Schweden setzt in Corona-Zeiten auf Vernunft der Bürger
In der Europäischen Union ist Schweden das Land mit den lockersten Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus - die Meinungen zu Schwedens Weg durch die Krise sind gespalten.
Während die John Hopkins-Universität in Schweden über 4.000 Erkrankte zählt, von denen mehr als 100 starben, lassen schwedische Schulen ihren Betrieb am Laufen, Restaurants bleiben geöffnet, Spielplätze sind frei zugänglich und die Reisefreiheit innerhalb des Landes ist nur minimal eingeschränkt. Somit bereiten sich Schwedens Skigebiete für Ostern auf eine regelrechte Touristenflut vor.
Regierung gegen Ausgangssperren in Schweden
Die Verantwortlichen schwedischen Immunologen und Politiker sind sich einig darin, dass jeder selbst weiß, was gut für ihn ist und sich so gut wie möglich an die gesundheitlichen Sicherheitsvorkehrungen halten soll. Der Deutschlandfunk zitiert den Chef der rot-grünen Minderheitsregierung Stefan Löfven mit seinen Worten: "Es gibt eine individuelle Verantwortung, die muss jeder für sich selbst, für seine Mitmenschen und sein Land übernehmen. Wenn alle das tun, kommen wir als Gesellschaft auch durch diese Krise." Unterstützt wird er unter anderem von Johan Carlson, dem Chef der schwedischen Gesundheitsbehörde - der Deutschlandfunk zitiert auch ihn: "Es ist ungesund, fünf, sechs Monate zuhause zu sitzen."
Stattdessen wird auf die Vernunft der Bürger gesetzt
Anstatt die Schweden also in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken, werden Empfehlungen gegeben: Wer nicht unbedingt reisen muss und es dennoch tut, habe eine große Verantwortung zu tragen, in den Bussen in Skigebieten solle genügend Abstand voneinander gehalten werden und so weiter. Konkrete Beschlüsse der Regierung werden allerdings nur vereinzelt erlassen.
So haben beispielsweise Gymnasien (in Schweden ab der 10. Klasse) und Universitäten den Unterricht digitalisiert sodass nun von zuhause gelernt werden kann. Außerdem wurde ein Verbot für Veranstaltungen mit über 50 Teilnehmern erlassen, welches am 29. März in Kraft trat. Die schwedische Regierung verkündete auch, sie würde die Lage beobachten und immer angemessen handeln und nichts überstürzen.
Herdenimmunität soll provoziert werden
Anders Tegnell ist oberster Epidemiologie in Schweden und damit das Pendant zum deutschen Virologen Christian Drosten. Tegnell unterstützt die Regierung und setzt auf eine Herdenimmunität der Schweden. Nur wenn bis Herbst eine gewisse Herdenimmunität herrsche, sei man gegen die zweite Welle des Virus gewappnet. Denn mit einem Impfstoff könne man nur mit viel Glück am Anfang nächsten Jahres rechnen, und das sei für die zweite Welle im Herbst zu spät. Die Herdenimmunität kann aber nur dann entstehen, wenn sich bis Herbst genügend Personen mit dem Virus anstecken und auch wieder davon erholen.
Die Taktik des Regierungschefs, keine Ausgangssperren zu erlassen, wird aber auch kritisiert. Nicht nur Experten aus anderen Ländern betrachten den schwedischen Weg skeptisch, auch rund 200 Wissenschaftler äußerten kürzlich ihre Kritik. In der überregionalen Zeitung "Dagens Nyheter" wurde ein Brief veröffentlicht, in dem sie eine Verschärfung der Maßnahmen nach den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderten. Auch Krankenhausmanager Juoko Vanhala fragt sich, warum die Regierung nicht handelt: "Ich verstehe nicht, warum die Behörden die Leute dort nicht vom Reisen abhalten." Denn in Schweden gibt es nach seinen Angaben aktuell 500 Intensivbetten, bis zu 1.400 Betten würden aber bis zum Höhepunkt der Pandemie gebraucht.
Die Erfahrungen, die das Land mit seiner so einzelgängerischen Strategie im Kampf gegen die Pandemie heute macht, werden im Nachhinein im Vergleich mit anderen Ländern sicherlich aufschlussreich sein.
Redaktion finanzen.net
Weitere News
Bildquellen: Yaroslav Mikheev/Getty Images