S&P Fokus Finanzmarkt

Überalterung bedroht Wirtschaftswachstum und die Kreditwürdigkeit Deutschlands

11.06.14 14:50 Uhr

Deutschlands Wirtschaft zeigt sich robust, die Staatsfinanzen scheinen relativ solide und S&P bestätigte erst im Januar diesen Jahres das AAA-Rating für die Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik.

Heißt es jetzt also haushaltspolitisch zu entspannen? Dass es wohl nicht ewig so weitergehen wird, ahnt auch jeder. Eine wichtige Frage rückt dabei gern in den Hintergrund, wenn es um die langfristige Finanzierbarkeit von Rente, Pflege und anderen Aufgaben des Staates geht: Wie wird sich die Alterung der Gesellschaft auf die Gesundheit der öffentlichen Finanzen und damit beispielsweise auf die Stabilität und Zuverlässigkeit unserer Sozialsysteme auswirken?

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Standard & Poor’s veröffentlicht seit 2002 in regelmäßigen Abständen langfristige Simulationen über den Zeitraum bis 2050, welche die Auswirkungen der Alterung der Gesellschaft in fünfzig Nationen weltweit aufzeigt. In Deutschland kommt auf etwa drei Personen im berufstätigen Alter (15-64 Jahre) ein Bürger im Rentenalter. Dies war unter den untersuchten Staaten weltweit der zweitungünstigste Wert (nach Japan). Dieses Verhältnis wird sich bis 2050 dramatisch verschlechtern, die Zahl der Älteren wird dann 58 Prozent der Zahl der Jüngeren ausmachen. Die mit einem solch tiefschneidenden Alterungsprozess verbundenen finanzpolitischen Herausforderungen sind klar: der Staat bedarf langfristig ausreichend öffentlicher Mittel für gesetzliche Renten, Gesundheitsfürsorge sowie Pflege. Gleichzeitig schrumpft die Anzahl der Beschäftigten und der gearbeiteten Stunden insgesamt, was das jährliche Wachstumspotential der deutschen Wirtschaft gegen Null tendieren lässt. Auch bei Vollbeschäftigung würde dies rückläufige Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben nach sich ziehen.

Die Herausforderungen sind also gewaltig und gleichzeitig vorhersehbar. Falls Politik und Gesellschaft keine Reformen zugunsten der Nach¬haltigkeit der Staatsfinanzen auf den Weg bringen, wird die Schuldenlast des Staates von derzeit ungefähr 80 Prozent des BIP auf 195 Prozent in 2050 ansteigen. Zum Vergleich: Die für 2014 geschätzte Verschuldung Griechenlands liegt bei 179 Prozent.

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Nach unserer Simulation würde das Rating der Bundesrepublik gemäss unseren Ratingkriterien von der Bestnote AAA bis 2040 in die BBB-Kategorie abfallen. Das läge zwar noch im "Investment-Grade"-Bereich, aber wäre scharf an der Grenze zum spekulativen Bereich.

Zum Glück: Deutschland befindet sich in einer vergleichsweise günstigen Ausgangslage. Die robuste Wirtschaft und Staatsfinanzen erlauben jetzt einen entschiedenen Reformkurs, der die verfügbaren Gestaltungsräume nutzt. Nach Berechnungen von S&P könnten strukturelle Reformen mit Hinblick auf die Deckelung der altersbezogenen öffentlichen Ausgaben besonders wirkungsvoll sein. Die breite parlamentarische Mehrheit der Koalition ist außerdem in einer guten Ausgangsposition, um gesellschaftlich transformatorische Prozesse in die Wege zu leiten. Wenn erst die geburtenstarken Jahrgänge (in Deutschland zwischen 1955 und 1969) dem Rentenalter in den nächsten fünf bis zehn Jahren nahe kommen, dann kann es für ein effektives und sozialverträgliches Gegensteuern zu spät sein. Von Moritz Kraemer, Chief Rating Officer, Standard & Poor’s Ratings Services Frankfurt

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Quelle: Report Global Aging 2013: Rising to the Challenge, Standard & Poor’s Ratings Services, März 2013

Quelle: Report Global Aging 2013: Rising to the Challenge, Standard & Poor’s Ratings Services, März 2013

Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Credit Rating Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de



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