Hedgefondsmanager Hugh Hendry: „Es ist keine gute Zeit für Gier"
Der Experte schaut auf das große Ganze. Er macht sich Sorgen um japanische Verhältnisse in der Welt. Die größte Blase in der Geschichte sei möglich und danach der größte Crash.
von Martin Blümel, Euro am Sonntag
Hugh Hendry ist ein bekanntes Gesicht in London. Der Hedgefondsmanager ist Dauergast in den TV-Talkrunden bei CNBC Europe und schreibt Kolumnen für die „Financial Times“. Mit seiner elf Mann starken Firma Eclectia Asset Management hat er es sich im beschaulichen Notting Hill bequem gemacht. Es geht leise zu, kein hektisches Telefonieren, keine flimmernden Bildschirme. „Wir denken viel nach“, sagt Hendry. Und er reist viel. Ein Drittel des Jahres ist er unterwegs, in Lateinamerika, in Asien, vergangene Woche in New York, kommende Woche in Namibia. Die Eindrücke bestimmen seinen Blick auf die Märkte. Er ist skeptisch. 2008 hat er viel gewonnen, dieses Jahr steht er mit plus/minus null da. Hendry beobachtet und wartet.
€uro am Sonntag: Die Märkte laufen. Warum warten Sie ab?
Hugh Hendry: Wenn man die Märkte verstehen will, muss man den wichtigsten Faktor verstehen. Und der heißt: Fremdkapital. Er heißt Verschuldung, Verbindlichkeiten. Dieser Faktor treibt die Märkte. Aber er wirft derzeit auch eine essenzielle Frage auf: Ist die Verschuldung der Welt auf einem Höhepunkt? Wenn ja, dann wäre Schluss mit leichtem Wirtschaftswachstum. Dann läge der Fokus auf Schuldenabbau. Wenn ja, und das ist mehr Frage als Antwort, dann hätten wir es mit der bedeutendsten ökonomischen Entwicklung der vergangenen 80 Jahre zu tun. Bedeutender als die Inflation der 70er-Jahre oder die Ölkrise – es würde den Rest unseres Lebens bestimmen.
Klingt beunruhigend. Woran machen Sie das fest?
Nehmen wir die USA, die wichtigste Volkswirtschaft der Welt: 14 Billionen Dollar BIP pro Jahr, China kommt nur auf vier Billionen. Verschuldet sind die USA mit 50 Billionen Dollar – ich meine alle Schulden, von Unternehmen über Private bis zur öffentlichen Hand. Das Verhältnis aller Schulden zur Wirtschaftsleistung liegt also bei vier. Enorm. Aber ist das schon der Höhepunkt? Kaum zu beantworten. Das letzte Mal hatten wir einen Höhepunkt 1932. Damals lag das Verhältnis nur beim Dreifachen des BIP.
Ist das jetzt die „neue Normalität“? US-Volkswirte reden immer wieder davon.
Ja, eine neue Normalität. Das ökonomische Leben funktioniert durch Veränderungsraten, durch das Delta. Die Verschuldung ist bisher stetig gestiegen, genauso die Vermögenswerte. Stagniert die Verschuldung, kollabiert das Delta auf null. Wie Ende der 80er-Jahre in Japan. Zuerst der Boom in den 60ern, 70ern, 80ern, dann die Überschuldung, dann der Schuldenstopp, dann der Crash. Seither ist Japans Wirtschaft eine Enttäuschung. Was also, wenn der Fremdkapitalkick nun auch in den USA zu Ende ist? Was, wenn die US-Wirtschaft in zehn Jahren nur 16 Billionen Dollar stark sein wird, statt der erwarteten 25 Billionen? Wenn es so kommt, mache ich mir Sorgen um unsere chinesischen Freunde. Dann ist die viele neue Kapazität, die China aufbaut, nicht gerechtfertigt.
