmend alternden Gesellschaft leben werden. Mit an oberster Stelle steht dabei ganz profan die Frage nach der künftigen Finanzierung des dritten Lebensabschnitts. Dies gilt insbesondere für Länder mit einem umlagefinanzierten Sozialsystem, in dem die jüngeren Generationen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren die Renten und die Gesundheitsausgaben der älteren Generation durch laufende Beiträge finanzieren. Auch wenn erwiesenermaßen die Zahl der in Gesundheit verbrachten Lebensjahre in der Vergangenheit ebenfalls zugenommen hat, sind in den Industrieländern heute die wenigsten über der Altersgrenze von 65 oder 68 erwerbstätig. Je mehr sich die Relation von Personen im Rentenalter zu denen im erwerbsfähigen Alter jedoch verschlechtert, desto schwieriger wird die Finanzierung über einen impliziten Generationenvertrag. Dies gilt übrigens nicht nur für staatliche Systeme, sondern auch für die informelle Unterstützung durch Familienangehörige. Vor diesem Hintergrund stellt die Alterung der Bevölkerung auch in Schwellenländern wie China eine Herausforderung dar, da einerseits tradierte Familienstrukturen mehr und mehr wegbrechen – in China spricht man in Folge der Ein-Kind-Politik bereits vom 1-2-4-Problem, d. h., auf 1 (Einzel) Kind kommen 2 Eltern und 4 Großeltern –, während andererseits die staatlichen Systeme noch nicht in ausreichendem Maße etabliert sind und die Einzelnen nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um privat vorzusorgen.
Dass der demografische Wandel nicht nur ein Phänomen und eine Herausforderung in den Industrieländern ist, veranschaulicht die Entwicklung der Altersquotienten in den verschiedenen Weltregionen. Aufgrund des starken Rückgangs der Geburtenraten in Asien und Lateinamerika in den letzten Jahrzehnten wird die Bevölkerung dort künftig weitaus rascher altern als in Europa oder Nordamerika. Bis Mitte des Jahrhunderts wird sich der Altersquotient in diesen Regionen nahezu verdreifacht haben, d. h., dass in Asien und Lateinamerika künftig knapp 30 Über-65-Jährige auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter kommen werden. Vor diesem Hintergrund stehen die politisch Verantwortlichen in vielen Schwellenländern nun vor der Aufgabe, innerhalb weniger Jahre ein tragfähiges Sozialsystem aufzubauen, das in absehbarer Zeit auch einer alternden Gesellschaft gerecht wird. In den meisten EU-Staaten haben die Regierungen in den letzten Jahren bereits auf die demografischen Herausforderungen reagiert und Rentenreformen auf den Weg gebracht, deren Kern eine Verringerung des umlagefinanzierten staatlichen Leistungsniveaus und ein Ausbau der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge ist.
Dr. Michaela Grimm
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