Umfrage: Über 50 Wochenstunden - so studiert man heute
Eine Studie zur Erfassung des studentischen Alltags zeigt: Unser Bild des entspannten Studentenlebens ist veraltet. Anstelle der Entspannung stehen bei Studierenden heute die Regelstudienzeit, hohe Mieten und Nebenjobs auf dem Plan.
Tagelang mit Kommilitonen in der Sonne auf der Wiese liegen, abends ständig Partys und nebenbei halt noch das Studium, so stellt sich manch Einer den studentischen Alltag vor. Während dies vielleicht am Ende der Semesterferien nach Abgabe der letzten Hausarbeit für kurze Zeit der Fall ist, sieht der Alltag wohl ganz anders aus: Das Marktforschungsinstitut Statista und eine Forschungsgruppe der Hochschule Fresenius haben dazu im Zeitraum vom 24. bis zum 30. März 2020 eine repräsentative Umfrage durchgeführt.
Teilzeitjob und Vollzeitstudium gleichzeitig
Laut Umfrageergebnissen konzentrieren sich nur 27 Prozent der 2.000 Befragten ausschließlich auf das Studium. Alle anderen pendeln "zwischen Campus und Büro, Haushalt und Hörsaal", so die Verfasser der Umfrage. 41 Prozent der Befragten jobben neben dem Studium, 26 Prozent sind in Teilzeit angestellt. Gleichzeitig geben 36 Prozent an, 30 oder mehr Stunden in der Woche mit dem Studium beschäftigt zu sein, 25 Prozent der Befragten ‚nur‘ 21 bis 30 Stunden. Aus diesen Zahlen schließen die Verfasser der Umfrage, dass eine sehr große Mehrheit der Studierenden an deutschen Universitäten und anderen Hochschulen normalerweise 50 oder mehr Wochenstunden mit Arbeit und Studium verbringen. Wie sieht das wohl erst in der Prüfungsphase aus?
Statista zufolge sind 63 Prozent der arbeitenden Studierenden auf die Einkünfte angewiesen, 52 Prozent wollen unabhängig von ihren Eltern sein. Laut dem deutschen Studierendenwerk geht die Anzahl der Studierenden, die sich hauptsächlich über ihre Eltern finanzieren, zurück - und das, obwohl sich wohl immer mehr Studierende an die Regelstudienzeit des Bachelor-Master-Systems halten müssen, um später gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
"Das Studium [...] muss sich flexibel gestalten lassen."
Entsprechend der obigen Umfrageergebnisse hätten 32 Prozent der Befragten gerne mehr Zeit für die Familie, 23 Prozent gerne mehr Unterstützung durch Selbige, um mit den Belastungen besser fertig zu werden. Ganze 49 Prozent der Teilnehmer fordern mehr Unterstützung durch Hochschulen, ein geringerer Teil durch ihre Arbeitgeber. Außerdem stellt die Umfrage fest, dass die meisten Studierenden sich mehr digitale Lehrangebote wünschen - was sie den Alltag flexibler gestalten ließe.
Ähnlich wird auch Prof. Dr. Peter J. Weber, Dekan und akademischer Geschäftsführer des Fachbereiches onlineplus der Hochschule Fresenius, von den Verfassern der Umfrage zitiert: "Das Studium muss sich heute viel mehr als früher an die individuellen Arbeits- und Lebensbedingungen der Studierenden anpassen und flexibel gestalten lassen". Seiner Erfahrung nach messen viele Studierende die Qualität einer Hochschule nicht nur an den angebotenen Lehrinhalten, sondern auch an den Möglichkeiten flexibel zu studieren.
Aber gibt es nicht finanzielle Unterstützung durch den Staat?
Warum müssen so viele Studierende arbeiten? Es wurde zwar vor nicht allzu langer Zeit der BAföG-Höchstsatz angehoben - allerdings erhält nicht Jeder diesen Höchstsatz (der von den Einkünften der Eltern abhängig gemacht wird) oder bezieht überhaupt BAföG.
Abgesehen davon werden die im Höchstsatz berechneten 325 Euro für die Miete längst nicht mehr der Realität auf dem Wohnungsmarkt gerecht: Der MLP-Studienreport von 2019 enthält entsprechende Zahlen. So gab es im Jahr 2017 in den meisten Städten für nicht einmal 15 Prozent der Studierenden einen Platz im Wohnheim, wo die Mieten meist niedriger sind. Stattdessen sind wohl in fast allen Universitätsstädten die Mieten pro Quadratmeter für Wohnungen mit maximal 40 Quadratmetern Fläche (die bevorzugt an Studierende vermietet werden) deutlich höher als die für größere Wohnungen. Unabhängig davon stiegen die Preise für studentisches Wohnen in den letzten Jahren an - in München lag die geschätzte Miete für ein Musterstudentenzimmer bei über 700 Euro.
Mit all diesen Dingen zurecht zu kommen und dabei dennoch ein gutes Studium zu absolvieren, ist also wohl der Alltag für einen Großteil der 2.897.336 Studierenden in Deutschland (Stand: Wintersemester 19/20) - das Bild vom entspannten Studium ist damit nicht mehr zutreffend.
Redaktion finanzen.net
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