Aber von China wird doch erwartet, dass das Land die Weltwirtschaft rettet.
China repräsentiert acht Prozent der Weltwirtschaft, aber 80 Prozent des Wachstums. Das ist so, weil das Verhältnis zwischen China und den USA seit zehn Jahren eine einfache Funktion ist: Alles hängt an der Bereitschaft der USA, ein dauerhaftes Handelsbilanzdefizit in Kauf zu nehmen und Dollar zu exportieren. Aber wird das immer so sein?
Zumindest häufen die Staaten Schulden an.
Ich habe eine Grafik, die beginnt 1692 und zeigt die britische Staatsverschuldung. Nach dem Krieg gegen Napoleon lag sie bei 250 Prozent der Wirtschaftsleistung, heute sind wir bei 50 Prozent. Positiv ist also, dass die Krise begann, als die Staatsschulden unter Kontrolle waren. Wir sind nicht dort, wo wir nach der Schlacht von Waterloo waren.
Und trotzdem sind Sie so skeptisch.
Es gibt eine große Angst bei Akademikern und Regierungsoffiziellen, bei der gesamten Intelligenzia, die in die Wirtschaft eingreifen will. Und die Angst heißt Japan. Japan zeigt, dass alle erdenklichen Maßnahmen nicht mehr greifen, wenn die Schulden zu hoch sind. Man sollte also nie in diese Lage kommen, sonst geht die Kontrolle verloren. Und Japan hat die Kontrolle verloren. Die Zentralbanken glauben, sie hätten die 30er-Jahre verstanden und sie hätten die Fehler verstanden, die zur Depression führten. Und weil sie glauben, sie hätten verstanden, sind sie überzeugt, es könnte nie mehr passieren. Aber Japan könnte zeigen, dass sie nicht verstanden haben. Japan hat seit 20 Jahren Probleme und braucht zehn weitere, um da rauszukommen.
Wie kommt man da raus? Japan im Speziellen und die Welt im Allgemeinen?
Die Schulden müssen weg. Zulasten des Lebensstandards. Es ist unangenehm, wenn die Luft aus Blasen gelassen wird, man kehrt dahin zurück, wo man herkam. 1947 hat die US-Börse alles verloren, was sie davor gewonnen hatte. Warren Buffett würde so etwas nie erzählen, aber Fakt ist, dass zwischen 1907 und 1974, das sind fast 70 Jahre, der Gewinn mit US-Aktien null war – wenn man die Dividenden weglässt. So wirkt Deleveraging. Also: Es ist keine gute Zeit, gierig zu sein. Es ist die Zeit, geduldig zu sein. Sei gierig, wenn die Schulden unten sind.
Reicht das Deleveraging von 2008 also nicht?
Was gerade passiert, sind zwei Dinge: Der private Sektor versucht, Schulden abzubauen, der öffentliche Sektor baut Schulden auf. Aber Japan zeigt, was der Ökonom Keynes mit der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gemeint hat. Was man mit einem Extradollar an Schulden an Wirtschaftswachstum erreichen kann, geht irgendwann gegen null. Also mache ich mir Sorgen, dass die Maßnahmen ins Leere laufen, dass der Kupferpreis nach oben getrieben wird, aber nachhaltiges Wachstum ausbleibt. Man wird runter müssen von den Schulden. Durch die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital. Und durch Pleiten. Bei 50 Billionen dauert das aber.
Aber ist das nicht eine Art Inselproblem der etablierten Demokratien? China und Indien haben diese Sorgen doch nicht.
