"Bei Geldanlagen gibt es viele Wege zu (mehr) Nachhaltigkeit" - Interview mit Roland Kölsch
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Roland Kölsch ist Geschäftsführer der Qualitätssicherungsgesellschaft Nachhaltiger Geldanlagen, die insbesondere den SRI-Qualitätsstandard FNG-Siegel verantwortet. Die QNG als FNG-Tochter trägt über die Zertifizierung von Finanzprodukten, Gutachten und die Entwicklung von Standards und Dienstleistungen zur Qualitätssicherung nachhaltiger Investments bei.
Finanzen.net: Herr Kölsch, schildern Sie doch eingangs einmal selbst, was das FNG-Siegel leistet.
Kölsch: Das FNG-Siegel liefert einen Korb an vernünftigen und soliden Nachhaltigen Geldanlagen und hilft Anlegern somit, ihre eigene Suche nach solchen Finanzprodukten einfach und schnell zu meistern. Dies ist wichtiger denn je, denn seit kurzer Zeit entdeckt jeder Fondsanbieter einen Schnipsel Nachhaltigkeit in seiner DNA und auf einmal ist jeder ein Pionier oder sieht sich als der Strengste, Innovativste, Größte, Grünste oder was auch immer. Mittlerweile tummeln sich mehr als 1000 Produkte, die sich "nachhaltig" nennen auf dem Markt.
Finanzen.net: Das FNG-Siegel nimmt für sich in Anspruch, ein Gütezeichen für Nachhaltige Geldanlagen zu sein. Wieso?
Kölsch: Zuerst einmal definiert es einen Mindeststandard für die Qualität Nachhaltiger Geldanlagen. Es vermeidet somit, dass Anleger auf Mogelpackungen reinfallen. Finanzprodukte, die das FNG-Siegel tragen, sind solide und professionell verwaltete Nachhaltige Geldanlagen. Und die Anlageprodukte, die mehr als nur die "Pflicht" erfüllen, sondern in der "Kür" über den Mindeststandard hinaus gehen, werden mit bis zu drei Sternen ausgezeichnet.
Finanzen.net: Schildern Sie uns doch bitte genauer, was das bedeutet.
Kölsch: Bei Geldanlagen gibt es viele Wege zu (mehr) Nachhaltigkeit. Seit der Jahrtausendwende haben sich verschiedene Anlagestile entwickelt, um (mehr) Nachhaltigkeit in Form von Geldanlagen umzusetzen. Im Grunde geht es immer um Verhindern, Fördern und/oder Fordern. Oder anders ausgedrückt: Es geht um Divestment, gezielte Investments und/oder die Einflußnahme darauf.
Kern aller Nachhaltigen Geldanlagen ist die Ausrichtung der Titelauswahl mithilfe eines konkreten Nachhaltigkeitskonzepts. Meist geschieht das mittels der sog. ESG-Kriterien, sprich Umwelt (Environment), Soziales und gute Unternehmensführung (Governance).
Finanzen.net: Um welche Anlagestile handelt es sich?
Kölsch: Eine Geldanlage mit Negativkriterien schließt zum Beispiel kategorisch Investments in Unternehmen aus, die in Waffen & Rüstung involviert sind, Atomenergie herstellen, Tabak oder Alkoholika produzieren, Kohle abbauen oder verstromen, mit Glücksspiel oder Pornographie ihr Geld verdienen oder immer noch vermeidbare Tierversuche durchführen. Die Liste, meist ethisch-moralischer Natur, ließe sich lange fortsetzen. Hier geht es oft um ganz individuelle - manche sprechen auch von gesinnungsethischen - Überzeugungen.
Bei Geschäftspraktiken geht es gerade bei weltweit operierenden Konzernen um die Achtung von Menschen- und Arbeitsrechten, wie sie in den Kernarbeitsnormen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) festgelegt sind. Insbesondere bei Zulieferern kommt es hier oft zu Verstößen. Die leidtragenden Beispiele in der Textilherstellung in Südostasien sind vielen von uns leider noch bildhaft vor Augen.
Bei Staaten möchte ein Anleger z.B. keinen Haushalt eines Landes mitfinanzieren, das die menschen-gemachte Erderwärmung (Pariser Klimaabkommen) nicht anerkennt, die Regeln der Weltgemeinschaft zum Schutz der Artenvielfalt nicht respektiert oder die Todesstrafe anwendet. Beim Spinner im Weißen Haus werden hier gleich mehrere rote Linien überschritten.
