Schlamperei im Steuerrecht
Derivate: Durch einen Fehler im Gesetz müssten Gewinne aus Optionsscheinen steuerfrei sein. Nur der Fiskus will das nicht wahrhaben. Die Chancen für Kläger stehen gut.
von Stephan Haberer, Euro am Sonntag
Spätestens seit die Fußballikone Uli Hoeneß über Schwarzgeld in der Schweiz gestolpert ist, wollen Politiker die Steueroasen öffentlichkeitswirksam austrocknen. Doch wer nur ins Ausland schaut, übersieht schnell mal die Steueroasen vor der eigenen Haustür. Konkret geht es um ein Schlupfloch im deutschen Steuerrecht. Denn der Gesetzgeber hat bei einem Paragrafen im Einkommensteuergesetz offenbar so geschlampt, dass Optionsscheine und Vollrisikozertifikate ein regelrechtes Steuerparadies sein könnten. Selbst der Bundesfinanzhof (BFH) scheint inzwischen zu zweifeln, ob es rechtens ist, Geschäfte mit diesen Derivaten zu besteuern. Nur der Fiskus wehrt sich noch und will weiterhin kassieren, obwohl die rechtliche Grundlage mehr als dünn ist.
Im Kern geht es um Paragraf 20 Absatz 2 Nummer 3 des Einkommensteuergesetzes. Dort heißt es in der seit 2009 gültigen Fassung: „Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch der Gewinn a) bei Termingeschäften, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt; b) aus der Veräußerung eines als Termingeschäft ausgestalteten Finanzinstruments.“
Das Problem: „Viele dieser Geschäfte sind überhaupt keine Termin-, sondern Kassageschäfte, die durch eine sofortige Erfüllung Zug um Zug geprägt sind“, sagt Rolfjosef Hamacher, Geschäftsführer der Beratungsgruppe Axis. Heißt: Der Anleger zahlt den Kaufpreis für einen Optionsschein oder ein Zertifikat, erhält dann das Papier eingebucht und das vereinbarte Recht eingeräumt. Dieses kann er dann ausüben — oder auch nicht. Beim Termingeschäft hingegen vereinbaren die Parteien einen Deal in der Zukunft, ohne dass bei Geschäftsabschluss der vereinbarte Kaufpreis fließt.
„Eine Besteuerungsruine“ Steuerfachanwalt Hamacher kommt in einem Gutachten für den Deutschen Derivate Verband (DDV) zu dem Schluss: „Diese Vorschrift stellt eine Besteuerungsruine dar. Kassageschäfte werden von den einschlägigen Bestimmungen des Paragrafen 20 Einkommensteuergesetz überhaupt nicht erfasst. Insbesondere der sehr bedeutsame Bereich der Optionsscheine unterliegt nicht mehr der Besteuerung.“ Auch bei vielen Zertifikaten gäbe es keine Basis, um Steuern zu erheben.
Richter zweifeln
Hamacher und der DDV stehen mit ihrer Sicht nicht allein. Viele Verbände der Finanzbranche sehen das ähnlich. Und sogar die Richter am BFH schreiben in einem Urteil zur Besteuerung von Knock-out-Zertifikaten vom 24. April 2012: „Es ist schon zweifelhaft, ob die Knock-out-Zertifikate überhaupt als Termingeschäfte zu besteuern sind (Az. IX B 154/10).“ Diese Sicht vertraten die obersten Finanzrichter auch in einem Urteil vom 26. September 2012 (Az. IX R 50/09).
