Euro am Sonntag

Russland: Putin unter Druck

12.04.17 15:00 Uhr

Russland: Putin unter Druck | finanzen.net

Der Terror drückt die Kurse nicht, dennoch steigt das politische Risiko. Doch Moskaus Börse ist billig und die Wirtschaft erholt sich.

von Jörg Billina, Euro am Sonntag

Die traumatische Erfahrung von Terror mussten Russlands Bürger schon mehrfach machen. In den vergangenen 20 Jahren kamen über 2.700 Menschen durch Anschläge ums Leben. Trotz der Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen - vor allem seit der militärischen Intervention Moskaus in Syrien - schlug der Terror vergangenen Montag in St. Petersburg erneut zu. Neben dem Motiv, Angst zu verbreiten und den für die Stadt so wichtigen Tourismus zu schwächen, lässt sich das Attentat auch als direkte Provokation Wladimir Putins interpretieren.



Denn der Kremlchef, der sein Land zurück in den Kreis der Weltmächte führen will und im Inland das Image des hart durchgreifenden und Sicherheit garantierenden Machers pflegt, befand sich zum Zeitpunkt des Anschlags in seiner Geburtsstadt.

Bislang noch sehen Investoren Putin durch die Terrorattacke nicht geschwächt. Das Börsenbarometer MSCI Russia legte im Lauf der Woche um drei Prozent zu. Politische Stabilität und Führungskontinuität sind neben der Entwicklung der Rohstoffpreise vor allem für ausländische Investoren ein wichtiges Kriterium für ein Engagement an der Börse.


Putins hohe Popularitätswerte sind dennoch gefährdet. Im Land rumort es, und das macht Anleger vorsichtig. Russlands Bürger leiden unter der Wirtschaftsflaute. Umso wütender reagieren sie auf die Korruption der Mächtigen. Die Demonstrationen haben nach Ansicht des früheren Schachweltmeisters und Oppositionellen Garri Kasparov die Regierung in Moskau bereits ernsthaft destabilisiert und könnten in eine revolutionäre Entwicklung übergehen. Zielscheibe der seit Jahren heftigsten Proteste war bislang Premierminister Dmitri Medwedew. Regierungskritiker Alexei Nawalny wirft ihm vor, ein Immobilienimperium aufgebaut zu haben. In einem Land, dessen Bürger im Jahr im Schnitt 11.300 Euro verdienen und wo Rentner mit 221 Euro monatlich aus­kommen müssen, stoßen Navalnys Recherchen auf erheblichen ­Unmut.

Aber auch Putin ist angreifbar. Bereits 2007 veranschlagte der Politologe Stanislav Belkovsky Putins Privatvermögen auf 20 bis 40 Milliarden Dollar. Weit höher taxierte jüngst Bill Browder Putins Wohlstand. Der britische Geschäftsmann geht von 200 Milliarden Dollar aus. Putin wäre damit der reichste Mensch der Welt. Bislang hat die Mehrheit der russischen Bürger die Kapitalakkumulation der Nummer 1 akzeptiert. Sollte sich dies ändern, dürften die Kurse in Moskau kräftig korrigieren.

Bankensektor stabilisiert

Einer nicht völlig auszuschließenden Zunahme politischer Risiken stehen andererseits endlich wieder hellere ökonomische Perspektiven gegenüber. Im vierten Quartal 2016 beendete Russland die durch Ölpreisverfall und westliche Sanktionen verursachte Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt legte im Vergleich zum Vorjahresquartal um 0,3 Prozent zu. Für ein Schwellenland ist das zwar deutlich zu wenig - Indien erzielte im vergangenen Jahr ein Plus von sieben Prozent. Russlands noch zarter Aufschwung gewinnt jedoch an Fahrt. S & P rechnet zwischen 2017 und 2020 mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von im Schnitt 1,7 Prozent. Die Ratingagentur hob vor Kurzem den Ausblick der mit Non-Investment-Grade-Note "BB+" eingestuften Anleihen von "Stabil" auf "Positiv" herauf. Die Bonitätswächter wollen auch erste Zeichen einer Stabilisierung des Bankensektors erkannt haben. Im Zuge der Krise waren deren Gewinne kräftig eingebrochen, etliche ­Institute mussten schließen.

Auch die Zentralbank beurteilt die Finanzbranche mittlerweile als "gut erholt". "Die Banken sind nun in der Lage, die Kreditvergaben auf einer gesunden und soliden Basis wieder zu erhöhen", sagt Elvira Nabiullina. Die hochgeschätzte Notenbankpräsidentin erfreute die Investoren jüngst mit einer unerwarteten Zinssenkung auf 9,75 Prozent. Sollten die Zeichen an der Preisfront weiter auf Entspannung stehen, dürfte Nabiullina die Geldpolitik im Lauf des Jahres weiter lockern.