Daneben gibt es das gezielte Investieren mittels Positivkriterien. Hierzu zählen beispielsweise Investments in Themen wie Bildung, Umwelttechnologien, Infrastruktur, Erneuerbare Energien, Wasser oder Mikrofinanz. Aber auch die Anlage in Unternehmen, die Lösungen für die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die sog. SDGs, anbieten.
Eine weitere, meist flankierend eingesetzte Methode, ist das sog. Engagement. Darunter versteht man den aktiven, langfristigen Dialog mit Unternehmen über verschiedene Kanäle, um auf deren Nachhaltigkeitsbemühungen einzuwirken. Hier geht es auch um die Ausübung von Stimmrechten.
Finanzen.net: Und was sagt das FNG-Siegel in diesem Zusammenhang nun konkret aus?
Kölsch: Die erste Hürde sind die Mindeststandards: Dazu zählen Transparenzkriterien und die Berücksichtigung von Arbeits- & Menschenrechten, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung wie sie im weltweit anerkannten UN Global Compact zusammengefasst sind. Auch müssen alle Unternehmen, in die das jeweilige Finanzprodukt investiert explizit auf Nachhaltigkeits-Kriterien hin analysiert werden. Tabu sind Investitionen in Atomkraft, Kohlebergbau, bedeutsame Kohleverstromung, Fracking, Ölsande sowie Waffen und Rüstung.
Höherwertige Geldanlagen, die mehr als die Mindeststandards erfüllen, erhalten bis zu drei Sterne.
Mit über 80 Fragen wird z.B. der Nachhaltigkeits-Anlagestil, der damit einhergehende Investmentprozess, die dazugehörigen ESG-Research-Kapazitäten, ein regelbasiertes System zum Monitoring von Kontroversen und ein evtl. begleitender Engagement-Prozess analysiert und bewertet. Darüber hinaus spielen Elemente wie Reporting, die Glaubwürdigkeit der Fondsgesellschaft als solche, ein externer Nachhaltigkeitsbeirat und Themen der guten Unternehmensführung eine wichtige Rolle.
Das FNG-Siegel geht also weit über die reine Portfoliobetrachtung hinaus und ist ganzheitlich und aussagekräftig.
Ganzheitliche Analyse heißt, dass wir die komplette Infrastruktur des Fonds analysieren. Viele Methoden der Fondsbewertung, die nur auf das Portfolio abzielen greifen hier zu kurz.
Finanzen.net: Wieso?
Kölsch: Das ist ganz einfach zu erklären. So, wie es in der Bonitätsbewertung von Schuldnern die großen Credit Agencies gibt, die mit ihren Ratings (Stichwort AAA) Einstufungen vornehmen, gibt es auch Research-Agenturen, die sich auf die Bewertung der Nachhaltigkeit von börsennotierten Unternehmen spezialisiert haben. Da diese Modelle nicht so trivial auf vergangene mathematische Daten zurückgreifen (wie z.B. die historischen Kreditausfälle zur Berechnung von zukünftigen Ausfallwahrscheinlichkeiten, die im Übrigen alle sehr ähnlich sind), sondern je nach Methodik und Gewichtungsschemata der einzelnen Kriterien variieren, kommen verschiedene ESG-Agenturen teilweise zu höchst unterschiedlichen Bewertungen. Mathematisch spricht man davon, dass die Korrelationen der Nachhaltigkeits-Ratingeinstufungen sehr niedrig sind (zwischen 0,3 und 0,5). Deshalb macht ein reiner Portfolio-Score für einen Nachhaltigkeitsfonds kaum Sinn, zumal diese Scores nur innerhalb eines Wirtschaftssektors funktionieren, indem man z.B. Renault, Tesla, BMW und Toyota miteinander gut vergleichen kann. Aber da ein Fonds in der Regel in viele Sektoren investiert, vergleicht man zwangsläufig Äpfel mit Birnen, da man Siemens nicht mit Adidas vergleichen kann. Was man machen kann: Einzelne Kennzahlen ableiten, beispielsweise beim CO2-Ausstoß.
Finanzen.net: Das heißt, Ihr Label hilft mir also gar nicht weiter, wenn ich wissen möchten, ob ich nun in Metro, Tesco oder Carrefour investieren "darf"?
Kölsch: So ist es. Unserem Gütezeichen geht es weniger darum zu sagen, "WAS" genau bzw. welches einzelne Unternehmen eines Investmentfonds nachhaltig ist, sondern inwieweit und mit welcher Qualität das "WIE" zu beurteilen ist, weshalb und nach welchen ESG-Regeln sich ein Fonds für die Titel seines Portfolios entscheidet, wie damit umgegangen wird und wie sog. Impact erzeugt wird. Ganz im Sinne von "viele Wege führen nach Rom".
