Halo-Effekt: Wie der Heiligenschein das Urteil trübt
Menschen unterliegen immer wieder kognitiven Verzerrungen: Da das Gehirn nicht alle Reize gleich intensiv verarbeiten kann, müssen gewisse Abläufe automatisiert erfolgen. Diese können im Alltag zu Wahrnehmungsfehlern führen.
Definition
Der Halo-Effekt wurde maßgeblich von Edward Thorndike (1920) geprägt und äußert sich laut dem Buch "Psychologische Diagnostik" in "unangemessen hohen Korrelationen der Urteile über verschiedene Merkmale einer Person. Er soll dadurch zustande kommen, dass das Urteil über ein herausragendes Merkmal die Beurteilungen anderer Merkmale einer Person 'überstrahlt'". Eine Person, die man also mit dem Attribut "schön" assoziiert, wird als intelligent gewertet - obwohl das äußerliche Erscheinungsbild keinerlei Einfluss auf die Intelligenz besitzt. Der Heiligenschein überstrahlt also alle anderen Eigenschaften der Person und lässt sie in einem bestimmten Licht erstrahlen, daher der Name "Halo-Effekt".
Doch das Gegenüber muss nicht immer in positivem Licht erstrahlen. Das Gegenteil des Halo-Effekts ist der sogenannte "Horn- oder Teufelshörner-Effekt". Der israelisch-US-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman erklärte den negativen Halo-Effekt im Kontext von Adolf Hitlers Persönlichkeit: Der Satz "Hitler liebte Hunde und kleine Kinder" sei dabei stets schockierend, egal wie oft man diese Aussage wiederhole. Der Grund sei, dass man bei einem so bösen Individuum niemals auch nur einen Funken Freundlichkeit erwarten würde und so Diskrepanzen in der Wahrnehmung entstehen.
Auswirkungen im Job
Eva Krockow Ph.D. beschreibt in einem Artikel der Psychology Today folgendes Beispiel: "Emira hat mit Jodi, einer neuen Kollegin aus einem anderen Büro, E-Mails ausgetauscht. Das Erste, was Emira beim Öffnen von Jodis Nachrichten auffällt, ist ihre hervorragende Grammatik und Zeichensetzung. Emira ist sehr beeindruckt von Jodis Sprachkenntnissen und nimmt an, dass sie ein gutes Auge für Details hat. Diese Einschätzung mag zwar zutreffend sein, beeinträchtigt aber letztendlich ihre Gesamtbewertung von Jodis Arbeit. Obwohl beispielsweise einige von Jodis Ideen nicht durchführbar sind, neigt Emira dazu, allen ihren Vorschlägen zuzustimmen. Der Spillover-Effekt beeinflusst sogar Emiras Beurteilung von Jodis Persönlichkeit. Sie hat Jodi noch nie persönlich getroffen, hält sie aber für freundlich und zuverlässig und lädt Jodi deshalb zu ihrer Geburtstagsfeier ein."
Aber auch bei der Besetzung vakanter Stellen kann der Halo-Effekt die Wahrnehmung verzerren und so die Objektivität im Bewerbungsprozess reduzieren. Krockow beschreibt folgende fiktive Situation: "Alex sitzt in der Vorstellungsrunde für einen neuen Kollegen. Als der zweite Bewerber hereinkommt, erkennt er ihn sofort. Der Typ ist ein regelmäßiger Teilnehmer an Alex' Yogakurs, und Mann, er ist ein Profi! Alex ist ganz angetan von seiner Kraft und Flexibilität. Beim Üben schaut er ihm manchmal einfach zu, um sich inspirieren zu lassen. Das Vorstellungsgespräch hat noch nicht einmal begonnen, aber Alex' Meinung steht fest. Angesichts seiner herausragenden Yogakenntnisse muss dieser Kandidat sicher noch andere positive Eigenschaften haben. Er wird auf jeden Fall Alex' Stimme bekommen."
Darüber hinaus kann der Halo-Effekt nicht nur im beruflichen Kontext problematisch werden. Auch die Partnersuche oder die Bewertung von Studierenden kann hierunter leiden. Der Halo-Effekt ist als im Grunde potenziell immer dann im Spiel, wenn zwei Menschen aufeinandertreffen.
Den Effekt überwinden
Um nicht mehr Opfer der eigenen Wahrnehmungsverzerrungen zu sein, gibt es einige simple Präventionsschritte.
Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Ist man sich dieses Effekts bewusst, kann man ihn künftig vermeiden, indem keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Auch das Erinnern an vergangene Fehler kann hierbei hilfreich sein.
Kommt Zeit, kommt Rat. Entscheidungen, beispielsweise bei neuen Bewerbern, sollten niemals übereilt und direkt im Anschluss an das Bewerbungsgespräch getroffen werden. Krockow empfiehlt stattdessen, sich am nächsten Tag nochmals hinzusetzen und zu diskutieren. Entscheidungsgremien können ebenfalls helfen, da die Wahrscheinlichkeit von Wahrnehmungsverzerrungen sich bei einer höheren Anzahl an Menschen reduziert.
Mit System und Ordnung kommt man weit. Bevor man also ein Interview startet, sollten die wichtigsten Schlüsselmerkmale und Ausschlusskriterien formuliert werden. So kann die Entscheidung quantifiziert werden; sie ist also an objektive Aspekte geknüpft und kann eher nicht "aus dem Bauch heraus" entstehen. Außerdem werden Entscheidungen so auch für Außenstehende greifbar und nachvollziehbar.
J. Vogel / Redaktion finanzen.net
Weitere News
Bildquellen: Urbanscape / Shutterstock.com