Im Sommer 2016 war die Teuerung noch auf 7,5 Prozent gestiegen. Mittlerweile steht die Inflationsrate bei nur noch 4,3 Prozent. Vier Prozent sind der von der Notenbank angestrebte Zielwert. Höhere Wachstums­raten und sinkende Inflations­raten wiederum erhöhen die Kaufkraft der Verbraucher. Die halten sich bislang zwar noch zurück. Im Februar sanken die Ausgaben im Vergleich zum ­ Vorjahresmonat noch einmal. Doch das Konsumentenvertrauen zieht an und ist mittlerweile auf den höchsten Wert seit dem Jahr 2014 geklettert.

Ambitionierte Expansion

Nicht zuletzt für X5 Retail Group sind das gute Nachrichten. Die Einzelhandelskette, die sich auf Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen fokussiert, plant in diesem Jahr die Eröffnung 2000 neuer Filialen in Russland. Bis 2023 will X5-Chef Igor Shekhterman den Marktanteil von derzeit acht auf 15 Prozent erhöhen.

Shekhtermans Expansionspläne erfreuten lange Zeit die Investoren. Die in Russland-Fonds meist hoch gewichtete Aktie legte im vergangenen Jahr um fast 60 Prozent zu. Seit Jahresanfang hat der Titel jedoch zwei Prozent abgegeben. Die Aktie schneidet damit jedoch immer noch wesentlich besser als der Gesamtmarkt ab. Der MSCI Russia verlor seit Anfang Januar knapp zehn Prozent. Globale Anleger, die zunächst euphorisch auf einen steigenden Ölpreis reagiert und insbesondere nach dem Wahlsieg Donald Trumps auch noch auf eine Aufhebung der Sanktionen gesetzt hatten, entschlossen sich zu ­ Gewinnmitnahmen. Investoren erschien die Erholung des für Russlands Staatshaushalt und die Börse so wichtigen Ölpreises nicht nachhaltig genug.

Vergangene Woche aber gab es Hinweise, die auf eine Verringerung des globalen Ölangebots hindeuten. Unter anderem sind eine Verlängerung der von der OPEC und Russland beschlos­senen Förderkürzung, vielleicht sogar weitere Produktionsbegrenzungen im zweiten Halbjahr, nicht auszuschließen. Kommt es dazu, dürfte sich der Ölpreis über der von Russlands Regierung für dieses Jahr konservativ eingeplanten 40-Dollar-Marke einpendeln.

Am vergangenen Freitag stiegen die Ölpreise nach dem US-Luftschlag gegen Syrien schon mal deutlich an. Eine neue Rally am russischen Aktienmarkt ist, sofern es innen-, aber auch außenpolitisch ruhig bleibt, daher möglich. Noch werden russische Aktien mit einem erheblichen Discount gehandelt. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt im Schnitt bei gerade mal bei 6,2. Auch die Dividendenrendite ist mit 3,95 Prozent hochattraktiv.

Investor-Info

Pioneer Russian Equity
Lohnende Abweichung

An Öl und Gas kommen Marcin Fiejka und Nikolai Petrov nicht vorbei. Zu den Top-Ten-Werten der Manager zählen Lukoil, Gazprom und Surgutneftegaz. Im Vergleich zur Bench­mark ist der Sektor jedoch deutlich untergewichtet. Klar übergewichtet ist dagegen der Konsumwert X5. Die Abweichung zahlt sich aus. Der Fonds rangiert kontinuierlich in den oberen Plätzen der Anlageklasse.

ComStage MSCI Russia 30 % Cap.
Energie und Banken

Der ETF der Commerzbank bildet die Entwicklung des MSCI Total Return Net Russia ­Index 30 % Capped Index ab. Dieser enthält 21 Titel und deckt rund 85 Prozent der Marktkapitalisierung in Russland ab. Energiewerte und Banken sind daher prominent vertreten. Bei der Gewichtung der Titel gilt eine Tages­obergrenze von 30 Prozent und eine Quar­tals­obergrenze von 25 Prozent. Die Sberbank etwa ist aktuell mit 18 Prozent gewichtet. ­Interessantes Papier, Investoren müssen jedoch mit hoher Volatilität rechnen.

Schroder Emerging Europe
Verteiltes Länderrisiko

Fondsmanager Rollo Roscow hat 53 Prozent der Mittel in russische Aktien wie X5 und Global Trans Investment angelegt. Der Rest verteilt sich unter anderem auf polnische, tschechische und ungarische Titel. Türkische Unternehmen sind im Fonds mit zwölf Prozent gewichtet. Kleinere Positionen nimmt der Fonds in Unternehmen aus Rumänien und Georgien ein. Insgesamt besteht das Portfolio aus 50 Werten. Seit Anfang 2016 hat der Fonds 43 Prozent geschafft. Nicht zuletzt lassen günstige Bewertungen auf anhaltendes Kurspotenzial schließen.

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Bildquellen: Sasha Mordovets/Getty Images, E.O. / Shutterstock.com

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