Das FNG-Siegel bietet eine Orientierung, stellt sozusagen ein Filter dar, um überhaupt erstmal eine Vorauswahl an vernünftigen und soliden Nachhaltigen Geldanlagen treffen zu können. Jemand mit einer ganz konkreten Vorstellung von Nachhaltigkeit kommt nicht drumherum, sich trotzdem mit der ganz konkreten einzelnen Ausgestaltung der jeweiligen Produkte auseinandersetzen zu müssen. Hier helfen z.B. die FNG-Nachhaltigkeitsprofile, die über weitere Details der einzelnen Anlagen Auskunft geben.
Finanzen.net: Ein häufig verwendeter Ansatz ist der sog. Best-in-Class Ansatz, also das Investieren in die jeweils Branchenbesten aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Gleichzeitig wird dieser oft kritisiert, da er in vermeintlich nicht-nachhaltige Titel investiert.
Kölsch: Der "Best-in-Class"-Ansatz geht vom "Hier und Jetzt" der Wirtschaft aus. So benötigen wir z.B. (leider) Öl und Chemie fürs tägliche Leben und für einen Großteil der Wirtschaft. Es ist natürlich einfach, nun in Schwarz-Weiß zu denken.
Viele Industrieprozesse, die Chemie- und Pharmaindustrie und selbst die Konsumgüterindustrie könnten aber ohne Öl nicht überleben.
Abgesehen von den immensen disruptiven Konsequenzen (durch den strukturellen Niedergang ganzer Regionen und erhöhter Arbeitslosigkeit) beim breiten Ausschluss ganzer Branchen.
Ein völliger Ausschluss solcher Wirtschaftsbereiche ließe sich in der Breite also unmöglich realisieren.
Deswegen hat auch der Best-in-Class-Ansatz seine Daseinsberechtigung, da er an den bestehenden Verhältnissen und Lebensweisen ansetzt und von dort aus in Richtung Nachhaltigkeit wirkt, ganz im Sinne sog. Best-Practice also Vorbildfunktion.
Finanzen.net: Ja, aber dann könnte doch letztendlich jeder Titel in einem Nachhaltigkeitsfonds landen.
Kölsch: Jeder Laie und Experte, Überzeugungstäter und Mainstream-Anleger hat sehr individuelle Ansichten bzgl. Nachhaltigkeit. Die EU ist ja in ihren aktuellen Bemühungen noch weit von einer ganzheitlichen Definition von Nachhaltigkeit entfernt. Auf Brüssel muß man also nicht darauf warten, obwohl paradoxerweise jeder Finanzberater ab 2021 per Gesetz genau dahingehend beraten soll.
Man kann nun darüber streiten, wie "streng" ein Investmentansatz sein muss, der als "nachhaltig" eingestuft wird. Das reicht von sehr konsequenten Überzeugungen, die keinerlei Autobauer und Flugzeughersteller haben wollen, da diese einfach (im absoluten Sinne) umweltschädlich sind bis zu Ansätzen, die überhaupt nichts ausschließen, aber über die Ausübung von Stimmrechten, Engagement- & Dialogverfahren aktivistisch stark auf die Unternehmen einwirken, nachhaltig(er) zu wirtschaften.
Die Methodik des FNG-Siegels akzeptiert den "Best-in-Class" Ansatz, weil er ein bereits lange existierender und anerkannter, wenn auch viel diskutierter, SRI-Anlagestil darstellt. Im Übrigen ist es ja nicht so, dass in den besten Rüstungshersteller oder saubersten Kernenergie-Verstromer investiert wird. Dies gewährleisten ja die Mindest-Ausschlusskriterien.
Gerade, was ausgewogene Portfolios im Rendite/Risiko-Sinne angeht, ist dies ein nötiger Ansatz, der sogar oft von ethisch-nachhaltig strengen Endinvestoren mit großem Geldanlagebedarf, wie z.B. Kirchenzusatzversorgungskassen, Stiftungen und Kirchenbanken gefordert wird.
Finanzen.net: Keine Arbeits- und Menschenrechtsverstösse, die Achtung der Umwelt und die Vermeidung von Korruption wären ja paradiesische Zustände. Wie glaubwürdig ist denn so etwas?