Für das Bundesministerium der Finanzen (BMF) sind die fraglichen Geschäfte hingegen ganz klar Termingeschäfte: „Gemäß BMF-Schreiben vom 9. Oktober 2012 (Az. IV C 1 — S 2252/10/10013) fällt auch der Optionsschein in der Form eines in einem Wertpapier verbrieften Optionsrechts unter den Begriff des Termingeschäfts“, erklärt ein BMF-Sprecher. Und weiter: „Es ist nicht bekannt, dass der BFH Optionsscheine nicht unter den Begriff der Option und damit des Termingeschäfts einordnet.“
Experte Hamacher ist sich sicher, dass der Gesetzgeber da vor langer Zeit etwas missverstanden hat: „Bei der Formulierung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 war man offenbar der Auffassung, dass der Begriff des Termingeschäfts umfassender sei als der des Börsentermingeschäfts. In Wirklichkeit ist es jedoch umgekehrt.“ Denn zu den Börsen- oder Finanztermingeschäften zählt der Gesetzgeber im Wertpapierhandelsgesetz auch Kassageschäfte, die durchaus gefährlich sein können. Hintergedanke: Diese (Kassa-)Geschäfte sollten genauso behandelt werden wie ähnlich riskante Termingeschäfte.
Seit dieser Zeit zieht sich der Fehler durch das Einkommensteuergesetz. Inhaltlich hat daran aus Sicht des Experten auch die Einführung der Abgeltungsteuer nichts geändert. Einziger Unterschied: Bisher zählten Gewinne aus solchen Geschäften bis Ende 2008 zu Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften, seither zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. An der Tatsache, dass die rechtliche Grundlage dünn ist, hat sich nichts geändert.
Das Bundesfinanzministerium (BMF) sieht das naturgemäß anders. Die Pressestelle verweist darauf, dass entsprechende Urteile bisher nur die Regelungen aus der Zeit vor der Abgeltungsteuer betreffen und gemäß BMF-Schreiben vom 27. März 2013 nicht auf die neue Rechtslage anzuwenden sind. Heißt letztlich: Erst muss der BFH die Sachlage unter dem Abgeltungsteuerregime ähnlich beurteilen, dann müsste sich auch das BMF bewegen.
Nur einer von vielen Streitpunkten
Die Diskussion um die Besteuerung von Optionsschein- und Zertifikatedeals dürfte dem BMF denkbar ungelegen kommen. Denn gerade erst hat man hier die Daumenschrauben weiter angezogen. Wer Optionsscheine oder Vollrisikozertifikate für ein paar Cent verkauft, um Verluste zu realisieren, kann laut Anwendungserlass vom 9. Oktober 2012 (Az. IV C 1 – S 2252/10/10013) die Verluste nicht mehr absetzen. „Eine Veräußerung liegt nicht vor, wenn der Veräußerungspreis die tatsächlichen Transaktionskosten nicht übersteigt“, heißt es dort.
Dabei hatten die Richter des Bundesfinanzhofs (BFH) schon zuvor festgestellt, dass Verluste aus wertlos verfallenen Optionsscheinen steuerlich relevant sind (Az. IX R 50/09 und IX R 12/11). Da bereits der bloße Verfall eine — in den Vertragsbedingungen vorgesehene — Beendigung des Geschäfts sei, was zu einem abziehbaren Verlust führe. Der Haken: Auch dieses Urteil betrifft die Zeit vor der Abgeltungsteuer. Am Tatbestand selbst ändert jedoch der Systemwechsel in der Besteuerung nichts.
Ein Fall für die Finanzgerichte
Bleibt die Frage, was sollen Betroffene tun? Sollen Verluste aus wertlosem Verfall steuerlich geltend gemacht werden, „kann man entweder die Sache selbst durchfechten oder beim Finanzamt Einspruch einlegen mit Hinweis auf ein entsprechendes Verfahren, das vom BFH wieder ans Hessische Finanzgericht zurückverwiesen wurde (Az. IX B 154/10)“, sagt Steuerfachanwalt Hamacher. Zudem sollte bei letzterer Variante um das Ruhen des eigenen Verfahrens bis zum Abschluss der Gerichtssache gebeten werden.
Wer Gewinne aus Optionsschein- und Zertifikatedeals steuerfrei einstreichen will, der „muss die Sache selbst durchfechten“. Verfahren, auf die man aufspringen könnte, gibt es laut Hamacher nicht. DDV-Chef Hartmut Knüppel sieht „mit Blick auf die neue BFH-Rechtsprechung gute Erfolgsaussichten für Kläger“. So gesehen, scheint die Steueroase eher zu blühen als auszutrocknen.