Euro am Sonntag

Spanien: Chancen im Trubel

19.12.17 03:00 Uhr

Spanien: Chancen im Trubel | finanzen.net

Die Katalanen wählen am Donnerstag ein neues Parlament. Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die Szenarien und die Folgen für die Märkte.

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von Christoph Platt, Euro am Sonntag

Es war eine der größten Demonstrationen von Ausländern, die Brüssel je gesehen hat. Rund 45.000 Menschen gingen am Donnerstag vor einer Woche auf die Straße, um die Unabhängigkeit Kata­loniens von Spanien zu fordern. Mit Sonder­bussen und -flügen, mit Zügen, Autos und Wohnmobilen waren die ­Katalanen in die belgische Hauptstadt gereist. "Wach auf, Europa" lautete der Slogan der Protestler. Sie forderten die europäischen Institutionen auf, ihrer Region im Streit mit Spaniens Zentralregierung beizustehen. Zudem setzten sie sich für die Freilassung inhaftierter Politiker und Aktivisten ein, die die Unabhängigkeitsbewegung unterstützen.



Auch Carles Puigdemont war unter den Demonstranten. Der Ex-Präsident von Katalonien floh nach Brüssel, nachdem die Regierung in Madrid ihn am 28. Oktober abgesetzt und das Regionalparlament aufgelöst hatte. Zuvor hatte seine Regierung die Unabhängigkeit von Spanien erklärt.

Am 21. Dezember werden die Katalanen eine neue Volksvertretung wählen. Im Wesentlichen geht es dabei um die Entscheidung zwischen zwei Lagern: dem der Unabhängigkeitsgegner und dem der Separatisten. Momentan gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Umfragen sehen die beiden Gruppierungen nur ­einen Prozentpunkt auseinander.


Zu den Parteien, die für die Unabhängigkeit Kataloniens eintreten, gehören die links gerichtete Esquerra Republicana, die liberale Zentrumspartei Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien) von Ex-Präsident Puigdemont und die linksalternative CUP. Auf der anderen Seite stehen die liberale Ciudadanos, die sozialdemokratische PSC und die PP, Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy.

Weniger festgelegt ist die Position von Catalunya en Comú-Podem, ein Wahlbündnis, das unter ­anderem aus der ­eurokritischen Partei Podemos, den Grünen und den Linken besteht. "Da sich alle Parteien bis auf die Grünen zum Thema Unabhängigkeit ­positioniert haben, könnten diese das Zünglein an der Waage sein", sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank.


Weil die Umfragewerte so eng beiei­nanderliegen, lässt sich keines der Szenarien als das wahrscheinlichere benennen. Die Finanzmärkte fürchten indes weder den einen noch den anderen Ausgang der Wahl. Denn die Auswirkungen außerhalb des Landes sind gering. "Die Märkte erachten die Auseinandersetzung zwischen Madrid und Barcelona mittlerweile als komplett innerspanische Angelegenheit", sagt Karsten Junius, Chefökonom der Schweizer Bank J. Safra Sarasin. Außerdem wird sich die Lage nicht grundlegend ändern - egal, wie das Ergebnis der Wahlen am Donnerstag ausfällt.

Sollten die Parteien gewinnen, welche die Einheit mit Spanien befürworten, würde dies den Unabhängigkeitsbemühungen einen Dämpfer verpassen. Vom Tisch wären die Bestrebungen aber nicht. Sollten die Befürworter einer Trennung von Spanien siegen, wäre dies zwar ein klares Signal an Madrid, Katalonien entgegenzukommen. Doch selbst ein Parlament in den Händen der Separatisten könnte die Region nicht für unabhängig erklären. "Falls sie dies erneut tun, würde Madrid wieder Artikel 115 der Verfassung anwenden und die Regionalregierung absetzen", erklärt ­Deka-Volkswirt Kater.

Ökonom Junius hält sogar ein asymmetrisches Risikoprofil beim Ausgang der Wahl für möglich. "Vielleicht reagieren die Märkte auf einen Sieg der Separatisten nicht, auf einen Sieg der Unabhängigkeitsgegner aber positiv", sagt er.

Konjunktur überstrahlt Wahl

Dass die internationalen Anleger dem Votum der Katalanen nur eine geringe Bedeutung beimessen, hat darüber hinaus mit der ausgezeichneten wirtschaftlichen Gesamtsituation zu tun. "Wir sehen weltweit und besonders in Europa einen zyklischen Aufschwung, der so stark ist wie lange nicht", sagt Ian Samson, Ökonom der Fondsgesellschaft Fidelity. Die Wahl in Katalonien habe darauf keinen negativen Einfluss.