Kölsch: Eine sehr gute Frage! Und hier möchte ich etwas sehr Wichtiges anmerken, da Aufklärung für die richtige Erwartungshaltung bei Nachhaltigen Geldanlagen ganz wichtig ist: Bei vielen Investments geht es ja meist um weltweit agierende Konzerne mit Hunderten von Zulieferern.
Nahrungsmittel- und Textilkonzerne arbeiten mit Tausenden Zulieferern zusammen, die wiederum Subunternehmen beauftragen, so dass die Kaskade von Beteiligten einer Wertschöpfungskette manchmal alles andere als transparent ist und Konzerne sogar auf Hinweise von NGOs u.ä. angewiesen sind, um Missstände überhaupt erst zu erfahren.
Wichtig ist dann zu wissen, ob ein Fondsmanager diese Hinweise aufnimmt, beim Unternehmen adressiert und auch darauf hinwirkt, konkrete Verbesserungen zu erreichen.
Was die zehn Prinzipien des Global Compacts - ein Rahmenwerk Ihrer genannten Kriterien - angeht, gibt es keine offizielle Stelle, die "Non-Konformität" bei einzelnen Unternehmen anzeigt.
Die auf die Nachhaltigkeits-Bewertung spezialisierten Ratingagenturen verarbeiten monatlich Tausende (!) Kontroversen. Diese und auch wir sprechen bei "Global Compact Verletzungen" von wiederholten, systematischen und/oder schwerwiegenden Fällen, bevor die Ampel quasi auf rot springt. Auch wenn das zynisch klingen mag, muß ein Anleger realistisch bleiben: Es geht nicht darum, Unternehmen auszuschließen, sobald es bei denen einmal bei einem kleinen Zulieferer einen Menschenrechtsverstoß gegeben hat. Sonst müsste man 90 Prozent aller Titel ausschließen. Es geht um wiederholte, meist schwerwiegende Verstöße, die dem Unternehmen bekannt sind und gegen die es nichts oder zu wenig tut.
Sicher gibt es Anleger & NGOs, die hier eine "Nulltoleranz-Politik" verfolgen und für die ist dies nicht hinnehmbar - diese Sichtweise ist legitim, aber in einem Label-Konzept nicht umsetzbar.
Darüber hinaus ist es auch nicht immer sinnvoll, das Unternehmen einfach aus dem Portfolio zu verkaufen, wenn z.B. abzusehen ist, dass durch die Wahrnehmung von Stimmrechten, sonstiger Einflussnahme o.a. Besserung eintreten kann.
Kurzum: "Ein Anleger darf sich deshalb nicht der Illusion hingeben, mit einem Nachhaltigkeitsfonds seien jegliche Menschen- und Arbeitsrechtsverstöße kategorisch vermeidbar. Dies muss der Ehrlichkeit halber klar gesagt werden."
Finanzen.net: Wer prüft denn das alles und wie unabhängig ist so etwas?
Kölsch: Auditor und unabhängiger Prüfer der Kriterien des FNG-Siegels ist die Universität Hamburg. Dort gibt es die sog. Research Group on Sustainable Finance, die weltweit eine der führenden Forschungskompetenzen auf diesem Gebiet ist. Die Qualitätssicherungs-Tochter des Forum Nachhaltige Geldanlagen - der seit 2001 existierende Fachverband für dieses Thema - trägt die Gesamtverantwortung, insbesondere für die Koordination, die Vergabe und die Vermarktung. Den Prüfprozess begleitet außerdem ein unabhängiges Komitee mit interdisziplinärer Expertise. Das FNG-Siegel ist von dem Verbraucherportal www.label-online.de als "sehr empfehlenswert" ausgezeichnet worden und in den Warenkorb des Rats für Nachhaltige Entwicklung (dieser berät die Bundesregierung) aufgenommen worden. Außerdem wurde es von der EU mit den anderen nationalen, staatlichen Label-Systemen in eine Arbeitsgruppe im Rahmen des EU-Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums eingeladen.
Finanzen.net: Vielen Dank für das Gespräch.
Mehr über Roland Kölsch:
Roland Kölsch ist Geschäftsführer der Qualitätssicherungsgesellschaft Nachhaltiger Geldanlagen, die insbesondere den SRI-Qualitätsstandard FNG-Siegel verantwortet. Er ist seit 2005 im Bereich Nachhaltige Geldanlagen aktiv: als Fondsmanager bei einem der großen SRI-Pioniere in Brüssel, Produktspezialist für Nachhaltige Geldanlagen einer Privatbank in der Schweiz und Leiter Asset Management der Alternative Bank Schweiz.
Bildquellen: QNG