Patentabläufe beflügeln Übernahmeboom im Biotech-Sektor
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Die Biotech-Branche verzeichnet derzeit eine hohe Anzahl an Übernahmen und Fusionen (kurz: M&A). Was dahinter steckt und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, erläutern Mario Linimeier und Kristoffer Unterbruner von der Medical Strategy GmbH im Interview.
Wir befinden uns in einer Zeit des außergewöhnlichen Übernahmebooms im Biotech-Sektor. Könnten Sie uns erläutern, was hinter dieser Welle von Übernahmen und Fusionen steckt?
Mario Linimeier: Der Biotech-Sektor durchlebt derzeit eine faszinierende Phase. Die Übernahmewelle wird von einer Vielzahl miteinander verflochtener Faktoren angetrieben. Ein zentraler Punkt ist der enorme Druck, dem große Pharmafirmen ausgesetzt sind. Viele Patente von umsatzstarken Medikamenten laufen in naher Zukunft aus, was dazu führt, dass diese Medikamente von anderen Unternehmen kopiert und zu günstigeren Preisen angeboten werden können. Allein in den USA sind bis zum Jahr 2027 Produktumsätze von mehr als 140 Milliarden US-Dollar durch Patentabläufe bedroht.
Kristoffer Unterbruner: Große Pharmakonzerne wie Pfizer, Sanofi, AstraZeneca oder Novartis brauchen also ständig neue bahnbrechende Medikamente mit neuen Patenten, um die Verluste auszugleichen. Die Arzneimittelentwicklung ist jedoch lang, kostspielig und immer auch mit Risiken verbunden. Eine Übernahme kann daher eine effektive und schnelle Lösung sein, um die "Pipelines" mit Innovationen wieder aufzufüllen und den Umsatzverlust zu kompensieren.
Interessanterweise haben wir seit Frühjahr dieses Jahres vermehrt M&A-Deals gesehen, die sogenannte "Orphan Drugs" betreffen. Könnten Sie erklären, was es mit diesen Arzneimitteln auf sich hat?
Kristoffer Unterbruner: Konkret betreffen 70 Prozent der im Frühjahr angekündigten M&A-Deals Orphan Drugs. Dabei handelt es sich um Medikamente, die zur Behandlung seltener und oft schwerer Krankheiten entwickelt werden, für die bisher oft keine Therapie existiert. Das Besondere an diesen Medikamenten ist, dass sie in den USA von den anstehenden Preiskürzungen im Gesundheitswesen in vielen Fällen ausgenommen sind. Denn: Der Staat fördert diesen Bereich besonders, was ihn für große Pharmaunternehmen besonders attraktiv macht. Es ist zu erwarten, dass dieser Trend angesichts der bevorstehenden Reform der Medikamentenpreise in den USA an Dynamik gewinnen wird.
Wo liegen die Herausforderungen und wie beeinflusst die Haltung der Wettbewerbsbehörden den M&A-Prozess im Biotech-Sektor?
Mario Linimeier: Eine wichtige Herausforderung liegt in der zunehmend aggressiveren Haltung der Wettbewerbsbehörden, wie der Federal Trade Commission (FTC) in den USA gegenüber großen Deals. Ähnlich wie das Bundeskartellamt in Deutschland kontrolliert die FTC solche Zusammenschlüsse. Wir haben bereits den Fall der geplanten Übernahme von Horizon Therapeutics gesehen, bei der die FTC Klage eingereicht hat. Dessen Konkurrent Amgen, der zu den weltweit größten Biotechkonzernen gehört, will dafür rund 28 Milliarden US-Dollar auf den Tisch legen. Ob die Klage Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Auch die angekündigte Akquisition von Seagen, einem Biotech-Pionier gegen Krebs, durch den Pharmariesen Pfizer könnte gefährdet sein. Dies zeigt, dass der M&A-Prozess im Biotech-Prozess nicht immer reibungslos verlaufen.
Kristoffer Unterbruner: Ein weiterer möglicher Bremsfaktor ist das veränderte Kreditumfeld. Engere Kreditbedingungen könnten sehr große M&A-Deals behindern. Dennoch haben große Biopharma-Unternehmen derzeit beträchtliche Kapitalreserven, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Experten zufolge beträgt die M&A "Firepower", d.h. die liquiden Mittel plus Fremdbeleihungskapazitäten, der großen Pharma- und Biotech-Unternehmen rund 1,4 Billionen US-Dollar.
Wird der Übernahmeboom anhalten?
Mario Linimeier: Trotz dieser Herausforderungen ist die allgemeine Erwartung, dass die M&A-Aktivitäten im Biotech-Sektor stark bleiben. Angesichts drohender Patentabläufe, der attraktiven Bewertungen kleinerer Unternehmen und der bevorstehenden Änderungen in der Preisgestaltung von Medikamenten sehen die großen Pharmaunternehmen M&A als attraktive Strategie zur Wahrung ihrer Position.
Mario Linimeier ist geschäftsführender Gesellschafter und Portfoliomanager der Medical Strategy GmbH, an der die Apo Asset Management GmbH (apoAsset) beteiligt ist. Zuvor war er bei KPMG Europe LLP in München und London als Senior Associate im Bereich Transaktionsberatung für Industrieunternehmen und für Private-Equity-Mandanten tätig. Er studierte an der Universität Wien Genetik / Molekularbiologie sowie an der Johannes-Kepler-Universität Linz und der Seoul National University Wirtschaftswissenschaften.
Kristoffer Karl Unterbruner ist seit 5 Jahren Healthcare Analyst und Portfolio Manager bei der Medical Strategy GmbH. Er hat an der Universität Wien Molekulare Biotechnologie mit Schwerpunkt Immunologie studiert.
Bildquellen: IPConcept