Auch die Gefahr, dass ein möglicher Wahlsieg der Separatisten andere Regionen bei ihren Unabhängigkeitsbestrebungen anspornt und so Europa destabilisiert, erachten Experten für gering. "Die Ansicht, dass Separation eine einfache Lösung wäre, ist seit gut einem Jahr dahin", sagt Kater. Die Verhandlungen und Streitigkeiten um den Brexit würden vor Augen führen, wie mühselig ein Loslösen aus vorhandenen Strukturen sei, und welche Nachteile damit verbunden seien. Der Deka-Volkswirt verweist zum einen auf die sehr hohen Kosten, zum anderen auf den Verlust an Macht gegenüber großen Staaten und innerhalb der Weltwirtschaft.

"Die Wahl ist nichts, worum sich Europa Sorgen machen müsste", beruhigt Karsten Junius. Als Katalonien am 1. Oktober sein Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt habe, sei das nicht so klar gewesen. "Vom damaligen Gefühl, alles breche weg, ist heute nichts mehr zu spüren." Rajoy habe ausreichend Stärke bewiesen und die Verfassung durchgesetzt. "Das ist auch ganz gut so", meint der Ökonom.

Für die spanische Wirtschaft ist die Situation natürlich relevanter. "Der größte Verlierer der Unabhängigkeitsbewegung ist Katalonien selbst", sagt Deka-Mann Kater. Allein seit der Zuspitzung der Krise haben mehr als 1.000 Unternehmen ihren rechtlichen Sitz von Katalonien in andere Teile Spaniens verlegt. Wenn die Region ihre Bestrebungen verstärkt, wird sich diese Diaspora wohl fortsetzen und die wirtschaftliche Bedeutung Kataloniens sinken.

Für deutsche Anleger besteht keine Notwendigkeit, sich in den Tagen vor der Katalonien-Wahl neu aufzustellen. "Sie sollten sich nicht zu viele Sorgen machen und plötzlich übervorsichtig werden", rät Fidelity-Ökonom Samson. "Einzig, wenn die Separatisten einen überwältigenden Sieg erringen - was extrem unwahrscheinlich ist -, sollte man über sein Engagement in spanischen Titeln nachdenken", sagt er.

Wirtschaft auf Hochtouren

Momentan erkennt der Experte dagegen eher Gelegenheiten im spanischen Aktienmarkt. Der Leitindex Ibex 35, der die größten Unternehmen Spaniens enthält, hat sich von seinem Jahreshoch im Mai deutlich entfernt, konnte sich zuletzt aber stabilisieren.

Die spanische Wirtschaft läuft unterdessen auf Hochtouren. Das Bruttoinlandsprodukt wird 2017 vermutlich um 3,1 Prozent zulegen, die Arbeitslosigkeit sinkt weiter - wenngleich sie noch immer auf einem hohen Niveau ist. "Spanien kann bis 2020 jährlich um mindestens 2,5 Prozent wachsen", prognostizierte Rajoy in einer Rede am Montag in Madrid. "Wenn sich die Lage in Katalonien bald normalisiert, kann Spanien sogar ein Wachstum von fast drei Prozent oder sogar darüber erreichen", fügte er hinzu. Der Ministerpräsident übermittelt damit eine klare Botschaft: Spanien geht es besser, wenn alle an ­einem Strang ziehen.

Investor-Info

IBEX 35
Spaniens Bluechips

Von seinem Jahreshoch im Mai hat sich Spaniens Leitindex zwar wieder entfernt. Doch trotzdem dürfte der Ibex 35 sein bestes Jahr seit 2013 hinlegen. Da die 35 enthaltenen Aktien deutlich günstiger bewertet sind als im Mai (Kurs-Gewinn-Verhältnis aktuell bei 13,4 versus 15,0 im Mai), bieten sich Chancen für Investoren, die preiswerte Titel suchen.

Fidelity Iberia
Aktienauslese in Spanien

Dass es für deutsche Anleger nur einen aktiv gemanagten Fonds mit Schwerpunkt Spanien gibt, ist wegen der fehlenden Wahlmöglichkeit zwar nicht ideal. Doch Fabio Ricelli, Fondsmanager des Fidelity Iberia, macht seine Sache gut und liegt regelmäßig vor dem Vergleichsindex. Regional ist der Fonds trotz seines engen Fokus breit aufgestellt: Die Mehrheit der Erlöse der Firmen im Portfolio wird außerhalb Spaniens erzielt.

Jupiter European Growth
Stockpicking in Europa

Grundsätzlich sollten nur Anleger, die bereits breit aufgestellt sind, auf einzelne, kleinere Länder wie Spanien wetten. Wer allgemein von einem Aufschwung in Europa profitieren möchte, fährt mit einem flexibleren Fonds besser. Der Jupiter European Growth zählt seit Jahren zu den erfolgreichsten Produkten für europäische Aktien. Zurzeit hat Fonds­manager Alexander Darwall immerhin zehn Prozent des Vermögens in Spanien angelegt.

Bildquellen: elxeneize / Shutterstock.com, Chanclos / Shutterstock.com

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