Dem Krieg zum Trotz: Die ukrainische IT-Branche funktioniert auch im Kriegszustand
Die Ukrainer sind in der Tat nicht leicht unterzukriegen: Laut den Angaben des IT-Handelsverbandes der Ukraine laufen bei den allermeisten inländischen IT-Unternehmen die Arbeitsprozesse noch immer reibungslos weiter. Trotz des russischen Überfalls hat die ukrainische Tech-Branche noch vieles zu bieten und hofft nun auf Investitionen, um die inländische Wirtschaft aufrecht erhalten zu können.
Die ukrainische IT-Branche ist sogar in Zeiten des Krieges noch stark
Die Ukraine hat ihren Status als beliebter küstennaher Standort für Unternehmen aus dem Westen auch in der aktuellen Krisensituation nicht verloren. Wie CIO berichtet, ist das Land insbesondere für den Bereich Software-Entwicklung und Engineering noch immer sehr attraktiv. Den Angaben des ukrainischen Außenministeriums zufolge haben über 100 der Fortune-500-Unternehmen Außenposten in der Ukraine. Die inländische Tech-Branche hat im letzten Jahr einen massiven Boost erfahren: Laut der IT Ukraine Association war das IT-Exportvolumen um ganze 34 Prozent auf 6,8 Milliarden US-Dollar angestiegen. Anderen Studien zufolge ist der Anteil der IT-Branche am ukrainischen Bruttoinlandsprodukt von 0,06 auf 3,3 Prozent angewachsen.
Der ukrainische Tech-Bereich ist also zweifellos noch immer stark und sollte keinesfalls unterschätzt werden. Doch wie sieht es nun in der aktuellen Krisensituation aus? Wie Konstantin Vasyuk, Geschäftsführer der IT Ukraine Association, einen Monat nach Kriegsbeginn gegenüber CIO angab, würden seine Organisation und ihre Mitglieder trotz der Strapazen des Krieges noch immer weitermachen und durchhalten. Er zeigt sich generell zuversichtlich: Den meisten Unternehmen in der Ukraine sei es auch weiterhin möglich, IT-Projekte durchzuführen. Daran würde es auch nichts ändern, wenn sich ukrainische Mitarbeiter der Armee anschließen oder sich freiwillig melden, um die Cybersicherheitsmaßnahmen des Landes zu verstärken.
Studien des Branchenverbandes zeigen, dass noch immer etwa sieben von zehn IT-Fachleuten in "sicheren" Regionen der Ukraine arbeiten, wovon etwa 16 Prozent, hauptsächlich Frauen, im Ausland stationiert sind. Ein Anteil von rund zwei Prozent der IT-Fachkräfte hat sich den bewaffneten Streitkräften angeschlossen, ungefähr fünf Prozent leisten freiwillig Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Cybersicherheit und kritischer nationaler Infrastrukturen.
Exzellente IT-Infrastruktur
Ein wichtiger Grund für die noch immer relativ gute Lage, in der sich die ukrainische IT-Branche befindet, ist die fortschrittliche Kommunikationsinfrastruktur des Landes. Zum einen verfügt die Nation laut Datacenter Insider über ein äußerst gut ausgebautes Glasfasernetz, zum anderen wurden die strengen Restriktionen gelockert, denen das von Elon Musk betriebene Starlink-Satellitennetz bisher unterworfen gewesen war, weswegen ukrainische Firmen nun mehr als 10.000 Starlink-Terminals erhalten haben. Laut Vasyuk seien "die Terminals unentbehrlich, weil wir dort spezielle Kanäle für Firmen nutzen können, wenn das Glasfasernetz mal nicht funktioniert." Auf die von Russland gegen Elon Musk wegen seiner telekommunikativen Hilfe geäußerten Drohungen reagierte der Tech-Visionär nur mit einem metaphorischen Schulterzucken.
Dennoch wurde die Wirtschaft in einigen Regionen wie Mariupol, Charkiw und Cherson von den unaufhörlichen Störungen durchaus getroffen, Vasyuk zufolge wurden die essentiellen Bank- und Zahlungsdienste jedoch nicht beeinträchtigt. Besonders stark von den russischen Sanktionen betroffen waren hingegen einige kleinere Unternehmen, die in Regionen unter der Militärkontrolle der Invasoren angesiedelt sind.
Die Branche braucht Aufträge und Investitionen
Was die IT-Unternehmen in der Ukraine nun dringend benötigen, ist ein kontinuierlicher Zufluss an neuen Aufträgen und Investitionen, um den Ball auch weiterhin am Rollen zu halten. Der IT-Verbandschef Vasyuk betont, dass die Branche zwar nach wie vor in guter Verfassung sei, dass aber dennoch jede Form der Unterstützung auf das Herzlichste willkommen sei. Thomas Krenn hat nun laut Datacenter Insider beispielsweise das Angebot unterbreitet, ukrainische Software-Anbieter in seinen Online-Marktplatz aufzunehmen. Wer daran interessiert ist, die ukrainische IT-Industrie zu beauftragen oder in irgendeiner anderen Weise Unterstützung anbieten möchte, jedoch über keine entsprechenden Verbindungen und Kommunikationskanäle verfügt, kann sich direkt an den ukrainischen IT-Verband wenden.
Auch Andrey Dekhtyar, CEO von Rozdoum, sieht die Lage ähnlich wie Vasyuk: "Je mehr Geld wir bekommen können, desto mehr Dienstleistungen können wir anbieten." Auch er ist davon überzeugt, dass die ukrainische Wirtschaft mithilfe der Unterstützung durch ausländische Investitionen in der Lage sein wird, sich über Wasser zu halten. Weil er befürchtet, dass sich der Krieg in die Länge ziehen und immer mehr zu einem Wirtschaftskrieg ausarten könnte und da der ukrainische Industriesektor durch den Beschuss im Osten des Landes "verloren oder beschädigt" worden sei, drängt er dazu, sich stärker auf die IKT-Industrie zu konzentrieren, da diese noch mit am besten funktioniere.
Thomas Weschle / Redaktion finanzen.net
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