Dieses Szenario spielt man an der Börse. Es ist das Szenario von Jim O’Neil von Goldman Sachs. Netter Kerl aus Nordengland. Aber der Mann ist mein Untergang, das Böse hat sich seiner bemächtigt. Was er nicht versteht, ist, dass das asiatische Geschäftsmodell immer noch eines ist, das die Produktion bevorzugt, auf Kosten von allem anderen. Der Wohlstand Asiens entsteht, weil Jobs aus den etablierten Ländern importiert werden, und dafür Produkte zurückverkauft werden. Kommt der Handel zum Erliegen, dann tritt die Abhängigkeit zutage. Wie jetzt. Vor der Krise hatte China einen Exportüberschuss von 320 Milliarden Dollar. Damit haben sie US-Staatsanleihen gekauft, damit der Renminbi nicht steigt. Das ist wie in der Buchhaltung. Das Vermögen sind die Anleihen, die Schulden sind die Renminbi, die dafür gedruckt werden. 320 Milliarden! Das sind zehn Prozent der chinesischen Volkswirtschaft. Die Renminbi kommen in die Banken, wandern weiter an die Wall Street, da wird das Geld gehebelt um das 40-Fache, und plötzlich steigt alles. Seit zehn Jahren haben wir so eine immense Inflationierung. Gold ist von 350 auf 1000 gestiegen, jeder Rohstoffpreis hat sich vervierfacht, ebenso die Hauspreise in Peking und überall sonst. Was also, wenn der Überschuss wegfällt?
Das Problem sind also die Ungleichgewichte.
Ja. Was ich beschreibe, ist ein seltener Zustand, der drei Mal in den vergangenen 100 Jahren vorgekommen ist. Der Zustand eines dauerhaften Überschusses in einem Kreditorland, dem der Rest der Welt Geld schuldet. Wie jetzt in China. So ist das aber nicht gedacht in der Wirtschaft. Du schuldest mir was, wie zahlst du es also zurück? Du zahlst zurück, weil meine Währung steigt, du somit wettbewerbsfähiger wirst, ich wiederum werde reicher und kann dann deine Microsoft-, Apple- und GE-Produkte kaufen kann. Dann hast du einen Überschuss und kannst die Schulden zahlen. So muss es laufen. Tut es aber nur bedingt, weil China die Währung nicht aufwerten lässt. In den 20er-Jahren war Amerika der Kreditor. Sie hatten den Handelsüberschuss und verliehen weiter Geld, um alles am Laufen zu halten. Dann kam die Inflationierung der Assets, der Crash. In den 80ern war Japan der Kreditor. Überschuss und Crash. Wo ist der Unterschied zu heute?
Der Yen war nicht an den Dollar gekoppelt.
Richtig. Aber die Fed erhöhte den Zins auf 15 Prozent, der Dollar war superstark. Also kam man überein, den Dollar zu schwächen, was den Yen stärkte. Dieser Prozess hat die Bubble gestartet. Es bleibt dabei: Ein Land kann nicht dauerhaft einen Überschuss halten.
Denken wir das im Moment Undenkbare und lassen den Yuan aufwerten. Was passiert?
Es gibt die größte Bubble in der Geschichte. Wertet man auf, wird China quasi bezahlt, sich in Dollar zu verschulden. Also kauft man alles, was lagerfähig ist – Öl, Rohstoffe. Weil aber alles symmetrisch ist, folgt dann der größte Crash der Historie.
Müssen wir uns also doch selbst retten?
Die USA haben es eigentlich selbst in der Hand. Sie müssen nur mehr sparen. Und das machen sie durchaus. Das Defizit ist halbiert. Es könnte ganz verschwinden. Positiv für die USA, negativ für China.
Das Interview mit Grafiken und in voller Länge finden Sie hier.
Vita Hugh Hendry
Der 40-jährige Hendry ist wichtigster Kopf von Eclectia Asset Management in London (www.eclectica-am.com). Der Querdenker verwaltet vier Aktienfonds und The Eclectia Fund, einen Hedgefonds, der völlig frei und ohne Einschränkungen investiert. Der Schotte bringt 18 Jahre Erfahrung im Geldbusiness mit. Seine Stationen vor der Selbstständigkeit waren Baillie Gifford, CSAM und Odey Asset Management.